„Brasilien geht uns alle an“
Die größte Gefahr besteht laut Umweltschützern durch den Klimakipppunkt: Wenn der Regenwald so geschädigt ist, dass er zu einer Kohlenstoffquelle wird, anstatt Kohlenstoff zu speichern. Von dem Punkt ist er nicht mehr weit entfernt.
Die derzeitige Zerstörung des Amazonas ist für das Weltklima eine Belastung: „Sie führt zum Ausstoß enormer Mengen an Treibhausgasen, die sonst im Regenwald gespeichert würden“, sagte Georg Scattolin, Leiter des Internationalen Programms beim WWF Österreich. Im schlimmsten Fall könnte das Ökosystem sogar kippen – und dadurch selbst zu einer Kohlenstoffquelle werden.
In den vergangenen zehn Jahren wurden dem WWF zufolge allein im brasilianischen Teil des Amazonasregenwaldes jährlich etwa 0,5 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente durch Entwaldung freigesetzt. „Insgesamt hat die bisherige Zerstörung bereits zu Treibhausgasemissionen von rund 70 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten geführt“, erklärte Scattolin. Zum Vergleich: Deutschland stößt im Jahr etwa eine Milliarde Tonnen CO2-Äquivalente aus. Um die Klimaschutzziele der internationalen Gemeinschaft einzuhalten und die Klimaerwärmung unter zwei Grad zu halten, müsse der Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre aber so gering wie möglich gehalten werden. „Waldbedeckung, Wasserhaushalt und Klimagase sind eng verbunden“, so der Experte.
Die größte Gefahr besteht aber durch den Klimakipppunkt: Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung markiert dieser das Versagen des Amazonas, Kohlenstoff zu speichern: „Durch Rückkopplungseffekte könnte der Regenwald dann von einer Kohlenstoffsenke zu einer der größten Kohlenstoffquellen werden und damit die Klimakrise sogar verstärken“, sagte Scattolin. Diese „Tipping Points“haben das Potenzial, „dass sich die Klimaerhitzung verselbstständigt und selbst verstärkt“.
Etwa 20 Prozent des Amazonas wurden bereits gerodet. „Es wird angenommen, dass ein Kipppunkt zwischen 20 und 25 Prozent liegt“, sagte der WWF-Experte. Die befürchtete Konsequenz: Die südlichen und östlichen Teile des Regenwaldes trocknen aus und verwandeln sich in eine Savanne. Entwaldung führt zur Austrocknung weiterer Flächen, Brände werden wahrscheinlicher, mehr Treibhausgase werden frei, der Niederschlag reduziert sich.
„Dieser sich selbst verstärkende Prozess ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr aufzuhalten: wenn die Entwaldung so weit fortgeschritten ist, dass der Regenwald selbst nicht mehr genug Feuchte für sein Überleben halten oder produzieren kann. Die Folge wäre ein großflächiges Waldsterben, der Regenwaldbestand in seiner heutigen Form würde halbiert und es könnten weitere etwa 150 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre freigesetzt werden“, erklärte Scattolin. Der WWF Österreich forderte eine scharfe internationale Reaktion auf die zunehmenden Waldbrände, um den Druck auf Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro zu erhöhen. „Viele Beobachter sehen einen Zusammenhang zu der steigenden Zahl illegaler Waldrodungen. Es ist zu befürchten, dass auf diese Weise neue Flächen für die industrielle Landwirtschaft sowie neue Viehzucht zur Massenproduktion von Fleisch geschaffen werden sollen. Das ist nicht nur eine Katastrophe für Umwelt und Natur, sondern auch für das Weltklima“, warnte Scattolin.
Die Umweltschutzorganisation fordert auch die Europäische Kommission auf, den Abschluss des geplanten Freihandelsabkommens EU-Mercosur zu stoppen und grundlegend neu zu verhandeln.
Auch Caritas-Präsident Michael Landau hat angesichts der verheerenden Brände zum Schutz des Regenwaldes aufgerufen. „Wenn Regenwälder brennen, steht unser gesamtes Haus in Flammen!“Die Verantwortung für die seit Tagen tobenden Brände hört laut Landau nicht an der Grenze Brasiliens auf: „Die verheerende Situation vor Ort geht uns alle an.“