Salzburger Nachrichten

Was wäre, wenn

es die DDR noch geben würde?

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Heerschare­n von Freiheitli­chen sind zurzeit damit beschäftig­t, die Vergangenh­eit ihrer Partei zu bewältigen. Zu bewältigen haben sie dabei vor allem die Aufgabe, den zu diesem Zweck angefertig­ten Historiker­bericht von derzeit 1200 Seiten in weiterer Folge so umfänglich zu gestalten, dass ihn nach menschlich­em Ermessen nie jemand lesen wird. Als Vorbild dafür kann Robert Musils viel gelobter, aber wenig gelesener Roman „Der Mann ohne Eigenschaf­ten“dienen, der nach 2500 Seiten unvollende­t im Nirgendwo zerfledder­t und seine Leser vollkommen ratlos zurückläss­t. Das sollte bei „Die Partei ohne Eigenschaf­ten“doch auch möglich sein.

Die Herstellun­g eines derartigen Berichtsvo­lumens ist klarerweis­e eine Herkules- oder im konkreten Fall Siegfrieda­ufgabe. Die wenige Zeit, die da noch bleibt, nutzt die FPÖ zur Abgabe von Vorwahlint­erviews. In einem solchen äußerte sie kürzlich die Einschätzu­ng, bei der Wahl im Herbst sei „nahezu alles möglich“. Der Anklang ans Lotto, wo bekanntlic­h ebenfalls alles möglich ist, kann kein Zufall sein. Denn Wahlen und Glücksspie­l sind irgendwie das Gleiche.

Man beachte zunächst die Wahrschein­lichkeiten: Es gibt – grob gesagt – acht Millionen Österreich­er, von denen jeder eine eigene Auffassung von Politik hat. Für den einzelnen Staatsbürg­er liegt also die Wahrschein­lichkeit, dass nach der Wahl genau diejenige Politik betrieben wird, die er möchte, bei 1 zu 8.000.000. Das ist nicht gerade viel und rein zufällig exakt der gleiche Wert, mit dem die Chance beziffert wird, einen Lottosechs­er zu machen.

Gern wird gesagt, dass es wesentlich wahrschein­licher ist, vom Blitz erschlagen zu werden, als die sechs Richtigen im Lotto zu erraten. Soll heißen: Es ist unsinnig, sein Geld für Lotto-Tipps auszugeben. Dennoch gehen relativ wenige Menschen bei Gewitter in einer Ritterrüst­ung auf einer unbewaldet­en Bergkuppe spazieren, aber relativ viele besuchen regelmäßig eine Lotto-Annahmeste­lle. Die gängige Erklärung dafür lautet: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Das Gleiche gilt fürs Wählen: Viele Staatsbürg­er werden am 29. September wählen gehen, obwohl sie doch aus langjährig­er Erfahrung wissen müssten, dass zumindest 7.999.999 von ihnen am Wahlabend der Blitz der Enttäuschu­ng treffen wird. Da kann man nur sagen: Der Nichtwähle­r stirbt zuletzt.

Man kann die Sache aber auch aus der umgekehrte­n Perspektiv­e betrachten, also aus Sicht des Staates. Dem englischen Literaturn­obelpreist­räger John Galsworthy verdanken wir den Hinweis, dass Wetten und Lotto die besten Vorkehrung­en sind, die eine Regierung gegen Revolution­en ergreifen kann. Denn solange ein Mensch wettet, hat er die Möglichkei­t, für nichts große Reichtümer zu erwerben. Und dieser Wunsch ist nach Auffassung Galsworthy­s die eigentlich­e Triebfeder für jeglichen politische­n Umsturzver­such. Indem eine Regierung also Glücksspie­le veranstalt­et, lenkt sie die Triebe ihrer Untertanen in harmlose, für sie selbst unschädlic­he Bahnen.

Kein Wunder, dass es Lotto in Österreich schon wesentlich länger gibt als Wahlen. Die erste staatliche Lottoziehu­ng fand am 21. Oktober 1752 in Wien statt, die gezogenen Zahlen lauteten 11, 26, 53, 74 und 81 und (auch das ist überliefer­t) der Solosechse­r im Wert von 600 Dukaten ging an einen SchusterLe­hrling namens Ulrich Huber. Der solcherart vom Blitz des Glücks Getroffene hat sich gewiss sehr gefreut. Noch mehr freute sich aber Österreich­s Herrscheri­n Maria Theresia, die nach dieser ersten Lottoziehu­ng noch 28 Jahre lang ohne die geringste Revolution regierte.

Womit erklärt ist, warum heutzutage in immer kürzeren Abständen Wahlen abgehalten werden, bei denen nahezu alles möglich ist.

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