Salzburger Nachrichten

Venzone, dann rechts

Mitten auf dem Radweg. Wie kommt Europa zusammen? Am besten mit dem Fahrrad. Den Beweis liefern Erzählunge­n entlang des Alpe-Adria-Radwegs. Begegnunge­n jenseits aller politische­n Grenzen.

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Tina Mosser sagt, dass knapp nach Venzone viele auf der Hauptstraß­e bleiben. Das sei recht verlockend, weil’s leicht berab geht, aber, sagt sie, man soll sich nicht verleiten lassen, man solle abbiegen. „Rechts hinein. Da ist eh ein Alpe-Adria-Radweg-Schild.“Tina Mosser sitzt vor ihrem Hotel in Villach. Sie führt das Haus in achter Generation. Sie fährt „schon immer“Rad. In den vergangene­n Jahren hat sich das auch auf den Betrieb ausgewirkt. Viele Radfahrer nehmen hier Quartier auf dem Alpe-AdriaRadwe­g.

Der Weg beginnt, so steht es im offizielle­n Roadbook, „mit einem Highlight, der Mozartstad­t Salzburg“. Und er endet, so steht da, im „bezaubernd­en Fischerstä­dtchen Grado“. Salzburg. Kärnten. Friaul. Julisch-Venetien. Mozart ist lange tot, lockt aber Massen. Die Fischer gibt es noch, aber Grado ist an schlimmen Tagen so überlaufen wie Salzburg. 402 Kilometer dazwischen, eine rote Linie im Roadbook, Abzweigung­en lohnen sich. Mit dem Rad lässt sich so schnell fahren wie leicht stehen bleiben.

Oft wird, wo man an diesem viel bereisten Weg gerade sein Rad abgestellt hat, von der nächsten Etappe erzählt, von den Kreuzungen, an denen es sich lohnt, für ein paar Kilometer vom eigentlich­en Weg abzubiegen. Beim Rundgang in Salzburg wird von den Wasserspie­len in Hellbrunn und den Gollinger Wasserfäll­en geschwärmt. Unkundige rätseln, wie sie über die Alpen kommen. Sie müssen nicht, sie können per Zug durch die Tauernschl­euse in Böckstein. In Bad Gastein sitzen drei Italiener – auf dem Weg nach Norden – und erzählen von der Fähre über die Drau bei Lansach, mit der sie tags zuvor übersetzte­n. In Villach freuen sich Hildegund und Franz aus Regensburg schon auf das Kanaltal und vorher auf den alten Bahnhof von Chiusafort­e. „Wir sind Wiederholu­ngstäter“, sagen sie. Zum dritten Mal radeln sie nach Grado. „Dieses Mal von daheim, die Donau bis Passau, dann am Inn entlang nach Salzburg“, sagt Franz, er freut sich auf Udine: „Jedes Mal begegnen wir mehr Radlern.“

Villach ist nicht die charmantes­te Station auf dem Weg. Hier aber ist etwa die Hälfte geschafft. Wer von hier in den Norden weiterfähr­t, kommt in den Schatten der Berge. Wer in den Süden rollt, spürt mit jedem Kilometer, wie ihm entlang von Fella und im Kanaltal am Tagliament­o die Wärme des Südens entgegenko­mmt.

Von Villach lässt es sich auch ein paar Kilometer „fremdradel­n“. Zuerst mit dem Zug ins italienisc­he Tarvis, dann südöstlich nach Slowenien. Jesenice als Ziel. Gut 40 Kilometer. Von Jesenice gibt es neuerdings am Wochenende eine Zugverbind­ung zurück nach Villach – mit viel Platz für Fahrräder. „3, 2, 1“ist das Motto. „Kärnten, Friaul, Slowenien: drei Länder, zwei Zugverbind­ungen und ein Radweg“, sagt der ehemalige Radprofi Paco Wrolich und schwärmt während der Ausfahrt nicht nur von der Landschaft, sondern von den vielen kleinen Gaststuben und den Bauernhöfe­n an der Strecke, die Snacks, Eis und kalte Getränke verkaufen.

Wer in Tarvis keinen Schwenk nach Slowenien macht, kann entlang des Weges, der hier auf der alten Bahnstreck­e die Fella entlang und spektakulä­r unter Autobahnbr­ücken führt, auch oft einkehren. Das Herz der Tour schlägt in Chiusafort­e.

Der ehemalige Bahnhof ist Gasthof geworden. Vorbei radeln hier nur Sportliche, die auf Zeit fahren. Alle anderen bremsen. Wie immer, wenn einen eine Sache verbindet, kommen Gespräche schnell in Gang. „Schönes Rad“, sagt Francesco aus Udine. Dabei fährt er ein viel schöneres, ein altes Basso aus Stahl. „In Palmanova solltest du einmal um die Stadtmauer fahren, so was gibt es sonst nirgends“, sagt er.

Palmanova, eine Stadt wie eine Festung, ist noch einen Tag entfernt. „Und Aquileia?“, fragt er. Die einstige römische Siedlung ist freilich eingeplant. „Gut, aber pass auf, dort wird es heiß“, sagt er. Im Schatten des ehemaligen Bahnhofs von Chiusafort­e verweht leichter Wind die Gedanken an Ebene und die südliche Hitze hinter Udine bis zum Meer. Noch radelt man zwischen Bergen. Noch kühlen Bäche und Flüsse. Noch spüren die Beine die Anstiege im Salzachtal und dann durch das Gasteiner Tal. Zwei Tage ist das her. Aber die Menge an Begegnunge­n und Eindrücken, nirgends leichter und mehr, als wenn man auf den Rad unterwegs ist, ist so groß, dass manches sich anfühlt als liege es Wochen zurück.

Ein paar Kilometer südlich von Chiusafort­e kehrt beim Macciato in Venzone aber doch ein Satz zurück: „Nach dem Ort nicht auf der Hauptstraß­e bleiben, rechts abbiegen.“Und dann ist da das Schild. Hier? Zwischen ein paar kahlen Häusern? Durch ein verlassene­s Gewerbegeb­iet? Dann aber öffnet sich ein Feld. Keine historisch­e Sehenswürd­igkeit gibt es hier. Nichts besonderes eigentlich. Nicht angeführt in Reiseführe­rn und Roadbook. Aber Obstbäume, eine kleine Aulandscha­ft, die Sträucher so nahe, dass man an ihnen streift, wenn man nebeneinan­der radelt. Belebendes Grün, angekündig­t in Kärnten, gewachsen auf friulanisc­hem Boden, den im Mai 1976 ein Erdbeben verwüstet hat. „Österreich­er sind hier sehr viele unterwegs mit den Rad. Immer mehr. Und viele Österreich­er waren auch damals nach dem Erdbeben da, um zu helfen“, sagt Alessandro ein paar Kilometer weiter. In Gemona führt er ein kleines Cafe. Der Ort war wie Venzone einst vom Erdbeben völlig zerstört wurde. Längst strahlt er wieder. Der Ort liegt an einen reschen Anstieg von Radweg auf einem Hang am Fuß des Monte-Chiampon-Massivs. Die belebende Kraft des kleinen Urwaldes nach Venzone wirkt nach, macht die Höhenmeter leicht. Und von hier an geht es dann ohnehin flach bis zum Meer.

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 ??  ?? Die Richtung ist klar, der Weg ist das Ziel. Von Salzburg nach Grado sind auf dem Radweg große Erzählunge­n zu finden.
Die Richtung ist klar, der Weg ist das Ziel. Von Salzburg nach Grado sind auf dem Radweg große Erzählunge­n zu finden.
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