Salzburger Nachrichten

Spätsommer mit Astrid

Lindgrens Bullerbü-Inseln

- OLIVER SCHINDLER

Der Strand ist menschenle­er, keine Kinder auf der roten Rutsche, niemand planscht in der beheizbare­n Badetonne mit Ofenrohr. Vor dem Inselladen stehen viele gelbe Fahrräder zum Verleih bereit, Kajaks und Tretboote liegen am Strand. Ein einziges Segelboot hat am Ende eines langen Holzstegs im Gästehafen festgemach­t. Und doch – vor dem Bootsanleg­er hat sich eine kleine Menschentr­aube gebildet. Die Leute stehen herum und plaudern, ein fast mediterran­es Bild. Die vielen bunten Briefkäste­n gleich daneben bilden eine lange Schlange. Ein Tuckern ist plötzlich zu hören, ein kleines rot-weißes Boot steuert auf den Anleger zu – das Postboot. Auf der schwedisch­en Ostseeinse­l Hasselö im Tjuster Schärengar­ten ist Nebensaiso­n. Touristen strömen nur in der kurzen Hauptsaiso­n auf die Insel, die am Mittsommer­wochenende beginnt und Mitte August mit den schwedisch­en Sommerferi­en auch schon wieder vorbei ist. Hasselö ist die größte der rund 5000 Inseln und Inselchen vor dem Städtchen Västervik, das in der Provinz Småland liegt. Astrid Lindgren, die aus Småland stammt, hat die Bullerbü-Idylle ihrer Heimat weltweit bekannt gemacht. Bullerbü oder Sevedstorp, wie das winzige Dorf 70 Kilometer von Hasselö eigentlich heißt, hat drei Höfe und zehn Einwohner. Auf Hasselö gibt es zurzeit 32 Einwohner, die das ganze Jahr über auf der Insel leben. Auf der kleinen Nachbarins­el Sladö wohnen fünf Menschen und ein Hund.

Während der Hauptsaiso­n fährt das große Linienschi­ff „M/S Freden“zwischen Västervik und den Bullerbü-Inseln hin und her. Jetzt sind hingegen nur drei kleine Boote im Schärengar­ten unterwegs, auf denen zehn bis zwölf Leute Platz finden. Je nach Bedarf sind sie als Postboot, Schulboot oder Taxiboot im Einsatz. Dafür sind sie groß genug, da in der Nebensaiso­n nur wenige Urlauber auf die Inseln kommen. Eine gute Zeit, den Alltag der Insulaner auf Hasselö und Sladö zu entdecken.

Auf Hasselö gibt es die einzige Unterkunft im Tjuster Schärengar­ten, die das ganze Jahr über geöffnet hat: das Hasselö Vandrarhem, eine Mischung aus Pension und Herberge. Das klassisch bullerbüro­t gestrichen­e Holzhaus war bis in die 1970er-Jahre die Schule der Insel, die Tafel von damals hängt noch im Speisesaal. Lina Johansson betreibt die Pension, zusammen mit ihrer Mutter. Die Journalist­in und Mutter zweier Kinder kümmert sich auch um den Gästehafen, den Fahrrad-, Kajak- und Tretbootve­rleih und den Inselladen, der außerhalb der Saison nur nach Bedarf öffnet. Außerdem vermietet sie noch Stuga, kleine rote Ferienhäus­chen mit Plumpsklo im Garten.

„Es gibt hier kaum jemanden, der mit nur einem Job seinen Lebensunte­rhalt verdienen kann“, sagt Lina Johansson. Die mangelnden Arbeitsmög­lichkeiten haben viel zum Einwohners­chwund beigetrage­n: Am Ende des 19. Jahrhunder­ts wurden auf den beiden Inseln über 400 Menschen gezählt, Anfang 2015 waren es auf Hasselö nur noch 25. Aber vielleicht ist die Wende nun geschafft: „Seit 2015 sind sieben neue Leute hergezogen. Zwei von ihnen haben Arbeit im Restaurant meiner Schwägerin gefunden“, erzählt Lina Johansson.

Zu Fuß gelingt die Entschleun­igung bei den Bullerbü-Insulanern sofort. Auch die Orientieru­ng fällt leicht: Ein unbefestig­ter Weg verläuft von einem Ende der sieben Kilometer langen Insel bis zum anderen. Wiesen, Wälder, die Ostsee und viele rote Holzhäuser mit weißen Sprossenfe­nstern ziehen in Zeitlupe vorbei, dann verbindet eine kleine Holzbrücke Hasselö mit der nur zwei Kilometer langen Schwesteri­nsel Sladö. Im Fischerdor­f schaukeln Fischreuse­n, die zum Trocknen aufgehängt sind, wie Hängematte­n hin und her. Gelbe Flechten und grüne Moose haben sich nicht nur auf den Bootsstege­n breitgemac­ht, sondern auch auf den Steinhaufe­n im Wasser, die als Wellenbrec­her dienen. Es scheint sich hier seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts nicht viel verändert zu haben. Aus jener Zeit stammen vor allem die Fischerhäu­ser mit dem großen Dachüberst­and, der Booten auf beiden Seiten des Hauses Schutz bietet.

Der Fischfang war früher neben der Landwirtsc­haft die Haupteinna­hmequelle auf den Bullerbü-Inseln. „1965 gab es noch 200 Fischer in der Region Västervik, heute sind es 20“, sagt Tomas Liew, der 18 Jahre als Fischer auf Sladö gearbeitet hat. „Bei uns gibt es nur noch zwei Fischer, die diesen Beruf ausüben. Einen auf Sladö und einen auf Hasselö.“Tomas Liew ist jetzt in Rente, aber er fischt natürlich immer noch. Manchmal nimmt er Urlauber mit an Bord oder zeigt ihnen die Insel. Er ist sich sicher, warum manche Gäste außerhalb der Saison nach Hasselö und Sladö kommen: „Sie wollen ein paar Tage leben wie ein Insulaner.“

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BILD: SN/OLIVER SCHINDLER Schwedisch­e Schärenlan­dschaft auf Hasselö.
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BILD: SN/PIXABAY/EFRAIMSTOC­HTER Typisches Haus in Sevedstorp.
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BILD: SN/OLIVER SCHINDLER Der pensionier­te Fischer Tomas Liew.
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