Medienwahlkampf ist Pflicht, die Basisarbeit eine Kür
Die am Montag gestarteten „Sommergespräche“des ORF bieten lediglich eine Verschnaufpause. Das gilt nicht nur für das ruhig angelegte Format, sondern auch ihren saisonalen Zeitrahmen. Österreichs Innenpolitik übt den Zackzack-Ferragosto. Doch ab der Woche nach Mariä Himmelfahrt unterzieht sich der parteiliche Wettstreit einem noch nie da gewesenen TV-Stakkato. In den 40 Tagen vor der Nationalratswahl gibt es kaum einen Fernsehabend ohne Sendung mit den Spitzenkandidaten. Allein fünf Elefantenrunden stehen auf den diversen Programmen. Das ist mehr als eine weitere Etappe in der fortschreitenden Amerikanisierung des Wahlkampfs. Eine derart massive Konzentration auf die BildschirmAuseinandersetzung hat es im gesamten deutschsprachigen Raum noch nicht gegeben.
Das zwingt zu ungewöhnlicher Wahlkampfführung: Durch die Wien-Dominanz der Fernsehstudios ist das politische Spitzenpersonal ab 19. August fast nur noch in Ostösterreich unterwegs. Das lässt einerseits den Nachgereihten und den Kandidaten auf den Landeslisten im Westen und Süden mehr Spielraum. Das bevorzugt andererseits die einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ mit ihrer immer noch europaweit herausragenden Funktionärsdichte. Sogar die Social-Media-Dominanz der FPÖ kann dies nicht wettmachen. Auch die grünen Regierungsbeteiligungen zwischen Mond- und Bodensee gleichen die Engmaschigkeit eines – hier vor allem schwarzen – Netzes von Parteigängern nicht aus.
Digitalisierung wie TV-Trend verleiten zu falschen Rückschlüssen über wirksame Kampagnenführung. Der Medienwahlkampf ist mittlerweile sogar auf regionaler und kommunaler Ebene Pflicht. Die Kür besteht heute in dem, was früher als Grundlage galt: echter Kontakt zu den Bürgern. Die Qualitätsanforderungen an diese Basisarbeit steigen jedoch, weil sie sich an Fernsehauftritten orientieren. Je mehr Funktionäre wirksame Hausbesuche absolvieren können, desto besser für eine Liste. Diesen Nachteil für kleine Parteien wie die Neos wiegt ihr Vorteil im österreichischen Bildschirmwahlkampf mehr als nur auf. Dort stehen ihre Spitzenkandidaten echten Kanzleraspiranten auf Augenhöhe gegenüber. Darauf würde sich etwa ein Titelverteidiger in den USA oder Deutschland nie einlassen. Doch hier wie dort entscheidet neben der enormen TV-Präsenz vor allem die weniger auffällige persönliche Ansprache im Hintergrund.
Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.