Die Rettung der Luftmatratze
Über die magische Zeit, mit der sich Löcher im Leben stopfen lassen.
Van Morrison war 60, als er „Magic Time“aufgenommen hat. Das ist 14 Jahre her. 14 Jahre mehr an Erinnerungen, 14 Jahre mehr an Momenten, die sich – jetzt verloren – herauskramen lassen. „Let me go back for a while“, singt der Van Morrison mir ins Ohr. Ewiger Wind wellt den See vor mir sanft. Ein kurzes, absauf-unverdächtiges Stückerl vom Ufer weg liegt ein gebräunter Sportkörper in weißem Bikini auf einer Insel mit Palme, die zuvor mittels Kompressorpumpe aufgeblasen worden ist. Daneben plantscht ein Bub mit einem bis zur Platzgefahr aufgeblähten Pinguin. Ein zweiter Sportkörper schwingt sich auf einen Schwan und paddelt zur Plastikpalmeninsel.
Van Morrison singt: „Good to see you, my old friend.“Mir kommt eine Luftmatratze in den Sinn. Ich denke jedoch nicht an die aalglatten, dünnen Plastikhäute, wie sie neben den PVCGartenmöbeln im Baumarkt verschleudert werden. Sondern: Ich denke an so eine alte, eine die nach Gummi riecht, wenn sie lange in der Sonne war, was also immer der Fall war, weil an supersonnigen Sonnentagen hat die Luftmatratze im Freibad oder am Baggersee Saison.
Die Gedanken an die Luftmatratze füllen einen ganzen Dachboden mit Erinnerungen. Die Luftmatratze ist wie ein Bett, das nach allen Geliebten eines Lebens riecht. Prall voll heißer Luft spannt sich der Stoff, wie der Bikini der Sportfigur unter der Schwimmpalme. Bloß nicht so glatt, nicht so übernatürlich, nicht so weit entfernt von durchschnittlicher Normalform. Sie kratzt, die Luftmatratze von einst. Die veloursartige Oberfläche schaut aus wie Samt, scheuert aber wie feiner Sand. Ihre Ränder sind genäht und verklebt und nicht kantenlos und deppensicher und ebenmäßig verschweißt wie Palmeninsel und Pinguin, und die Flamingos und Einhörner, damit Abrutschen keine Spur hinterlässt.
„In that magic time“, singt Van Morrison. Die Erinnerung an die Luftmatratze ist wie die Erinnerung an Schürfwunden, an die Momente, in denen aus blauen Flecken, blutigen Schnitten und Sonnenbrand ein Leben wurde. Sie kam aus der Mode, die Luftmatratze, weil sie nicht wie ihre Nachfahren glatt und grell aus dem Regal lacht, sondern aus dem Dachboden geholt werden muss. Sie hat ein paar Löcher. Jetzt sieht sie aus wie ein Fahrradreifen, der ein paar Mal geflickt wurde und bei dem jedes Loch eine eigene Abenteuergeschichte erzählen kann, die eine von der Nagelattacke der Nachbarsbande oder die andere vom waghalsigen Ritt durch die Schottergrube. Auf der Van-Morrison-Playlist hat ein neuer Song begonnen, da singt er: „I just have to remember there’ll be days like this.“