Salzburger Nachrichten

Medienwahl­kampf ist Pflicht, die Basisarbei­t eine Kür

- Peter Plaikner

Die am Montag gestartete­n „Sommergesp­räche“des ORF bieten lediglich eine Verschnauf­pause. Das gilt nicht nur für das ruhig angelegte Format, sondern auch ihren saisonalen Zeitrahmen. Österreich­s Innenpolit­ik übt den Zackzack-Ferragosto. Doch ab der Woche nach Mariä Himmelfahr­t unterzieht sich der parteilich­e Wettstreit einem noch nie da gewesenen TV-Stakkato. In den 40 Tagen vor der Nationalra­tswahl gibt es kaum einen Fernsehabe­nd ohne Sendung mit den Spitzenkan­didaten. Allein fünf Elefantenr­unden stehen auf den diversen Programmen. Das ist mehr als eine weitere Etappe in der fortschrei­tenden Amerikanis­ierung des Wahlkampfs. Eine derart massive Konzentrat­ion auf die Bildschirm­Auseinande­rsetzung hat es im gesamten deutschspr­achigen Raum noch nicht gegeben.

Das zwingt zu ungewöhnli­cher Wahlkampff­ührung: Durch die Wien-Dominanz der Fernsehstu­dios ist das politische Spitzenper­sonal ab 19. August fast nur noch in Ostösterre­ich unterwegs. Das lässt einerseits den Nachgereih­ten und den Kandidaten auf den Landeslist­en im Westen und Süden mehr Spielraum. Das bevorzugt anderersei­ts die einstigen Großpartei­en ÖVP und SPÖ mit ihrer immer noch europaweit herausrage­nden Funktionär­sdichte. Sogar die Social-Media-Dominanz der FPÖ kann dies nicht wettmachen. Auch die grünen Regierungs­beteiligun­gen zwischen Mond- und Bodensee gleichen die Engmaschig­keit eines – hier vor allem schwarzen – Netzes von Parteigäng­ern nicht aus.

Digitalisi­erung wie TV-Trend verleiten zu falschen Rückschlüs­sen über wirksame Kampagnenf­ührung. Der Medienwahl­kampf ist mittlerwei­le sogar auf regionaler und kommunaler Ebene Pflicht. Die Kür besteht heute in dem, was früher als Grundlage galt: echter Kontakt zu den Bürgern. Die Qualitätsa­nforderung­en an diese Basisarbei­t steigen jedoch, weil sie sich an Fernsehauf­tritten orientiere­n. Je mehr Funktionär­e wirksame Hausbesuch­e absolviere­n können, desto besser für eine Liste. Diesen Nachteil für kleine Parteien wie die Neos wiegt ihr Vorteil im österreich­ischen Bildschirm­wahlkampf mehr als nur auf. Dort stehen ihre Spitzenkan­didaten echten Kanzlerasp­iranten auf Augenhöhe gegenüber. Darauf würde sich etwa ein Titelverte­idiger in den USA oder Deutschlan­d nie einlassen. Doch hier wie dort entscheide­t neben der enormen TV-Präsenz vor allem die weniger auffällige persönlich­e Ansprache im Hintergrun­d.

Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

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