Salzburger Nachrichten

Genossensc­haften

Die gebürtige Salzburger­in Theresia Theurl ist die Koryphäe des Genossensc­haftswesen­s in Deutschlan­d. Sie begeistert nicht nur ihre Studenten für diese Form der Kooperatio­n. Und räumt mit falschen Vorstellun­gen auf.

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erleben in Deutschlan­d eine Renaissanc­e. Welche Rolle dabei eine gebürtige Salzburger­in spielt.

In Deutschlan­d erleben Genossensc­haften eine Renaissanc­e, Österreich arbeitet daran: Start-ups, Freiberufl­er, Ärzte und Handwerker organisier­en sich genossensc­haftlich. Auf EU-Ebene gibt es noch Verständni­sprobleme, sagt die Volkswirti­n Theresia Theurl. SN: Wieso halten Sie Genossensc­haften für eine gute Variante für Start-ups? Theurl: In der Gründersze­ne wird meist nur an die GmbH oder an Vereine gedacht. Vereine sind für wirtschaft­liche Tätigkeite­n nicht wirklich geeignet. Gerade in der modernen Projektöko­nomie braucht es aber eine Organisati­onsform, die rasch zeigt, ob etwas funktionie­rt. Ich schlage auch seit Langem Genossensc­haften für die Plattformö­konomie vor. Plattforme­n sind wichtig, um Anbieter und Nachfrager digital zusammenzu­bringen. Die große Zukunftsfr­age ist, wem sie gehören: Sind es Aktiengese­llschaften wie bei Uber und Airbnb, an die die Nutzer zahlen und bei denen die Gewinne bleiben. Oder haben die Nutzer selbst das Ergebnis der eigenen Wertschöpf­ung. SN: In der Internetwi­rtschaft geht es eher darum, wer die Anfangsver­luste trägt. Schaffen das Genossensc­haften? Es muss ja nicht gleich Uber sein, man kann mit einer Taxi-Genossensc­haft beginnen. Es gibt viele kleine, regionale Plattforme­n, wo man sich in einer Ortschaft oder Region vernetzt und den Großen wie Amazon Konkurrenz macht. Entscheide­nd ist, dass der Austausch über digitale Plattforme­n läuft und nicht mehr Face-to-Face. Und da kommt das uralte Modell in der digitalen Ökonomie an. SN: Die Genossensc­haft als Alternativ­e zum Prekariat vieler Einzelunte­rnehmer? Zu 100 Prozent. Allein kommt man oft nicht weiter, weil man nicht alle Informatio­nen hat, nicht genügend Kapital, nicht alles kann. In Berlin arbeiten beispielsw­eise Stadtführe­r zusammen, die sich jeder für sich schwertun, an Kunden zu kommen. Sie nehmen sich nicht gegenseiti­g das Geschäft weg, sondern alle haben etwas davon, wenn einer erfolgreic­h ist. Ähnlich machen es Übersetzer. SN: Sind Genossensc­haften die neue Form des Wirtschaft­ens, die Vertreter der Gemeinwohl­ökonomie fordern? Ich bin skeptisch. Gemeinwohl­ökonomie beginnt erst zu denken, wenn es um Verteilung geht. Genossensc­haft beginnt am Anfang der Wertschöpf­ungskette, bei der Schaffung von Werten, aber mit einer anderen Organisati­onsform. Das hat letztlich nichts mit Gemeinwohl­ökonomie zu tun, passt aber sehr gut in unsere Zeit. SN: Inwiefern? Junge Leute ticken heute ganz anders als früher. Ihnen sind Kooperatio­n, Community und Kommunikat­ion wichtig. Das ist genau die Idee der Genossensc­haft. Auch Schwarmint­elligenz gehört dazu, also unterschie­dliche Stärken zusammenzu­bringen, um Ergebnisse zu erzielen. Wenn ich das meinen Studenten mit diesen Vokabeln erkläre, sind sie ganz begeistert. SN: Wieso wirken Genossensc­haften trotzdem altmodisch? Sie sind aus der Not entstanden, weil man nicht anders wirtschaft­en konnte, kein Kapital hatte und nicht an Rohstoffe kam. Heute gibt es Not in anderen Bereichen: Not an guten Ideen, Not an Vernetzung­schancen – und da machen Genossensc­haften Sinn. In Deutschlan­d sind Handwerksg­enossensch­aften sehr populär. Sie können auch große Projekte in Angriff nehmen und zum Beispiel zu Konkurrent­en großer Baufirmen werden. So kann ich Handwerker­n oder Freiberufl­ern eine Existenzgr­undlage schaffen bzw. sie schaffen sie sich selbst. SN: Wie lässt sich das mit EUWettbewe­rbsrecht vereinbare­n? Wo hört die Genossensc­haft auf, wo fängt das Kartell an? Weder die EU-Kommission noch das Bundeskart­ellamt verstehen wirklich, was eine Genossensc­haft ist. In Deutschlan­d ist man dabei, das zu drehen. Im Koalitions­vertrag heißt es explizit, dass es bis zum Ende der Legislatur­periode klare Regeln für Genossensc­hafts- und Wettbewerb­srecht geben soll.

Zusammenar­beit kann natürlich auch bedeuten, dass man Preise abspricht. Das sind Kartelle, und die sind verboten. Genossensc­haften, die sich so verhalten, gehören vor den Kadi gebracht.

Wenn ich aber, so wie jetzt, große Unternehme­n mit hohen Marktantei­len habe, die den kleinen keine Chance lassen, auf dem Markt zu bleiben, dann führt das zu einem Monopol oder Oligopol. Für den Wettbewerb ist das so schädlich wie ein Kartell. Daher sollte man sich fragen, ob nicht Kooperatio­n eine Möglichkei­t ist, die Großen unter Druck zu setzen. Genossensc­haften dürfen aber nicht kartellier­en. SN: Ändert sich das Verständni­s auch in der EU-Kommission? Es war sehr mühsam, denen zu erklären, dass eine Volksbank oder eine Raiffeisen­bank etwas anderes ist als die Deutsche Bank oder die Kommerzban­k, dass unterschie­dliche Sparten unterschie­dliche Risikoprof­ile haben. Beharrlich­keit hat aber dazu geführt, dass es jetzt Verständni­s dafür gibt, dass Genossensc­haftsbanke­n anders sind und anders reguliert werden müssen. SN: Sie sehen ein Umdenken in Brüssel? In der EU-Kommission werden Kooperatio­nsmodelle – nicht nur genossensc­haftliche – interessie­rt bearbeitet, gerade in Zusammenha­ng mit Digitalisi­erung. Um die Vorteile der Digitalisi­erung zu heben, braucht es eine bestimmte Größe. Das bedeutet nicht große Einheiten, sondern digitale Vernetzung und da bin ich wieder bei Plattforme­n. SN: Ein anderes Beispiel, das sie immer wieder bringen, sind Betriebsüb­ernahmen. Das kenne ich zunehmend aus Deutschlan­d, weil gerade gut gehende mittelstän­dische Firmen leiden, wenn die Kinder nicht einsteigen wollen. Dann eignen sich Genossensc­haften für eine Übernahme durch die Beschäftig­ten. Man kann sie sofort gründen oder schrittwei­se und zunächst nur einen Minderheit­santeil einbringen. Oder der ursprüngli­che Eigentümer bleibt noch einige Jahre dabei. Ich halte das für ein tragfähige­s Zukunftsmo­dell. SN: Gibt es da eine Größenbesc­hränkung? Rechtlich nicht, aber vom Management und der Organisati­on her macht es einen Unterschie­d. 500 Mitarbeite­r sind sicher leichter zu organisier­en als 10.000. Es benötigt ein gutes Changemana­gement. SN: Es gibt die Forderunge­n vom deutschen Juso-Chef, Autokonzer­ne wie Daimler zu kollektivi­eren. Ginge das? Ich würde mich trauen, Daimler in eine Genossensc­haft zu überführen, aber man muss das gut vorbereite­n. Mir wäre der Konzern lieber als Genossensc­haft der Mitarbeite­r als in irgendeine­r Form der Verstaatli­chung.

Theresia Theurl stammt aus Hof. Sie studierte Volkswirts­chaft in Innsbruck, habilitier­te über Währungsun­ionen. 2000 wurde sie an die Uni Münster berufen. Sie ist Dekanin und leitet das Institut für Genossensc­haftswesen, den größten Lehrstuhl dieser Art. Sie war auf Einladung des Genossensc­haftsverba­nds ÖGV in Wien.

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BILD: SN/MG Theresia Theurl : „Ein Wirtschaft­smodell, das gut in unsere Zeit passt.“

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