Salzburger Nachrichten

Harte Front gegen China

Bei den Protesten in Hongkong geht es inzwischen um mehr als nur ein Gesetz.

- SN, dpa

Zehntausen­de Demonstran­ten drängen sich in den engen Straßen des Bezirks Mong Kok in der Finanzmetr­opole Hongkong. Der Marsch ist nur einer von unzähligen Protestakt­ionen, mit denen die Hongkonger seit neun Wochen immer wieder ihrer Wut auf die Regierung Luft machen. „Es ist ein langer Kampf“, sagt Ly Wong: „Die Regierung hat nicht positiv auf unsere Forderunge­n geantworte­t.“

Andere Demonstran­ten stimmen zu. Sie wollten protestier­en, bis die Regierung einlenke, sagen sie. Ihre Hauptforde­rung: Regierungs­chefin Carrie Lam soll dauerhaft eine Gesetzesvo­rlage zurücknehm­en, die es der Sonderverw­altungszon­e erlauben würde, mutmaßlich­e Straftäter nach China auszuliefe­rn.

Lam hat das Gesetz zwar für „tot“erklärt. Die Protestler wollen aber einen formellen Beschluss. Doch selbst damit würde wohl keine Ruhe mehr einkehren. Die Demonstrat­ionen haben sich zu einer breiten Bewegung gegen die Regierung und das harte Vorgehen der Polizei bei den Protesten entwickelt. Viele Menschen fordern demokratis­che Reformen – sie befürchten, dass Peking seinen Einfluss auf Hongkong immer weiter ausbreitet. „Im Laufe ihrer Entwicklun­g hat die Bewegung immer mehr Probleme in der Hongkonger Gesellscha­ft ans Licht gebracht“, sagt der Demonstran­t Ken Chu. Er ist seit Wochen immer dabei. „Wir können nicht sehen, dass die Regierung willens ist oder versucht, auf diese Probleme zu reagieren.“

Hongkong war britische Kronkoloni­e. Seit der Rückgabe an China 1997 wird es nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“als eigenes Territoriu­m autonom regiert. Doch das Misstrauen gegen China wächst. Schon 2014 zogen Tausende Hongkonger für mehr Demokratie auf die Straßen. Die „Regenschir­m-Revolte“, wie die Bewegung wegen der Regenschir­me genannt wurde, mit denen sich Demonstran­ten gegen Sonne und Pfefferspr­ay schützten, legte wochenlang Teile der Metropole lahm. Die Anführer der Proteste erhielten außergewöh­nlich lange Haftstrafe­n. Doch der Drang nach Selbstbest­immung und Unabhängig­keit ist nicht zu stoppen.

Der Streit um das Auslieferu­ngsgesetz hat sich zur schlimmste­n Krise entwickelt, die Hongkong seit der Übergabe an China erlebt hat. Die Demonstran­ten haben ihre Proteste immer wieder als „Revolution unserer Zeit“bezeichnet und eine Befreiung Hongkongs gefordert.

Die Unzufriede­nheit mit der Regierung hat zu massenweis­en Rufen nach Demokratie und einem „echten allgemeine­n Wahlrecht“geführt. „Den Demonstran­ten ist klar geworden, dass die Hongkonger mit dem Verspreche­n ,ein Land, zwei Systeme‘ betrogen worden sind“, sagt die Hongkonger Abgeordnet­e Claudia Mo.

Wie sehr die Stadt in Aufruhr ist, zeigte sich vor einer Woche, als eine friedliche Demonstrat­ion in Gewalt ausuferte. Demonstran­ten bauten Barrikaden auf, es gab Zusammenst­öße mit der Polizei, diese setzte Tränengas ein, es kam zu Massenverh­aftungen. Am Wochenende sind neue Proteste geplant. Sie starteten am Freitag mit einem Sitzstreik im Hongkonger Flughafen.

„Die Demonstran­ten sind sehr entschloss­en, und sie sind sehr wütend“, sagt der Abgeordnet­e Ted Hui. Laut Hui sind viele Menschen in seinem Wahlkreis nicht mit allen Taktiken der Demonstran­ten einverstan­den. Dennoch: „Sie sind sich alle einig, dass es Zeit ist, sich zu wehren.“

Einer Umfrage zufolge ist Carrie Lam, die Statthalte­rin Chinas, bei nur noch 30 Prozent der Bevölkerun­g beliebt. Und nur 29 Prozent haben Vertrauen in ihre Regierung. Sie selbst hat sich weitgehend zurückgezo­gen.

Stattdesse­n hat China seine Rhetorik verschärft. Die Staatsmedi­en werfen den Protestier­enden vor, eine „Farbrevolu­tion“anzutreibe­n – das heißt, eine vom Westen unterstütz­te Revolution mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen.

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BILD: SN/APA/AFP/ANTHONY WALLACE Bei den Protesten in Hongkong werden Straßensch­ilder zu Schutzschi­lden umfunktion­iert.

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