Im glänzenden Erfolg verblasst der Klimaschutz
Die Salzburger Festspiele haben mit einer ergreifenden Eröffnungsfeier begonnen. Was davon ist geblieben?
Faszinierende Festspiele gehen in die Zielgerade
So schnell verebben wichtige Erkenntnisse zum Klimawandel: Vor genau vier Wochen waren sie das beherrschende Thema. Wir waren noch mitten in sengend heiß gewordenen Tagen, und die Salzburger Festspiele erzeugten mit ihrem Festakt – dem besten seit vielen Jahren – eine Aufbruchstimmung. Als erste Rednerin schlug Präsidentin Helga Rabl-Stadler am Samstag vor vier Wochen mit einem Zitat des deutschen Journalisten Hanno Rauterberg mächtige Töne an: „Und so braucht die Klimawende, soll sie gelingen, ganz dringend die Unterstützung einer anderen, eher unerwarteten Seite: Sie braucht Kunst.“
Dann sprach Festredner Peter Sellars davon, dass jeder von uns wöchentlich bereits Mikroplastik in der Menge einer Kreditkarte verspeise und dass „wir uns von unseren tradierten Gewohnheiten verabschieden und grundlegende, vernünftige Veränderungen in unserem Leben“vornehmen müssten.
Und doch: Auf Nachfragen, was denn die Salzburger Festspiele selbst täten, hieß es zunächst nur, das viele Plastik für die hübschen Riesen-Bazillen auf der Bühne für Peter Sellars’ Inszenierung von „Idomeneo“sei recycelbar. Wenn man sich sonst in und um die Hofstallgasse umschaut: Die von Peter Sellars so gerne willkommen geheißene „neue Generation von engagierten, schöpferischen, fürsorgenden jungen Menschen“ließ sich im Salzburger Festspielsommer kaum blicken und hatte wenig zu melden.
Damit scheitern die Salzburger Festspiele so wie wir alle seit zwei, drei Jahrzehnten: Wir wissen über
die Ursachen des Klimawandels, wir leiden mittlerweile an dieser Sorge so sehr, dass wir kluge Redner wie beim Salzburger Festakt fast wie Erlöser bejubeln. Aber bevor jeder das täte, was Peter Sellars vorschlägt, warten wir, dass irgendwer sonst aufs Fliegen verzichtet, dass irgendwie das per Lkw angekarrte Mineralwasser als Pausenschluck nicht so arg sein wird, dass von irgendwoher genauso endlos viel Energie kommen wird wie aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft, dass alle Salzburger Opern – Pardon: fast, ab Sonntag wird ja „Salome“aus 2018 drei Mal gespielt – und alle Schauspiele neu ausgestattet und inszeniert werden, dass mehr und mehr Besucher aus Russland, China, Japan, Korea und Amerika zu den Salzburger Festspielen fliegen.
Ja, es ist furchtbar schwierig, etwas Gelingendes substanziell zu ändern oder sogar etwas zu amputieren, das nach bisherigen Maßstäben als pumperlgesund gilt. Und in solch gutem, florierenden Zustand haben sich die Salzburger Festspiele in diesem Sommer bewährt.
Unaufdringlich und konsequent, aber ohne pedantisch zu werden, haben sie vor allem mit „OEdipe“, „Medée“, „Orphée“, „Ulysses“und „Die Empörten“das große Feld der Mythen beackert. Heutige Künstler haben diese rätselhaft wahren Urgeschichten mutig interpretiert. Daneben war locker Platz für Mythenfreies – wie „Sommergäste“oder „Simon Boccanegra“.
Zwar ist einiges zu bekritteln – vor allem der reizlos schale Verdi, wie ihn Valery Gergiev im Großen Festspielhaus dirigiert, oder der von Regisseur Kornél Mundruczó sinnentleerte „Liliom“auf der Pernerinsel. Insgesamt aber erfreut der Mut zu Titeln abseits der Top 10 des Opernrepertoires, für die viele versierte Künstler Bestes geben (zugegeben: fast alle sind klimafeindlich angereist). Die breite Palette an Regiestilen und an Musik von barocker „Alcina“bis „OEdipe“aus dem 20. Jahrhundert bot viele neue oder seltene Hör- und Seherlebnisse.
Wie gewohnt vorzüglich ist das Konzertprogramm – als Mischung aus selbstverständlich Glänzendem (wie Schostakowitsch mit Wiener Philharmonikern, Asmik Grigorian und Matthias Goerne unter Franz Welser-Möst) und anspruchsvoll Programmiertem (heuer wieder die Ouverture spirituelle oder die „Zeit mit Dusapin“). Und es gab kaum ein Konzert, dem man nicht das Attribut „exzellent“zuerkannte oder es vernahm. Schauspiel und Konzert haben sich als so wichtige Sparten bewährt, dass zu überlegen ist, im Zuge der Neubesetzung des Präsidentenpostens ihre Leiter ins Direktorium zu holen und den Intendanten zum Präsidenten aufzuwerten.
Dieser Sommer 2019 wird die ersten beiden Saisonen mit Markus Hinterhäuser als Intendanten nicht toppen. Und doch: Auch wenn sie das Klima nicht retten, so gehen begeisternde, vielfältig faszinierende und von großem Publikum mitgefeierte Salzburger Festspiele nun in ihre Zielgerade.