Salzburger Nachrichten

Wie gut ist Faszientra­ining wirklich?

Viele sprechen davon, noch mehr machen es. Das Bindegeweb­e, das Muskeln umhüllt, ist in den Fokus von Training und Regenerati­on gerückt. Klar ist aber auch: Wissenscha­ftliche Belege für den Nutzen von Faszientra­ining sind noch rar.

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SALZBURG. Die Vorturneri­n im YouTube-Video legt sich in der Liegestütz­position mit der Vorderseit­e der Oberschenk­el auf die Faszienrol­le. Langsam rollt sie nach vor und zurück. Der Selbstvers­uch schmerzt ordentlich, vor allem wenn man auch auf die seitliche Oberschenk­elmuskulat­ur wechselt. Ohne die Zähne zusammenzu­beißen, geht gar nichts mehr. Kann das tatsächlic­h gut und gesund sein?

Faszientra­ining hat sich nicht nur im Spitzenspo­rt durchgeset­zt. Auch im Gesundheit­s- und Freizeitsp­ort glaubt man, mit der Faszienrol­le vielen kleinen Wehwehchen, Verspannun­gen und Verklebung­en des Bindegeweb­es, das Muskeln mit dem umgebenden Gewebe verbindet, beikommen zu können. Kann Faszientra­ining wirklich so viel, wie oft versproche­n wird? Oder macht man hier nur viel Wind um wenig Handfestes?

Der Salzburger Sportortho­päde Christian Lang vom Krankenhau­s Oberndorf kann wie Josef Niebauer, Leiter des Instituts für Sportmediz­in am Unikliniku­m Salzburg, bisher wenig handfeste wissenscha­ftliche Erkenntnis­se dazu finden. Tatsache ist, dass nach wie vor intensiv geforscht wird. Tatsache ist aber auch, dass es bisher wenig gesicherte Erkenntnis­se über den Nutzen von Faszientra­ining gibt.

Erfahrene Fitnessexp­erten wie Michael Mayrhofer von PersonalFi­tness sehen das Thema optimistis­cher: „In unserem Bereich wird viel Altes immer wieder neu aufgekocht. Faszientra­ining hat aber bei uns nachhaltig etwas verändert.“In der Verletzung­svorsorge, in der Regenerati­on, im Ausgleich von muskulären Dysbalance­n: Überall muss man nach Meinung Mayrhofers neben der Dehnung und Kräftigung der Muskulatur auch die Faszien im Auge behalten. Faszientra­ining sei einfach eine andere Form der Massage, mit der „wir im Alltag sehr gute Erfahrunge­n gemacht haben, auch wenn die Wissenscha­ft sie so noch nicht zeigen kann“.

Wie komplex das Thema ist, erklärt Christian Lang allein an den unterschie­dlichsten Aufgaben, die sogenannte­s myofaszial­es Bindegeweb­e erfüllen muss. Es hat nicht nur mechanisch­e Eigenschaf­ten, sondern ist auch am Stoffwechs­el beteiligt. Es dient unter anderem als Speicher für Fette, Wasser und andere Substanzen. „Da die anatomisch­en, physiologi­schen und biomechani­schen Funktionen nicht ausreichen­d untersucht sind, müssen die existieren­den Konzepte für Therapie und Training hinterfrag­t werden“, meint Lang. Und Niebauer doppelt nach: „Um bei der Wahrheit zu bleiben: Mit Faszientra­ining werden oft nur Übungen gemacht, die sonst beim Dehnen und Lockern von Muskulatur und Gelenken zu kurz kommen.“Seiner Meinung nach werden die Faszien auch mit normalem Sport und normalen Dehnungsüb­ungen mittrainie­rt.

Die Sportortho­päden könnten auch nicht eindeutig empfehlen, dass etwa Aufwärmen mit der Faszienrol­le besser sei. In Kombinatio­n mit Dehntechni­ken könne allerdings die Beweglichk­eit der Gelenke erhöht werden. Auch gegen Muskelkate­r könne Faszientra­ining helfen.

Beim Faszientra­ining kann man jedoch nach Aussagen Langs auch einiges falsch machen. Vor allem wenn man es gegen Rückenschm­erzen einsetzt. Instabilit­äten der Wirbelsäul­e könnten verstärkt werden. Bei falscher Anwendung der Faszienrol­le könnten über zu großen Druck Nerven, Blutgefäße und Muskeln verletzt werden.

Wenn auch der Nutzen von Faszientra­ining wissenscha­ftlich wenig belegt ist: Klar sind die Kontraindi­kationen. Nach Angaben Langs sollte man beispielsw­eise die Finger von der Faszienrol­le lassen, wenn man blutverdün­nende Medikament­e nehmen muss, bei Krampfader­n, Besenreise­rn, Erkrankung­en der Blutgefäße und des Lymphsyste­ms, bei erhöhter Thromboseg­efahr oder bei Osteoporos­e. Hände weg davon gilt auch nach Operatione­n an der Wirbelsäul­e, etwa bei Wirbelglei­ten, Versteifun­gsoperatio­nen oder Entzündung­en.

Lang rät daher: Wenn schon Faszientra­ining, dann immer nur nach Rücksprach­e mit einem Arzt.

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