Sternstunden mit „Ulysses“von James Joyce
Die Marathonlesung hat gezeigt: „Ulysses“ist es wert, vorgelesen zu werden.
SALZBURG. „Ulysses“gilt als eines der berühmtesten nicht gelesenen Bücher der Welt. Auf tausend Seiten erzählt James Joyce von einem Tag im Leben des Leopold Bloom und seinen Erlebnissen in Dublin. Bloom besucht einen Pub, geht auf eine Beerdigung, grämt sich über die Affäre seiner Frau Molly, trifft den Lehrer Stephen Dedalus, diskutiert über Gott und die Welt und kauft eine Seife. Es geht also um alles und nichts. Dass dieses für viele als unlesbar geltende Buch aber nicht un-vorlesbar ist, wurde in der Nacht auf Freitag bei der Marathonlesung im Salzburger Landestheater bewiesen.
„Dieser Einfall mit dem jüngsten Tag. Die ganze Bagage aus ihren Gräbern trommeln. Lazarus, komm herfür! Und er kam herfünf, und Pustekuchen. Alles aufstehn! Jüngster Tag! jeder grapscht wie wild nach seiner Leber, seinen Glotzern und den restlichen Siebensachen.“Man könnte dem Schauspieler Burghart Klaußner stundenlang zuhören, wenn er die Gespräche Blooms bei der Beerdigung auf unterhaltend ironische Weise wiedergibt. Er braucht keine wilde Gestik, er setzt hauptsächlich auf seine großartige Erzählerstimme.
Wie er und Corinna Harfouch das erotische Abenteuer von Bloom und dem Mädchen Gerty am Strand lasen, war das Glanzstück des Abends. Als Harfouch säuselte: „Er starrte sie an wie die Schlange seine Beute“, blickte Klaußner verdutzt ins Publikum. Kurz darauf kokettierte er mit der jugendlichen Verführerin.
Harfouch erwies sich mit ihrer lebendigen, ausdrucksstarken Interpretation als die Stimme des Abends. Wie eine Dirigentin stand sie am Pult und bewegte ihre Hände und gar den ganzen Körper zum wechselnden Rhythmus des Textes. Auf einmal schlich Birgit Minichmayr auf die Bühne, schmiegte sich fast wie eine Katze an den Tisch und raunte den Text von Molly Bloom, die auf Nachrichten vom Verehrer wartet: „Für wen sind die Briefe?“
Harfouch, Minichmayr und Klaußner sind allerdings keine „Ulysses“-Neulinge, sondern haben bereits in Hörspielfassungen mitgewirkt. Für Volker Bruch, bekannt aus der Serie „Babylon Berlin“, war es der erste Auftritt bei den Salzburger Festspielen. Zunächst war sein Vortrag noch etwas farblos, wodurch es schwerfiel, sich von ihm und seiner klaren Stimme einfangen zu lassen. Doch auch er las sich warm und gab einen überzeugend nüchternen Stephen Dedalus.
Der vielstimmige „Ulysses“mit seiner Vielzahl von Stilformen verlangt nahezu nach unterschiedlichen Stimmen, die ihn lesen. Jeder der vier Schauspieler verlieh den Charakteren individuelle Färbungen; jeder verwandelte auf seine Art Joyces Text in herrlich rhythmisierte, melodiöse Sprache. Die wechselnde Zusammensetzung – einmal allein, einmal zu zweit, dann sogar alle vier an einem Tisch – sorgte für ein kurzweiliges Festspielerlebnis. Immer wenn im Laufe der bis ein Uhr früh dauernden Lesung das Gefühl der Müdigkeit aufzukommen drohte, wurde das Publikum durch Überraschungsmomente wachgerüttelt und erneut in den Bann des Joyce’schen Textes gezogen.
So wie im vorletzten Kapitel, als Volker Bruch und Burghart Klaußner in Form eines Frage-AntwortSpiels eine Konversation zwischen Bloom und Dedalus auf amüsante Weise wiedergaben. Als kurz nach Mitternacht, also nach über fünf Stunden, noch ein lautes Gelächter durch den Saal geht, wird klar, dass ein von diesen vier Schauspielern vorgelesener „Ulysses“kurzweilig und reich an Überraschungen ist.
Corinna Harfouch erwies sich als die Stimme des Abends
Kurzweilig und reich an Überraschungen