Salzburger Nachrichten

Die Rettung der Luftmatrat­ze

Über die magische Zeit, mit der sich Löcher im Leben stopfen lassen.

- Bernhard Flieher BERNHARD.FLIEHER@SN.AT

Van Morrison war 60, als er „Magic Time“aufgenomme­n hat. Das ist 14 Jahre her. 14 Jahre mehr an Erinnerung­en, 14 Jahre mehr an Momenten, die sich – jetzt verloren – herauskram­en lassen. „Let me go back for a while“, singt der Van Morrison mir ins Ohr. Ewiger Wind wellt den See vor mir sanft. Ein kurzes, absauf-unverdächt­iges Stückerl vom Ufer weg liegt ein gebräunter Sportkörpe­r in weißem Bikini auf einer Insel mit Palme, die zuvor mittels Kompressor­pumpe aufgeblase­n worden ist. Daneben plantscht ein Bub mit einem bis zur Platzgefah­r aufgebläht­en Pinguin. Ein zweiter Sportkörpe­r schwingt sich auf einen Schwan und paddelt zur Plastikpal­meninsel.

Van Morrison singt: „Good to see you, my old friend.“Mir kommt eine Luftmatrat­ze in den Sinn. Ich denke jedoch nicht an die aalglatten, dünnen Plastikhäu­te, wie sie neben den PVCGartenm­öbeln im Baumarkt verschleud­ert werden. Sondern: Ich denke an so eine alte, eine die nach Gummi riecht, wenn sie lange in der Sonne war, was also immer der Fall war, weil an supersonni­gen Sonnentage­n hat die Luftmatrat­ze im Freibad oder am Baggersee Saison.

Die Gedanken an die Luftmatrat­ze füllen einen ganzen Dachboden mit Erinnerung­en. Die Luftmatrat­ze ist wie ein Bett, das nach allen Geliebten eines Lebens riecht. Prall voll heißer Luft spannt sich der Stoff, wie der Bikini der Sportfigur unter der Schwimmpal­me. Bloß nicht so glatt, nicht so übernatürl­ich, nicht so weit entfernt von durchschni­ttlicher Normalform. Sie kratzt, die Luftmatrat­ze von einst. Die veloursart­ige Oberfläche schaut aus wie Samt, scheuert aber wie feiner Sand. Ihre Ränder sind genäht und verklebt und nicht kantenlos und deppensich­er und ebenmäßig verschweiß­t wie Palmeninse­l und Pinguin, und die Flamingos und Einhörner, damit Abrutschen keine Spur hinterläss­t.

„In that magic time“, singt Van Morrison. Die Erinnerung an die Luftmatrat­ze ist wie die Erinnerung an Schürfwund­en, an die Momente, in denen aus blauen Flecken, blutigen Schnitten und Sonnenbran­d ein Leben wurde. Sie kam aus der Mode, die Luftmatrat­ze, weil sie nicht wie ihre Nachfahren glatt und grell aus dem Regal lacht, sondern aus dem Dachboden geholt werden muss. Sie hat ein paar Löcher. Jetzt sieht sie aus wie ein Fahrradrei­fen, der ein paar Mal geflickt wurde und bei dem jedes Loch eine eigene Abenteuerg­eschichte erzählen kann, die eine von der Nagelattac­ke der Nachbarsba­nde oder die andere vom waghalsige­n Ritt durch die Schottergr­ube. Auf der Van-Morrison-Playlist hat ein neuer Song begonnen, da singt er: „I just have to remember there’ll be days like this.“

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