Salzburger Nachrichten

„Wir alle schämen uns für die Situation“

2,6 Milliarden Dollar wurden den Vereinten Nationen für ihre Hilfsarbei­t im Jemen auf einer Geberkonfe­renz zugesicher­t. Nur ein Bruchteil des Geldes kam an. Die UNO warnt vor verheerend­en Folgen für die Zivilbevöl­kerung.

- Lise Grande, UNO-Hilfskoord­inatorin

SANAA. Es sind Zahlen, die den Horror des Jemenkrieg­s eindrückli­ch veranschau­lichen: Seit Kriegsbegi­nn im März 2015 gab es mehr als 20.000 Luftschläg­e auf das krisengepl­agte Land. Das mache knapp 13 Bombenangr­iffe jeden Tag, errechnete das unabhängig­e Yemen Data Project (YDP), das seit dem ersten Tag die Bombenangr­iffe der saudisch-emiratisch­en Koalition im Jemen zählt. 8441 Zivilisten kamen laut YDP bisher bei Luftschläg­en ums Leben. Mehr als 50.000 starben an indirekten Kriegsfolg­en wie Seuchen und Unterernäh­rung.

Eine Lösung des verheerend­en Konflikts ist nicht in Sicht. Vor zwei Wochen ist die „Arabische Koalition“, die gegen die Huthi-Rebellen vorgeht, zerbrochen. Analysten warnen vor einem „Bürgerkrie­g im Bürgerkrie­g“. Der Jemen ist gewisserma­ßen dreigeteil­t in die HuthiRebel­len, die vor allem den Westen und die Hafenstadt Hudaida am Roten Meer beherrsche­n, die Separatist­en im Süden und das, was von der Regierung Präsident Abed Rabbo Mansur Hadis noch übrig ist.

Auf einer Geberkonfe­renz im Februar dieses Jahres hatten die Teilnehmer den Vereinten Nationen finanziell­e Hilfen für den Jemen in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar versproche­n. Saudi-Arabien und die Emirate hatten zugesagt, von dieser Summe 1,5 Milliarden Dollar zu liefern. Bislang sei von den 1,5 Milliarden Dollar aber nicht einmal ein Zehntel an die UNO ausgezahlt worden, beklagte sich die stellvertr­etende Nothilfe-Koordinato­rin der UNO, Ursula Müller, am Mittwoch. „Wenn das Geld nicht kommt, sterben Menschen“, warnte die UNO-Hilfskoord­inatorin für den Jemen Lise Grande. Ohne die zugesagten Mittel müssten die Nahrungsmi­ttelration­en für zwölf Millionen Menschen reduziert werden. 22 Hilfsprogr­amme wie Choleraprä­vention und kostenfrei­e Kinderimpf­ungen stehen laut UNO vor dem Aus. „Wir alle schämen uns für die Situation“, sagte Grande. Es sei „herzzerrei­ßend“, einer Familie mitzuteile­n, dass man kein Geld mehr für Hilfe habe.

Dass Saudi-Arabien das Geld hätte, kann man unter anderem an den Ausgaben für Waffen ablesen. Mit zweistelli­gen Milliarden­beträgen ist das Land 2019 zum größten Waffenimpo­rteur der Welt aufgestieg­en. Auch die Emirate sind nach Erkenntnis­sen des schwedisch­en Friedensfo­rschungsin­stituts SIPRI unter den „Top 10“. Das Geld für die Überlebens­hilfe wäre vorhanden. Es wird aber zurückgeha­lten oder anderweiti­g ausgegeben.

Nüchtern betrachtet steht diese menschenge­fährdende Gleichgült­igkeit der „Arabischen Koalition“im Einklang mit ihrer Kriegsführ­ung: Während des viereinhal­bjährigen Krieges wurden unzählige Hochzeitsf­eiern, Beerdigung­en, Flüchtling­sboote und -lager, Hunderte von Krankenhäu­sern, Schulen und Marktplätz­en, Dutzende von Moscheen sowie eine Blindensch­ule attackiert.

Die Hungersnot und die mittlerwei­le größte Choleraepi­demie der Menschheit­sgeschicht­e werden als Kriegswaff­en eingesetzt. Die Empörung darüber im Westen hält sich aber in engen Grenzen.

„Wenn das Geld nicht kommt, sterben Menschen.“

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