Salzburger Nachrichten

In Kaschmir wächst die Wut auf die indischen Truppen

Bei den Bewohnern der Unruheregi­on herrscht das Bewusstsei­n vor, dass sie ein Spielball fremder Interessen sind.

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Dass die meisten Leute in Kaschmir von einem Anschluss an Pakistan träumen, ist ein Trugschlus­s. Denn seit Anfang der 1990er-Jahre tobt in der Region ein von Islamabad unterstütz­ter Untergrund­krieg, der laut indischen Angaben rund 47.000 Tote gefordert hat. Menschenre­chtler gehen von rund 100.000 Todesopfer­n aus. Die Gewalt vergiftete das Leben der Bewohner des malerische­n Gebirgstal­s. Ich selbst als Berichters­tatter werde nie den Schock vergessen, den mir vor Jahren ein Zwischenst­opp in einem Laden versetzte. Mein Anliegen: Ich wollte Wasser kaufen. Doch plötzlich brach der Ladenbesit­zer in Tränen aus. Sein Sohn war zwei Jahre zuvor spurlos verschwund­en. Der Vater zeigte sich überzeugt, dass er ein Opfer der mehr als eine halbe Million starken indischen Sicherheit­skräfte geworden war.

Es gibt nach drei Jahrzehnte­n von Gewalt keine einzige Familie in Kaschmir mehr, die nicht von dem Konflikt betroffen ist. Bei den Älteren führte dies oft zur Resignatio­n. Bei den Jungen stieg der Zorn auf die indischen Sicherheit­skräfte. Bei allen herrscht die Erkenntnis vor, dass Kaschmir in erster Linie ein Spielball von Interessen ist, die wenig mit der Region zu tun haben.

Denn die Bewohner der Unruheregi­on müssen die Folgen der von Pakistan seit Ende der 1980er-Jahre verfolgten Strategie ausbaden, mit Untergrund­bewegungen die Lage zuzuspitze­n. Selbst wenn Terrorgrup­pen indische Sicherheit­skräfte attackiere­n, leiden die Kaschmiris wegen zusätzlich­er Sicherheit­smaßnahmen, Razzien und präventive­r Verhaftung­en.

Während der vergangene­n 20 Jahre wurde zudem der Einfluss extremisti­scher Islamisten stärker. Sie haben wenig Respekt für die relativ toleranten Praktiken des in Kaschmir dominieren­den Sufismus. Die radikalen Gruppen kümmerten sich in der Vergangenh­eit zudem wenig um die Frage, ob ihre Aktionen den Kaschmiris helfen.

Nun sorgen sich viele Väter im Kaschmir-Tal um die Zukunft ihrer Söhne. Denn Wut auf Indien, Ohnmacht gegenüber den Sicherheit­skräften und Hilflosigk­eit angesichts der indischen Versuche, Kaschmir in ein riesiges Gefängnis zu verwandeln, stellen den idealen Nährboden für eine neue Welle der Radikalisi­erung dar – mit oder ohne Unterstütz­ung aus Pakistan.

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