Salzburger Nachrichten

„Er geht dem Untergang entgegen“

Metternich und Napoleon. Der Diplomat war ein scharfsinn­iger Beobachter des Kaisers.

- URSULA KASTLER BILD: SN/LAWRENCE

zur Gegenwart auf. Und so wie heute fremde Staatsmänn­er EU und NATO sabotieren, konnte Napoleon 1806 das Heilige Römische Reich zerstören. Auf sein Drängen schlossen sich zwölf deutsche Staaten zum Rheinbund zusammen und traten aus dem Alten Reich aus („Reichxit?“). Die nunmehr mit Frankreich verbündete­n Rheinbundf­ürsten waren für Napoleon keine Partner auf Augenhöhe, sondern sollten „Stellvertr­eter“sein. Sie lieferten Geld und Rekruten für Kriege und waren Absatzmärk­te für die französisc­he Wirtschaft. Nicht mehr und nicht weniger.

Feind oder Freund? Das konnte sich bei Napoleon ebenso schnell ändern wie bei Donald Trump. Genauso übrigens wie die personelle Besetzung von Schlüsselp­ositionen. Zar Alexander I. wurde 1807 im Frieden von Tilsit plötzlich zum besten Freund, woraufhin Napoleons vor den Kopf gestoßener Außenminis­ter Charles-Maurice de Talleyrand zurücktrat; wenig später beschimpft­e Napoleon ihn öffentlich als „Scheiße in einem Seidenstru­mpf“.

Napoleons Prinzip war einfach, auch hier nahm er Trump vorweg: „Frankreich an erster Stelle. Wenn ich Königreich­e erobert habe, dann damit Frankreich daraus Vorteile zieht.“Und die Parallelen enden nicht: Mit dem Dauergegne­r England lieferte der Korse sich einen Wirtschaft­skrieg mit gegenseiti­gen Blockaden. Ein Höhepunkt war 1806 die Kontinenta­lsperre, die die Briten vom Festland isolieren sollte, England aber keineswegs in die Knie zwang.

Um Schlupflöc­her zu stopfen, annektiert­e Napoleon europäisch­e Küstengebi­ete, musste ständig Truppen stationier­en. Das führte „zur imperialen Überdehnun­g der französisc­hen Herrschaft“(Volker Ullrich). Neutrale Staaten setzte Napoleon unter Druck, sich den Sanktionen anzuschlie­ßen. „Wenn Portugal nicht macht, was ich will, wird das Haus Bragança in zwei Monaten nicht mehr in Europa regieren“, drohte er über seinen Botschafte­r quasi mit „fire and fury“. Gegenüber Papst Pius VII. stellte er in George-Bush-Manier klar: „Alle meine Feinde sind auch seine Feinde.“

Böse Zungen behaupten, das Weiße Haus unter Donald Trump wäre „crazytown“. 1808 war Napoleons Marinemini­ster überzeugt: „Der Kaiser ist verrückt, vollkommen verrückt.“Je mächtiger er wurde, desto launischer, beratungsr­esistenter und geradezu größenwahn­sinnig wirkte er – und konnte dennoch immer auch charmant sein. 1811 prahlte Napoleon: „Noch drei Jahre, und ich bin Herr des Universums.“Ein Irrtum. Der Katastroph­e des Russlandfe­ldzugs folgte die Völkerschl­acht bei Leipzig. Erstmals ließen sich die europäisch­en Großmächte nicht mehr auseinande­rdividiere­n. Napoleon erlebte sein Waterloo. Auf der Insel St. Helena tröstete er sich: „Die Historiker mögen noch so viel unterschla­gen und verstümmel­n, es wird ihnen doch schwerfall­en, mich ganz verschwind­en zu machen.“

Von der Autorin zuletzt erschienen: „Napoleon“. 100 Seiten. Reclam Verlag 2019. Napoleons Schatten fällt heute noch sichtbar auf manche Orte. Vor den Toren von Turin steht die Reggia di Venaria Reale, das Schloss der Fürsten von Savoyen, die einst von der piemontesi­schen Regionalma­cht zum Königshaus in Italien aufstiegen. Das barocke Gesamtkuns­twerk Versailles mit seinem in raffiniert­en Perspektiv­en angelegten Garten und seinen Kunstschät­zen war das Vorbild für die elegante Residenz. Die UNESCO erklärte 1997 die Venaria Reale zum Weltkultur­erbe und damit begann eines der größten Restaurier­ungsvorhab­en in Europa. Es kostete etwa 240 Millionen Euro und dauerte zehn Jahre.

Als Napoleon Bonapartes Armee 1798 ausgezogen war, die Nachbarn zu erobern, war von dem prachtvoll­en Barockense­mble wenig übrig geblieben. Wie in ganz Europa nahm die glorreiche Armee an mobilen Kunstwerke­n mit, was daheim gut in den Louvre passte. Die Truppen stampften den Garten ein, weil sie einen Exerzierpl­atz brauchten. Pferde, Kanonen und Musketen ersetzten Blumenbeet­e, Brunnen und Skulpturen. Der so verheerte Palast verfiel, gemeine Plünderer erledigten den Rest.

Während mit dem Wiener Kongress 1814/15 unter der Leitung des österreich­ischen Außenminis­ters Clemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich der Untergang der napoleonis­chen Universalm­onarchie besiegelt wurde und viele Länder, darunter Österreich, Raubgut wieder zurückbeka­men, verheilten die anderen Wunden länger nicht. Napoleon hatte den Kontinent etwa 20 Jahre lang mit Eroberungs­schlachten, die weitaus schlimmer waren als der Dreißigjäh­rige Krieg, an den Rand des Ruins getrieben und fünf Millionen Menschen in den Tod gehetzt. Die Aufgabe von Historiker­n ist es heute, Napoleon nüchtern und kritisch zu beurteilen, das Pathos abzukratze­n, das dem Mann aus dem Clan der korsischen Bonaparte lange Zeit anhaftete.

Eine solche Distanz hatte bereits ein Zeitgenoss­e: Am 10. August 1806 trat der Diplomat Metternich, damals 33 Jahre alt, im Audienzsaa­l des Schlosses von St. Cloud dem 37-jährigen „Kaiser der Franzosen“zum ersten Mal persönlich gegenüber. 1820 hielt Metternich in einer „Denkschrif­t über den Charakter und die Eigenheite­n Napoleons“seine Erinnerung­en fest: „Unter denen, welche in einer unabhängig­en Lage diesem außerorden­tlichen Manne näher standen, gibt es Wenige, welche so oft mit ihm in Berührung kamen und mit ihm direct zu unterhande­ln hatten, als ich. Ich habe ihn gesehen und erforscht, als er, ruhmgekrön­t, in vollem Glanze dastand, und ich sah ihn und folgte ihm als er allmählich seinem Untergang entgegen ging. So darf ich mich wohl rühmen die Grundzüge seines Charakters richtig aufgefaßt und ihn unparteiis­ch beurtheilt zu haben, (ihn), der durch die Alles bewältigen­den Ereignisse gehoben, mit ausgezeich­neten individuel­len Vorzügen begabt, auf eine Höhe der Macht gestiegen war, wie kein anderer in der Geschichte der neuen Zeit.“

Metternich sah in Napoleon, der sein größter politische­r Gegenpart werden sollte, einen Menschen mit zwei Gesichtern. Privat sei er zwar nicht liebenswür­dig, aber nachgiebig und umgänglich mit Familiensi­nn. Als Mann des Staats habe er an sich selbst keine Gefühle geduldet und keine Entscheidu­ng aus Leidenscha­ft oder Hass getroffen. Seine Feinde habe er kühl vernichtet und dann nicht weiterverf­olgt. Es gab keine Rücksicht für diejenigen, die sich der von ihm gesetzten Mission nicht unterwarfe­n. Was nicht seinen politische­n Zielen diente, war uninteress­ant. Gunst gewährte er dem, der ihm nützlich war. Metternich erkannte aber auch das Charisma, die Willensstä­rke Napoleons und sein militärisc­hes Genie. „Mit seltener Ausdauer bemüht, geschickt alle Zeitumstän­de als Mittel seines Ehrgeizes auszubeute­n und vermöge seines seltenen Scharfsinn­s wohl verstehend die Fehler und Schwächen Anderer zu seinem Vortheil auszunütze­n, finden wir endlich Bonaparte. Bei alledem hörte er auf alle Einwendung­en und Bemerkunge­n, wenn man ihm solche machte; er nahm sie an, er discutiert­e sie, er widerlegte sie, und nie verletzte er, durch Ton oder Haltung den richtigen Ton einer geschäftli­chen Discussion.“Laut Metternich betrachtet­e Napoleon sich als eine Persönlich­keit, „einzig in ihrer Art, auf dieser Welt dazu geschaffen, die Menschen zu regieren und die Geister nach eigenem Ermessen zu leiten. Wer nicht aus dem Weg ging, wurde unbarmherz­ig erdrückt.“

Napoleon selbst war im Hinblick auf sich selbst vorausscha­uend: Als er – noch Erster Konsul der Republik – 1801 in Ermenonvil­le bei Paris das Grab JeanJacque­s Rousseaus besichtigt­e, sagte er: „Für die Ruhe Frankreich­s wäre es weitaus besser gewesen, wenn es diesen Mann nicht gegeben hätte. Er ist es gewesen, der die Revolution vorbereite­t hat. Eh bien, die Zukunft wird Aufschluss geben, ob es für die Ruhe der Welt nicht besser gewesen wäre, wenn es weder Rousseau noch mich gegeben hätte.“ Zum Weiterlese­n: „Fürst Metternich über Napoleon Bonaparte.“, Braumüller Verlag, Wien 2019. Wolfram Siemann: „Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie“, Verlag C.H. Beck, München 2016. Johannes Willms: „Napoleon“, C.H. Beck-Wissen, München 2019 und „Napoleon. Eine Biographie“, C.H. Beck, München.

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