Backstage
Der Sommer ist die Jahreszeit der T-Shirts. Ihre Muster, Farben und Sprüche lassen sich nicht mehr unter der Jacke oder dem Pullover verbergen, und ein Spaziergang durch die Einkaufsstraßen der Stadt entwickelt sich, Passant um Passant, zu einem Fortsetzungsroman für jene, die nicht anders können, als alles und jedes zu lesen, was in leuchtenden Buchstaben fröhlich auf Textil prangt. Die Feststellung „Bier formte diesen schönen Körper“ist dabei noch gar nicht das Ende der Geschichte.
Im Schaufenster eines beliebten Bekleidungsgeschäfts habe ich im Vorbeigehen ein T-Shirt gesehen mit folgender Aufschrift: „Rude girls go backstage“. Freche Mädchen kommen demnach hinter die Bühne, in die Künstlergarderobe, in den Proberaum. Der Spruch ist eine verkürzte und abgewandelte Version von „Good girls go to heaven, bad girls go everywhere“– die schlimmen Kinder kommen, wie es ihnen früher einmal angedroht worden ist, eben nicht mehr in die Hölle. Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überallhin: Belege für diesen Satz als Zitat innerhalb der Popkultur lassen sich etwa seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts finden, mitunter wird er der Hollywood-Schauspielerin Mae West als Urheberin zugeschrieben. Wenn wir nun das Quantum Selbstironie abziehen möchten, das die potenzielle Trägerin eines solchen T-Shirts durchaus aufbringen darf, bleibt der nackte Kern der Aussage übrig: Wilde Mädchen stehen nicht auf der Bühne, nein, sie verziehen sich angeblich brav hinter die Kulissen.
Um dort eigentlich was zu tun? Das Catering zu testen? Den Tourbus zu reinigen? Ausgiebig MeToo-Debatten zu führen?
Und welche T-Shirt-Sprüche hat die Textilindustrie für die wilden Buben ausgewählt? Ein schneller Blick auf die einschlägigen Verkaufsplattformen im Internet fördert zahllose Möglichkeiten zutage: Für junge Männer gibt es da einmal TShirts mit der lakonischen Aufschrift „Bad Boy“. Wohin sie gehen, wird seltener genannt. Man möchte vermuten, dass sie sogleich und ohne Hindernis on stage gehen, es gibt aber auch die touristischere Variante: „Good boys go to heaven, bad boys go to Bangkok“. Eine andere Spielart lautet: „We ride together, we die together. Bad boys for life“. Sie fahren zusammen, sie sterben gemeinsam. Wohin der Weg sie führt, darüber wird nichts gesagt. Böse Buben, ein Leben lang. Ein anderes T-Shirt weist seinen Träger als denjenigen aus, vor dem die Mütter ihre Töchter immer schon gewarnt haben: „I’m the guy y’r mom warned you about!“Eine Warnung, die man vielleicht ernst nehmen sollte, jedenfalls, was Fragen des Modegeschmacks und des Humors anbelangt. „Boys don’t cry“wiederum hießen ein Album und ein Song der Pop-Band The Cure Anfang der 80erJahre, der Spruch wurde gern auf T-Shirts gedruckt. Es lassen sich aber auch softere Formen der Selbstbeschreibung finden: „Well, a boy’s best friend is his mother“. Wem selbst die Muttersöhnchen zu aufdringlich sind, der wählt die intellektuelle Variante, vielleicht unisex zu tragen: „Boys in books are just better“.
Woher kommt eigentlich dieses Bedürfnis, mit einem T-Shirt-Spruch derart Selbstauskunft zu geben, frage ich mich. Und was sagt ihr Inhalt, massenhaft angeboten und erworben, denn über den Zustand unserer Gesellschaft, über das Verhältnis der Geschlechter, die Zuweisung von Himmel, Hölle und Bangkok aus?