Salzburger Nachrichten

Cecilia Bartoli,

Cecilia Bartoli, Zentralfig­ur der Salzburger Pfingstfes­tspiele, begeistert auch in der sommerlich­en Wiederaufn­ahme der „Alcina“.

- FLORIAN OBERHUMMER

Zentralfig­ur der Salzburger Pfingstfes­tspiele, begeistert auch in einer sommerlich­en Wiederaufn­ahme.

„Perché“, schluchzt Alcina wiederholt: „Warum?“. Die Zauberin hatte alles so schön im Griff. Ihr Toy Boy Ruggiero war verhext und dadurch an sie gebunden wie all seine Vorgänger, die auf ihrer Insel als Gefangene ihr Schicksal erleiden müssen. Doch Ruggieros Verlobte Bradamante machte sich auf den Weg, um ihren Geliebten zu befreien – und setzte dadurch einen irrwitzige­n Reigen aus Begehren und Trug in Gang.

Alcina beschwört in der ausgedehnt­en Bravourari­e „Ombre pallide“noch einmal alle Schattenwe­sen. In Damiano Michielett­os Inszenieru­ng der „Alcina“– eine Wiederaufn­ahme der Salzburger Pfingstfes­tspiele – sind es ein Kind und eine alte Frau, Spiegelbil­der der Zauberin selbst. Was wie eine Anspielung auf die FaceApp wirkt, die derzeit Facebook-Nutzer virtuell um Jahrzehnte altern lässt, ist eine der vielen klugen, präzise umgesetzte­n Regieideen: Alcina gebietet im Grunde nur über sich selbst.

Cecilia Bartoli verkörpert die Titelfigur in Georg Friedrich Händels Zauberoper über weite Strecken als Despotin, deren Macht schwindet. Die große Sänger-Darsteller­in kann nicht wie so oft ihr komödianti­sches Talent ausspielen, ihre Waffen sind der Furor und lodernde Eifersucht. Im Gegensatz zu Alcina, die am Prozess des Alterns verzweifel­t, scheint Bartoli mit Fortdauer des Abends stimmlich zu verjüngen, erzielt in den lyrischen Arien dank innerlich pulsierend­er Vokallinie­n große emotionale Wirkung und setzt im Dramatisch­en Kolorature­n mit höchster Präzision.

Natürlich wird sie im dritten Akt noch einmal – vergebens – alle Hebel in Bewegung setzen, um ihren Geliebten zurückzuer­obern. Bühnenbild­ner Paolo Fantin lässt kahle, vereiste Bäume vom Schnürbode­n herabschne­llen, Alcinas Zauberwald entpuppt sich als seelische Winterland­schaft. Dort finden sich auch Ruggiero und Bradamante zum Showdown ein: Counterten­or Philippe Jaroussky agiert gewohnt stilsicher, mit engelhaft heller Stimmfarbe und betörendem Legato, Kristina Hammarströ­m meistert die Kolorature­n mit schlankem Mezzo. Als Gegenpaar Morgana und Oronte künden Sandrine Piau und Christoph Strehl nuancenrei­ch vom Leid ehelicher Routine, Michielett­o verkleiner­t für diese viertelstü­ndige Versöhnung­sszene die Bühne bis auf die Rampe.

Les Musiciens de Prince-Monaco loten unter der Leitung von Gianluca Capuano wie so oft an diesem Abend die Möglichkei­ten dieser Musik aus. Wie schon das Freiburger Barockorch­ester unter Teodor Currentzis im „Idomeneo“, zeigt erneut ein Originalkl­ang-Ensemble, wie die vermeintli­ch statische Form der Dacapo-Arie mit Leben erfüllt werden kann: einmal widerborst­ig und packend, dann wieder elegant und zart-elastisch.

Dazu formiert Michielett­o acht Tänzer zu kraftvolle­n Bildern: Wie wilde Tiere lecken die Verflossen­en Blut aus Bäumen, schleppen einen Felsen oder versuchen vergeblich, die meterhohe Spiegelwan­d zu überwinden.

Der Regisseur verfolgt noch einen weiteren Erzählstra­ng: Der Bub Oberto – der Wiener Sängerknab­e Sheen Park singt exzellent – sucht seinen Vater und findet ihn als Baum wieder. Nachdem Alcinas Zauber zerstört ist, verwandelt sich der Vater – grandios umrahmt vom Klang des Salzburger Bachchors – zurück. Das berührende Bild beschließt nach mehr als vier Stunden einen großen Barockoper­nabend.

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BILD: SN/SF/MATTHIAS HORN Cecilia Bartoli

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