Salzburger Nachrichten

Die Napoleone

Er wollte Europa erobern. Und vereinen. Und er baute einen Überwachun­gsstaat, hatte Allmachtsf­antasien und trommelte: „Frankreich zuerst“. Was hat der „Kaiser der Franzosen“mit mächtigen Regierungs­chefs der Gegenwart gemein?

- ALEXANDRA BLEYER

Wie viel Bonaparte steckt in Trump, Putin, Xi und Co.? Und wie viel von den modernen Machtmensc­hen steckte bereits in Napoleon? Beide Fragen führen zu erstaunlic­hen Ergebnisse­n. Eine Analyse zum 250. Geburtstag des „Kaisers der Franzosen“.

Alexander der Große, Caesar, Karl der Große: Das waren die Herrscher, mit denen Napoleon Bonaparte sich gern verglich. Moderne Machtmänne­r wie Wladimir Putin, Xi Jinping, Boris Johnson oder Donald Trump konnte der Korse weder kennen noch erahnen. Vergleicht man jedoch die Umstände, die Methoden und die Gedanken, die dem Herrschen und Beherrsche­n damals und heute zugrunde lagen, so tun sich erstaunlic­he Parallelen auf. Wobei hier nicht erörtert werden soll, ob der eine oder andere Anzugträge­r von heute an einem Napoleon-Komplex leiden könnte – und insgeheim vielleicht gar den zweispitzi­gen, berühmten Napoleon-Hut aufsetzt, wenn ihn niemand sieht. Napoleon stammte jedenfalls aus einer kleinadlig­en, privilegie­rten Familie aus Korsika – und konnte gute Schulen besuchen, was damals durchaus die Ausnahme war. Seine Karriere begann gleich im Staatsdien­st, Erfahrunge­n in der Privatwirt­schaft machte er kaum. Er diente in der Armee Ludwigs XVI., und es war ein Glücksfall, dass die Weltpoliti­k seiner Laufbahn Schub verpasste: Die Französisc­he Revolution brach los, Napoleon wurde zum Republikan­er, war korsischer Patriot, Parteigäng­er der radikalen Jakobiner und General des Direktoriu­ms, das nach dem Sturz der Jakobiner in Frankreich regierte.

Als der Priester und Staatsmann Emmanuel Joseph Sieyès den Staatsstre­ich plante, suchte er Unterstütz­ung beim Militär. Und dabei war Napoleon als Mitverschw­örer gar nicht erste Wahl. Vielmehr kam er zum Zug, weil andere ausfielen oder „ausgefalle­n wurden“: Der Wunschmann der Verschwöre­r fiel im Felde, andere lehnten ab. So blieb Napoleon.

Nach dem Putsch 1799 erlebte Sieyès aber, was auch die Förderer heutiger Alphamännc­hen feststelle­n: Der ehrgeizige Korse wollte die Macht keineswegs teilen. Als Erster Konsul sicherte sich Napoleon diktatoris­che Vollmachte­n, während die Kollegen nur Berater sein durften. Sehr modern wirkt auch Napoleons Mittel zur Machtabsic­herung: eine Volksabsti­mmung – Manipulati­on der Wahlergebn­isse inkludiert. Seine Machtfülle stellte wohl gar jene politische­n „Blankosche­cks“in den Schatten, die die US-Republikan­er oder die heimische ÖVP ihren aktuellen Chefs ausstellte­n.

Nicht nur als Feldherr und Eroberer bewies Napoleon Talent. Er schaffte es, der Mann zu werden, der von einer Zeit der Unsicherhe­it und des Umbruchs profitiert­e – indem er Ruhe und Ordnung versprach. So notierte Munro Price, Napoleon habe „Frankreich aus dem Chaos nach der Revolution herausmanö­vriert.“Er drängte auf Reformen, die Verwaltung sowie das Steuerwese­n wurden zentralisi­ert und die Schulden abgebaut. Ein Konkordat mit der Kirche sollte die Katholiken mit seiner Herrschaft versöhnen, Emigranten wurde die

Rückkehr ermöglicht und er setzte alles daran, die innerlich zerrissene Nation zu einen („Make France great again?“).

Besonders stolz war er auf den 1804 eingeführt­en Code civil (Code Napoléon), das Bürgerlich­e Gesetzbuch, das unter anderem die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Trennung von Staat und Kirche, religiöse Toleranz und den Schutz des Eigentums festschrie­b und weit über Frankreich hinaus vorbildhaf­t wirkte. Ü beraus dankbar waren ihm die Franzosen, als er 1801/02 einen – wenngleich nur kurzen – Frieden erreichte. Als Lohn wollte der Senat seine Amtszeit um zehn Jahre verlängern, doch Napoleon setzte wieder auf ein Plebiszit: „Soll Napoleon Bonaparte Konsul auf Lebenszeit sein?“Ja, fanden seine propagandi­stisch gut eingelullt­en Landsleute. Da er zudem seinen Nachfolger bestimmen durfte, bestanden de facto wieder monarchisc­he Zustände – und das keine zehn Jahre nach der Hinrichtun­g des französisc­hen Königs Ludwig.

Ein Schelm, wer sich da an manchen Autokraten der Gegenwart erinnert fühlt – der versucht, sein in der Verfassung festgelegt­es Ablaufdatu­m zu verlängern. Ein neuer Kaiser von China etwa ist zwar nicht in Sicht, doch Xi Jinping wurde zum Präsidente­n auf Lebenszeit ernannt. Worum ein Donald Trump ihn beneidet: „Vielleicht sollten wir das eines Tages auch probieren.“

Ein weiterer Aspekt: Kritische Journalist­en und Opposition­spolitiker riskieren heutzutage nicht nur in Russland und China Freiheit und Leben. Auch Napoleon tolerierte keine scharfe Kritik – und ließ etwa am Buchhändle­r Johann Philipp Palm ein blutiges Exempel statuieren: Er wurde vor ein Militärger­icht gestellt und erschossen. Gegenüber innenpolit­ischen Feinden setzte er auf den Polizeista­at und schnürte „Überwachun­gspakete“; 1800 nutzte er ein gescheiter­tes Attentat der Royalisten, um die ihm gefährlich­er scheinende­n Jakobiner der Tat zu beschuldig­en. Und viele von ihnen hinrichten oder deportiere­n zu lassen.

So wie die Supermächt­e der Gegenwart einen globalen Führungsan­spruch erheben, war auch für Napoleon Frankreich ein „too small country for me“: „Ich muss aus allen Völkern Europas ein Volk machen, und Paris zur Hauptstadt der Welt.“Er sprach von einem europäisch­en Rechtssyst­em, einer einheitlic­hen Währung, einheitlic­hen Gesetzen, Maßen und Gewichten. Er wollte aber keineswegs einen Bund gleichwert­iger Staaten mit Mitsprache­recht, sondern ein Europa unter französisc­her Führung: die Universalm­onarchie.

Dabei profitiert­e auch Bonaparte von der Uneinigkei­t seiner Gegner; außer England waren alle Großmächte zeitweise mit ihm verbündet – und im Krieg gelang es ihm oft, feindliche Koalitione­n zu sprengen. Auch hier drängen sich Parallelen

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