Sehnsuchtsberg Ankogel
An der Wiege des Alpinismus
Wie findet man den persönlichen Sehnsuchtsberg? Einen, bei dem man weiß: „Aufi muss i!“Vielleicht, indem man dort beginnt, wo alles anfing: Beim 3252 Meter hohen Ankogel in den Hohen Tauern an der Grenze zwischen Salzburg und Kärnten. An der Wiege des Alpinismus. Als erster vergletscherter Alpingipfel in den Ostalpen über 3000 Metern Seehöhe wurde der Ankogel im Jahre 1762 bestiegen und gilt seither als Ausgangspunkt für die Eroberung der höchsten Gipfel der Welt. Vom Großglockner bis hin zum Mont Blanc – erst der Bauer Patschg und sein dokumentiertes Ankogel-Abenteuer weckten für viele den alpinistischen Ehrgeiz auf schwindelerregende Höhen. Was Patschg auf den Ankogel zog, ist ungewiss. Fest steht: Stieg der Bauer einst von der Gasteiner Seite auf den Dreitausender, erfolgt heute der Aufstieg vom kleinen Kärntner Örtchen Mallnitz aus. Auf 1200 Metern Seehöhe gelegen, lässt die 800-Seelen-Gemeinde vor allem die Herzen jener Urlauber höherschlagen, die Ruhe und unverfälschte Natur suchen. Hier wird der Alpenraum für Touristen nicht inszeniert, kein Berg durch Funparks oder begehbare Gipfelkreuze herausgeputzt. Der Berg ist Berg – majestätisch ohne künstliche Überhöhung.
Wer könnte dies besser nachvollziehen als einer, der rund 100 Mal auf dem Ankogel war: Otmar Striednig, Landesleiter der Kärntner Bergrettung. „Der Ankogel ist neben der Geisl mein Hausberg. Auf dem kann man gar nicht oft genug gewesen sein“, erzählt er, als man ihn beim Zustieg trifft. Den Weg zum Gipfel erleichtert die Hochgebirgsbahn Ankogel. Bequem führt die Gondel auf die auf 2637 Höhenmetern gelegene Bergstation. Die verbleibenden knapp 700 Höhenmeter sollten alpinistisch aber nicht unterschätzt werden. Schneefelder, schroffes, loses Geröll und Felsplatten sind ständige Begleiter bis zum Kleinen Ankogel. Was danach folgt, erfordert absolute Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und für Debütanten am hochalpinen Parkett einen Bergführer, der auf dem hüftbreiten Weg mit atemberaubendem Tiefblick die nötige Sicherheit gibt. Auch bei der Schlüsselstelle des Berges: Das Gipfelkreuz in Sichtweite, erfordert ein kleiner vorhängender Fels bergsteigerisches Geschick. Vorsichtig ertastet man mit den Fingerspitzen ein „Ohrwaschl“des Vorsprungs, zieht sich nach oben, wissend, dass unter einem nun kein Weg mehr, sondern 300 Meter freier Fall ist, schwingt das Bein nach oben und hat es geschafft.
Mit dem Gipfelkreuz folgt ein Fernblick, der Demut einfordert: Der Großglockner (3798), das Säuleck (3086), die „Tauernkönigin“Hochalmspitze, mit ihren 3360 Metern der höchste Berg der Ankogelgruppe.
Von diesem majestätischen Panorama überzeugte sich seinerzeit auch eine echte Majestät: Erzherzog Johann bestieg 1826 den Ankogel. Im Gefolge war auch der Tiroler Meteorologe Peter Carl Thurwieser, der es sich nicht nehmen ließ, aus Ehrfurcht vor dem hohen Bergkameraden Frack und Zylinder anzulegen. So nachzulesen in dem kleinen Büchlein „Alpingeschichte kurz und bündig: Mallnitz“von Erich Glantschnig.
Dort findet sich auch folgende Anekdote: Als der Bauer Patschg auf den Ankogel stieg, war dieser noch ganze elf Meter höher. „Im Jahre 1932 stürzte die markante, leicht überhängende Spitze des Ankogels ins Gasteinertal ab. Das Vermessungsamt druckte daraufhin eine nicht ganz ernst zu nehmende ,Trauerparte‘ab“, erklärt Glantschnig. Auf dieser wird das Verschwinden des Spitzes vom Ankogel beklagt, der „nach heftigem Todeskampfe jenseits hinabgeglitten ist“.
Dem Zauber des Berges hat dies keinen Abbruch getan. Vielmehr nimmt man eine Erkenntnis mit ins Tal: Den Sehnsuchtsberg sucht man nicht. Der Sehnsuchtsberg findet einen.