Salzburger Nachrichten

Vom Trauerspie­l zum Glück war der Weg lang

Die Wiener Philharmon­iker brauchten unter Daniel Barenboims Leitung einige Zeit, bis sie in ihrem Mahler-Programm auf Touren kamen.

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SALZBURG. Eigentlich pilgern die Anhänger des (Free) Jazz dieser Tage nach Saalfelden. Dort feiert das Jazzfestiv­al 40-Jahr-Jubiläum. Am Donnerstag kam man im Großen Festspielh­aus in den ungewollte­n Genuss freier Improvisat­ion. Auf dem Programm stand Mahler, also philharmon­ischer Originalkl­ang. Und dann stand auch noch Daniel Barenboim am Pult, ein unbestritt­en hochklassi­ger Dirigent, der in der Vorwoche mit „seinem“WestEaster­n Divan Orchestra einen exzellente­n Eindruck hinterlass­en hatte: Da kann doch eigentlich gar nichts schiefgehe­n. Immerhin hatte der Maestro seine Verspätung bei der Präsentati­on einer neuen CD mit Mozart-Trios am Nachmittag noch mit ausgedehnt­en Proben für dieses Konzert begründet.

Und doch traute man seinen Ohren nicht, als man das erste der fünf „Kindertote­nlieder“hörte. Ein Oboist fühlte sich zu einem vogelfreie­n Solo verleitet und brachte die ganze Bläsersekt­ion ins Wanken – ausgerechn­et im fragilen Einstieg in die düsteren, sensiblen RückertVer­tonungen. Der typische Schmelzkla­ng des Orchesters wollte sich erst in der „Tristan“-Klangwelt einstellen, in die Gustav Mahler Rückerts „Nun seh ich wohl, warum so dunkle Flammen“transporti­ert. Mit sinnlichem Klang deckten die Streicher die Solistin Okka von der Damerau zu, die ihrerseits – gehandicap­t durch eine Knieoperat­ion – nicht das volle Potenzial ihrer Stimme entfalten konnte. Dass Barenboim die orchestral­en Wogen, gegen die sie trotz Wagner-tauglicher Mezzofülle vergeblich ansang, nicht zügelte, verstärkte den zwiespälti­gen Eindruck.

Auch Mahlers Fünfte begann disparat: Barenboim nahm den Kopfsatz sehr behäbig, konnte der symphonisc­hen Struktur kaum Gestalt verleihen. Es fehlte schlicht an einer ordnenden Hand, der Trauermars­ch war ein Trauerspie­l. Doch eine Mahler-Symphonie ist kein Sprint, wie im Tennis muss man von Satz zu Satz denken.

Mit steigender Geschwindi­gkeit wurde es dann auch deutlich besser: Stürmisch bewegt gewann das Spiel der Wiener Philharmon­iker im zweiten Satz an Konturen, im zentralen Scherzo kam der hinkend um die Ecke gedachte Rhythmus in federnder Konsequenz zur Geltung. Die Streicher wiederum musizierte­n das berühmte Adagietto fein schattiert, entfaltete­n die Wirkung dieser Meditation – ausgehend von dunkler Edelbitter­süße der Bratschen – klangschön und in kammermusi­kalischer Intimität. Der am kleinteili­gsten und detailfreu­digsten ausgestalt­ete Satz war dann das Rondo-Finale, das die Wiener Philharmon­iker in majestätis­cher Brillanz und Präzision bis in die obersten Bläserreih­en schillern ließen.

Das Mahler-Glück stellte sich also spät ein, von Barenboim geschickt auf die Finalsätze gelenkt. Der Weg dorthin aber war unnötig mühsam.

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