Die unerklärliche Lust an der Qual
Der Fantasie beim Erfinden von Ultrasportbewerben sind keine Grenzen gesetzt.
Über 200 Kilometer bei 55 Grad Celsius durch die Wüste laufen, 20 Triathlons mit Schwimmen, Radfahren und Laufen am Stück oder wochenlang mit Schlafentzug mit dem Rad durch einen Kontinent fahren – von Ultrabelastungen spricht hier die Sportwelt. Durchschnittssportler würden dies als „völlig verrückt“abtun. Aber der menschlichen Fantasie sind offensichtlich bei Belastungen keine Grenzen gesetzt. Ganz im Gegenteil: Hier werden die Grenzen um ein Vielfaches überschritten und ausgetestet. Zwei Fragen tun sich hier zwangsläufig auf: Warum tut sich der Mensch das an? Und: Hält ein Mensch das auf Dauer aus? Die Szene jener Menschen, die die Grenzerfahrungen erleben wollen, wird immer größer. Auch die Zahl der Bewerbe weltweit. Ein Auszug lässt staunen.
Badwater-Lauf: die, die durch die Hölle gehen.
Die Ultraläufer beim Badwater durch das Death Valley in Kalifornien haben sich noch nie durch den bedrohlichen Namen („schlechtes Wasser“) abschrecken lassen. Dabei gehen die Teilnehmer, die gerade Mitte Juli wieder den Badwater-Lauf in Angriff genommen haben, durch die Hölle. Kein anderer Lauf wie der durch das berühmte Tal in Kalifornien fordert dem Menschen mehr ab. 217 Kilometer durch den heißesten Ort der Welt. Bei 55 Grad Celsius und mehr. Das lässt den Gummi von den Laufschuhen in dieser Zone 80 Meter unter dem Meeresspiegel schmelzen. Eine Handvoll Extremsportler sind jedes Jahr dabei – im Vorjahr sogar ein 72-Jähriger. 20 bis 25 Stunden lang sind die Läufer unterwegs und verfolgen das Motto: „Die erste Hälfte wird mit den Beinen gelaufen, die andere mit dem Herzen.“Halluzinationen in der sengenden Sonne seien allgegenwärtig, erzählen viele Teilnehmer – einige erreichen das Ziel nicht. Ein Japaner hat übrigens den diesjährigen Badwater durch das Death Valley gewonnen. Nach unvorstellbaren Schmerzen und Belastungen kam er nach 21:33,01 Stunden in Rekordzeit ins Ziel – und hatte noch die Kraft, um seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen.
In Österreich ist der Mozart 100 im Salzburger Land eine besondere Herausforderung für Lauffans: Bis zu 100 Kilometer gilt es zu überwinden – noch dazu als Traillauf mit der Bewältigung vieler Höhenmeter zwischen Salzburg und St. Gilgen. Es gibt beim Mozart 100 kaum Zeit zum Durchschnaufen.
Die Marathonlust steigt.
Die internationalen Veranstalter von Marathons können sich der Teilnehmer gar nicht mehr erwehren. Beim Vienna City Marathon (VCM) rannten beispielsweise dieses Jahr rund 40.000 Läufer. Die Lust an der Ausdauer über die Marathonstrecken in Großstädten hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Bewegung und der Gesundheitsaspekt locken viele Läuferinnen und Läufer auf die 42,159 Kilometer lange Strecke. Der Wien-Marathon gehört mittlerweile zu den größten der Welt. Noch mehr geht fast nicht. Oder doch? Beim New-York-Marathon (Bild) kamen 2018 gleich 50.773 erschöpft, aber glücklich ins Ziel. In New York sind jedes Jahr alle Startplätze bereits nach kurzer Zeit vergeben – aus aller Welt kommen die Lauffreaks in den Big Apple.
Ultratriathlon als ein besonderer Kick.
Nun gut. Da gibt es einmal die olympische Distanz im Triathlon: 1,5 km schwimmen, 40 km mit dem Rad und zum Schluss zehn km laufen. Dann gibt es die Langdistanz mit 3,8 km schwimmen, 180 km Rad fahren, beendet mit einem Marathon. Diese Distanzen im Wasser, am Rad und auf der Laufstrecke erleben einen wahren Boom. Die Triathlonveranstalter können sich die Hände reiben. Aber können Sie sich auch vorstellen, sogar einen 20-fachen Triathlon
Ausdauer extrem. Von wegen Vorbereitung auf einen Marathon. Das sorgt bei vielen Sportlern für ein müdes Lächeln. „Immer extremer“ist das Motto der Zeit. Beispiele gibt es in aller Welt genug. Der Lauf durch das Death Valley war der jüngste Ultratest. Verrückt. RICHARD OBERNDORFER
(Double Deca Triathlon) über 4500 km in Angriff zu nehmen? Am Stück? Der Salzburger Ultratriathlet Norbert Lüftenegger will dies heuer schaffen und spricht im SNInterview mit Stephanie Rausch (siehe links) trotz der Belastung von einem „Wohlfühltempo, das man ewig durchhalten kann“. Voraussetzung bei dieser Art des Wettkampfs – es gibt hier auch einen eigenen Weltcup – ist ein Ultratriathlon (mehrfacher Ironman) pro Tag. Diese Form der Dauerbelastung hatte 2006 ihre Weltpremiere in Monterrey/Mexiko und erfreute sich großer Beliebtheit. Beim 30-fachen Ultratriathlon – also 30 Ironman an 30 aufeinanderfolgenden Tagen – wurden bei der ersten Auflage 2013 am Gardasee 21 Teilnehmer gezählt.
Dem aber noch nicht genug. Die Ausdauerfreaks scheinen keine sportlichen Grenzen zu kennen: Beim Quadruple Deca Ultratriathlon werden 40 Triathlons über eine gewaltige Distanz absolviert: 154,49 km schwimmen, 7209,9 km Rad fahren und 1687,8 km laufen. Viele Mediziner, Orthopäden und Physiotherapeuten würden wohl aufschreien.
Die Qualen auf dem Wasser – wider die Launen der Natur.
Es ist eine der letzten großen sportlichen Herausforderungen. Die Atlantic Challenge, bei der Ruderer seit 2011 jedes Jahr im Dezember 4800 Kilometer von Gomera über den Atlantik nach Antigua rudern. Nur mit Muskelkraft. Ohne Hilfe von Wind und Segel. Allein auf einem speziell angefertigten Boot. 40 Tage lang. In Begleitung von Rettungsbooten, die im Ernstfall bis zu fünf Tage zum Unfallort brauchen. Dieses Jahr ist mit dem Salzburger Wolfgang Fankhauser erstmals ein Österreicher mit dabei. Mit weiteren 34 Booten, die meisten sind aber Viererteams. Das heißt 18 Stunden rudern am Tag, mit nur wenig Schlaf- und Essenspausen. „Nach zwölf Tagen in der Einsamkeit hört man wegen der einseitigen Ernährung Stimmen und Babygeschrei“, sagt Fankhauser und ergänzt: „Das alles ist zu bewältigen, denn 80 Prozent ist Kopfsache.“Kopfsache. Ein Begriff, der bei den besonderen Ausdauerbelastungen immer wieder im Mittelpunkt steht. Zehn Liter Wasser am Tag müssen getrunken werden, erst möglich durch eine spezielle Aufbereitung. Wirbelstürme und damit meterhohe Wellen sollten in dieser Jahreszeit ausbleiben, hofft Extremruderer Fankhauser.
Radherausforderung quer durch den amerikanischen Kontinent.
Hinter dem Race Across America, kurz RAAM, verbergen sich Erfahrungen mit Schmerzen, Schlafentzug, daraus resultierende Orientierungslosigkeit oder eine Ausdauerbelastung, die die Grenzen über Tage überschreitet. Mit Stolz sprechen die Veranstalter vom „härtesten Radrennen der Welt“. Denn seit 36 Jahren messen sich die besten Profi- und Amateurradler der Welt bei diesem kontinentalen Nonstop-Rennen, gehen an ihr physisches und mentales Limit. Dieses Jahr war ein heimischer Profiradler wieder einmal derjenige, der sich besonders überwinden konnte: Nach acht Tagen, sechs Stunden und 51 Minuten hat der Österreicher Christoph Strasser im Juni 2019 die 4940 Kilometer und rund 53.000 Höhenmeter zwischen Oceanside in Kalifornien und Annapolis in Maryland am schnellsten weggeradelt. Zwölf US-Staaten hat Strasser dabei passiert. „Richtig gut geht es mir nicht. Es wird noch dauern, bis ich ordentlich stehen kann“, meinte der erschöpfte Steirer, der damit zum sechsten Mal beim RAAM triumphierte und so zum alleinigen Rekordhalter wurde. Auf dem Weg zum Sieg schlief der Radprofi nur unglaubliche neuneinhalb Stunden. Das Rennen 2019 war durch große Hitze, die vielen Unwetter und folgenden Umleitungen durch die Folgen der Stürme eine besondere Herausforderung.
Extremsport als Patentrezept für Erfolg
Es war der Fuschler Energydrinkhersteller Red Bull, der seine Marketingphilosophie seit jeher auf das Extreme abgestimmt hat. Nicht erst seit dem Stratos-Sprung von Felix Baumgartner im Oktober 2012. Der Dolomiten-Mann, ins Leben gerufen vom früheren Skifahrer Werner Grissmann, findet seit 1988 rund um Lienz jährlich Anfang September statt. Seit 1997 ist Red Bull Hauptsponsor – der große Marketingeinstieg in extreme körperliche Tests. Nach eigener Definition „überleben bei diesem Teambewerb nur die Härtesten der Harten“beim Berglauf, Paragleiten, Mountainbiken und mit dem Wildwasserkajak. Der Dolomiten-Mann 2019 startet am 7. September 2019 auf dem Hauptplatz in Lienz. Ähnliches gilt für das Red Bull 400. Am 24. August versuchen wieder 1500 Teilnehmer in Bischofshofen, die große Skisprungschanze, sonst Schauplatz des Dreikönigsspringens im Jänner, auf dem Weg hinauf 400 m weit zu bezwingen. Inklusive einer Portion Wagemut, brennenden Wadeln und extremer Steigung. Die Leiden sind den Bergläufern ins Gesicht geschrieben.