Die Napoleone
Er wollte Europa erobern. Und vereinen. Und er baute einen Überwachungsstaat, hatte Allmachtsfantasien und trommelte: „Frankreich zuerst“. Was hat der „Kaiser der Franzosen“mit mächtigen Regierungschefs der Gegenwart gemein?
Wie viel Bonaparte steckt in Trump, Putin, Xi und Co.? Und wie viel von den modernen Machtmenschen steckte bereits in Napoleon? Beide Fragen führen zu erstaunlichen Ergebnissen. Eine Analyse zum 250. Geburtstag des „Kaisers der Franzosen“.
Alexander der Große, Caesar, Karl der Große: Das waren die Herrscher, mit denen Napoleon Bonaparte sich gern verglich. Moderne Machtmänner wie Wladimir Putin, Xi Jinping, Boris Johnson oder Donald Trump konnte der Korse weder kennen noch erahnen. Vergleicht man jedoch die Umstände, die Methoden und die Gedanken, die dem Herrschen und Beherrschen damals und heute zugrunde lagen, so tun sich erstaunliche Parallelen auf. Wobei hier nicht erörtert werden soll, ob der eine oder andere Anzugträger von heute an einem Napoleon-Komplex leiden könnte – und insgeheim vielleicht gar den zweispitzigen, berühmten Napoleon-Hut aufsetzt, wenn ihn niemand sieht. Napoleon stammte jedenfalls aus einer kleinadligen, privilegierten Familie aus Korsika – und konnte gute Schulen besuchen, was damals durchaus die Ausnahme war. Seine Karriere begann gleich im Staatsdienst, Erfahrungen in der Privatwirtschaft machte er kaum. Er diente in der Armee Ludwigs XVI., und es war ein Glücksfall, dass die Weltpolitik seiner Laufbahn Schub verpasste: Die Französische Revolution brach los, Napoleon wurde zum Republikaner, war korsischer Patriot, Parteigänger der radikalen Jakobiner und General des Direktoriums, das nach dem Sturz der Jakobiner in Frankreich regierte.
Als der Priester und Staatsmann Emmanuel Joseph Sieyès den Staatsstreich plante, suchte er Unterstützung beim Militär. Und dabei war Napoleon als Mitverschwörer gar nicht erste Wahl. Vielmehr kam er zum Zug, weil andere ausfielen oder „ausgefallen wurden“: Der Wunschmann der Verschwörer fiel im Felde, andere lehnten ab. So blieb Napoleon.
Nach dem Putsch 1799 erlebte Sieyès aber, was auch die Förderer heutiger Alphamännchen feststellen: Der ehrgeizige Korse wollte die Macht keineswegs teilen. Als Erster Konsul sicherte sich Napoleon diktatorische Vollmachten, während die Kollegen nur Berater sein durften. Sehr modern wirkt auch Napoleons Mittel zur Machtabsicherung: eine Volksabstimmung – Manipulation der Wahlergebnisse inkludiert. Seine Machtfülle stellte wohl gar jene politischen „Blankoschecks“in den Schatten, die die US-Republikaner oder die heimische ÖVP ihren aktuellen Chefs ausstellten.
Nicht nur als Feldherr und Eroberer bewies Napoleon Talent. Er schaffte es, der Mann zu werden, der von einer Zeit der Unsicherheit und des Umbruchs profitierte – indem er Ruhe und Ordnung versprach. So notierte Munro Price, Napoleon habe „Frankreich aus dem Chaos nach der Revolution herausmanövriert.“Er drängte auf Reformen, die Verwaltung sowie das Steuerwesen wurden zentralisiert und die Schulden abgebaut. Ein Konkordat mit der Kirche sollte die Katholiken mit seiner Herrschaft versöhnen, Emigranten wurde die
Rückkehr ermöglicht und er setzte alles daran, die innerlich zerrissene Nation zu einen („Make France great again?“).
Besonders stolz war er auf den 1804 eingeführten Code civil (Code Napoléon), das Bürgerliche Gesetzbuch, das unter anderem die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Trennung von Staat und Kirche, religiöse Toleranz und den Schutz des Eigentums festschrieb und weit über Frankreich hinaus vorbildhaft wirkte. Ü beraus dankbar waren ihm die Franzosen, als er 1801/02 einen – wenngleich nur kurzen – Frieden erreichte. Als Lohn wollte der Senat seine Amtszeit um zehn Jahre verlängern, doch Napoleon setzte wieder auf ein Plebiszit: „Soll Napoleon Bonaparte Konsul auf Lebenszeit sein?“Ja, fanden seine propagandistisch gut eingelullten Landsleute. Da er zudem seinen Nachfolger bestimmen durfte, bestanden de facto wieder monarchische Zustände – und das keine zehn Jahre nach der Hinrichtung des französischen Königs Ludwig.
Ein Schelm, wer sich da an manchen Autokraten der Gegenwart erinnert fühlt – der versucht, sein in der Verfassung festgelegtes Ablaufdatum zu verlängern. Ein neuer Kaiser von China etwa ist zwar nicht in Sicht, doch Xi Jinping wurde zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt. Worum ein Donald Trump ihn beneidet: „Vielleicht sollten wir das eines Tages auch probieren.“
Ein weiterer Aspekt: Kritische Journalisten und Oppositionspolitiker riskieren heutzutage nicht nur in Russland und China Freiheit und Leben. Auch Napoleon tolerierte keine scharfe Kritik – und ließ etwa am Buchhändler Johann Philipp Palm ein blutiges Exempel statuieren: Er wurde vor ein Militärgericht gestellt und erschossen. Gegenüber innenpolitischen Feinden setzte er auf den Polizeistaat und schnürte „Überwachungspakete“; 1800 nutzte er ein gescheitertes Attentat der Royalisten, um die ihm gefährlicher scheinenden Jakobiner der Tat zu beschuldigen. Und viele von ihnen hinrichten oder deportieren zu lassen.
So wie die Supermächte der Gegenwart einen globalen Führungsanspruch erheben, war auch für Napoleon Frankreich ein „too small country for me“: „Ich muss aus allen Völkern Europas ein Volk machen, und Paris zur Hauptstadt der Welt.“Er sprach von einem europäischen Rechtssystem, einer einheitlichen Währung, einheitlichen Gesetzen, Maßen und Gewichten. Er wollte aber keineswegs einen Bund gleichwertiger Staaten mit Mitspracherecht, sondern ein Europa unter französischer Führung: die Universalmonarchie.
Dabei profitierte auch Bonaparte von der Uneinigkeit seiner Gegner; außer England waren alle Großmächte zeitweise mit ihm verbündet – und im Krieg gelang es ihm oft, feindliche Koalitionen zu sprengen. Auch hier drängen sich Parallelen