Sind die Identitären Nazis?
Gefährliche Hassliebe. An der „Berühmtheit“der Identitären haben auch politische Gegner und Medien kräftig mitgewirkt. Sie alle leben schließlich von Aufmerksamkeit. Die oftmals vereinfachte und skandalisierende Darstellung der Identitären als Nazis weiß
Klammheimliche Bewunderung. Und glatte Dämonisierung. Das sind die Pole, zwischen denen sich die Debatte bewegt, wenn es um die Identitäre Bewegung geht. Beides verschafft dieser politischen Kleingruppe überhaupt erst die öffentliche Aufmerksamkeit, von der sie lebt.
In der Strategie der Identitären geht es vornehmlich um Begriffe – und den Kampf um diese. Diesen Kampf führen die neuen Rechten nun auf politischer wie metapolitischer Ebene. Nicht nur Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und der Spitzenmann der AfD, Alexander Gauland, haben zum Kampf gegen den angeblichen „Bevölkerungsaustausch“aufgerufen, auch Pegida und unzählige andere fremdenfeindliche Protestinitiativen haben den KampagnenSlang der IB adaptiert. Die Identitären haben es geschafft, die eigenen Begriffe in der öffentlichen Debatte auf die Agenda zu setzen. Dabei war gerade in den vergangenen Jahren noch mit einer eigenartigen Mischung aus Spott und Selbstzufriedenheit in linken und liberalen Medien auf die in der Krise befindlichen Identitären geschaut worden. Vor allem nach dem Eintritt der FPÖ in die Regierung schien eine aktivistische rechte Jugendorganisation immer weniger notwendig, die IB immer mehr zu einer Belastung geworden zu sein.
Für einige Beobachter schien sich die Bewegung seit einer Weile im Niedergang zu befinden, sie wurde für ihre zahlenmäßige Bedeutungslosigkeit verspottet. Dennoch wurde sie im scheinbaren Widerspruch hierzu oft als Gefahr dargestellt – und damit deren aufgeblähte Selbstdarstellung übernommen. Diese Einschätzung basiert auch auf dem Urteil vieler linker zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie AntifaGruppen, die sich an den Identitären abgearbeitet haben.
Das war der medialen Resonanz der IB sicher nicht abträglich und verdeutlicht auch ein Problem. Denn die Skandalisierung der Identitären Bewegung hat dieser erst einen Teil der von ihr angestrebten Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs verschafft. Was dabei fast alle von linker Seite kommenden Kommentare eint, ist, dass sie sich mit der Bezeichnung der Identitären als Nazis begnügen. Der Nazi-Vorwurf fungiert hier als ein apodiktisches Urteil, das keiner Begründung bedarf und Klarheit bei der eigenen Feindbestimmung schafft.
Dem konnten die Rechten in zunehmenden Maße ihre eigene Sichtweise entgegenstellen – nicht ohne Erfolg. So haben Aktivisten eine Kampagne ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, dem Umgang der Presse mit der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) entgegenzutreten und vermeintliche Lügen zu entlarven. In einem mit „Unwahrheiten gegen Identitäre“betitelten „Dossier“listet der IBÖ-nahe „Arbeitskreis Nautilus“65 Aussagen aus der Presse auf – und hält ihnen jeweils eine vermeintliche Richtigstellung entgegen.
Dass es sich dabei oft um schlicht begriffliche Umdeutungsversuche handelt, etwa was den „Großen Austausch“angeht, fällt rasch auf. Trotzdem zeigt sich auch, dass es die mediale Berichterstattung oft nicht so genau genommen hat. Genau das offenbart die Gefahr der starken Fokussierung der Medien auf die IB und deren alarmistische, teils verzerrte Darstellung. Die Neurechten wissen die Dramatisierung für sich zu nutzen und haben es damit leicht, die sogenannten Mainstreammedien zu diskreditieren und ihre eigenen „patriotischen“Medien als ehrliche Alternative anzupreisen.
Die aktuelle, wahlkampfbedingte Zuspitzung der medialen Debatte um die IB wird deren Chef Martin Sellner also nicht nur geärgert haben. Dessen Selbstinszenierung als Opfer einer Hexenjagd ist eben auch eine Medienstrategie, zu der auch die wahrheitswidrige
Übertreibung gehört. So spricht er in klarer Anlehnung zur Antisemitismustheorie von einem „Vernichtungswunsch“, den der „linke Mainstream“gegen die IB und andere „Patrioten“hege. In dasselbe Horn stoßen die allenthalben von der deutschen AfD bemühten geschichtsrevisionistischen Vergleiche der gegenwärtigen politischen Ordnung mit jener der DDR, mit deren Hilfe sie sich als staatlich verfolgte Opposition stilisieren möchten.
Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Sellner als politischer Aktivist mit einer Reihe von nicht nur politischen Repressionsmaßnahmen bedacht wird, man denke etwa an die durchaus fragwürdigen Sperrungen von Privatkonten bei Banken. Hier agieren private Firmen ohne direkten Zuruf als politische Akteure, um Einzelne wegen deren politischer Ansichten von ihren Dienstleistungen auszuschließen.
Das kann etwa dazu führen, dass jemand die Miete nicht bezahlen kann oder den Job verliert. Unter anderen politischen Vorzeichen würden es auch Linke als Verstoß gegen einen Gleichbehandlungsgrundsatz kritisieren, wenn persönliche Rechte derart eingeschränkt würden. Es liegt auf der Hand, dass die Identitären auch dieses Vorgehen propagandistisch zu nutzen wissen.
Sellners Kritik an den gegen ihn erhobenen Nazivorwürfen haftet freilich etwas Skurriles an. Nicht primär wegen
seiner politischen Vergangenheit im Umfeld des Neonazis Gottfried Küssel – von der er sich seit Jahren öffentlich distanziert. Sondern sie ist eine selbstgerechte Perfidie, weil ihr ein doppelter Standard zugrunde liegt. Allenthalben lassen sich in den Organen der neurechten Publizistik polemische Vergleiche der Politik der Regierungen Deutschlands, Österreichs oder der Europäischen Union mit dem Dritten Reich finden. Besonders das „Compact“-Magazin, für das Sellner eine Kolumne schreibt und das er monatlich auf seinem YouTube-Kanal bespricht, tut sich mit dieser Art der politischen Denunziation hervor.
Getrieben von der Aufmerksamkeitsökonomie werden immer drastischere Cover entworfen: Der deutsche Außenminister Heiko Maas als neuer Goebbels, Angela Merkel als Wiedergängerin Hitlers, die Grünen als neue NSDAP. Auch die neurechte Empörungsmaschinerie betreibt mit ihren NS-Vergleichen eine Dämonisierung des politischen Gegners. Und damit eine Trivialisierung des historischen Nationalsozialismus.
Sellners Übertreibungen lässt sich entgegenhalten, dass er und andere Neurechte wiederholt an prominenter Stelle in den österreichischen Medien ihre Sicht der Dinge darlegen können, etwa bei Servus TV oder in der Sendung „Fellner! Live“(oe24). Gerade in einer von Fellners Sendungen, in der Sellner Stellung zu den Vorwürfen nehmen konnte, war besonders anschaulich die begriffliche Bankrotterklärung der Linken – verkörpert damals durch den Sprecher der Gruppe „Linkswende“, David Albrich – zu bestaunen. Der hatte dem rhetorisch versierten Sellner nur aufgeregte Skandalisierung entgegenzusetzen.
Da offenbarte sich beispielhaft, dass die pauschale und undifferenzierte Bezeichnung der Identitären als Nazis – ebenso wie die derzeitige Stärke der Rechten – auch Resultat der Schwäche der Linken ist. Diese Schwäche zeichnet sich durch Unvermögen
Sellners Kritik an den Nazivorwürfen haftet etwas Skurriles an.
oder Unwillen aus, sich inhaltlich mit den Identitären bzw. der Rechten auseinanderzusetzen.
Das würde nämlich auch bedeuten, darüber nachzudenken, wie man selbst eine Abkehr von Aufklärung und universeller Freiheit vollzogen hat und diese gegen Identitätspolitik ausgetauscht hat: Die Verteidigung der Freiheit scheint auch für viele Linke von der Verteidigung von Religion und Kultur abgelöst worden zu sein. In dieser Hinsicht eint der Fokus auf Identität rechte wie „linke Identitäre“.
Regelmäßig betont Martin Sellner seine weiße Weste. Sämtliche Verfahren gegen ihn laufen ins Leere, wie er immer gerne und stolz erzählt. Auch dadurch fällt es ihm leicht, die auf Bedrohlichkeit und Schrecken aufgebaute Berichterstattung lächerlich zu machen. Laut regelmäßiger Selbstauskunft in seinen Videos will Sellner weder die Meinungsund Pressefreiheit einschränken noch die Gewaltenteilung aufheben oder politische Gegner in Lager sperren. Damit lassen die Identitären viele Kennzeichen einer faschistischen Bewegung vermissen. Entsprechende Vorstellungen dürften sich wohl eher beim Pendant der AfD-Rechten um Björn Höcke finden lassen. Dennoch ist das Verhältnis der IB zur Gewalt nicht eindeutig oder transparent. Wenngleich sie immer wieder ihren friedlichen Charakter betont, so wird in ihrer Ästhetik sowie der apokalyptischen Rhetorik zumindest mit Gewalt gespielt. Vor allem ihre Forderung nach „Rückwanderung“, was nichts anderes als massenhafte Deportationen heißen kann, zielt letztlich auf (staatliche) Gewalt. Die Identitären betonen zwar, dass auch dies eine friedliche Programmatik darstellen
soll, mit dem kuriosen Ziel, eine „ethnisch relativ homogene Gesellschaft“herzustellen. Doch auch ihre Ästhetisierung der Politik und Bezugnahme auf Vordenker des Faschismus sowie Vertreter der konservativen Revolution wie Carl Schmitt offenbart definitiv eine Nähe zu faschistischen Ideologien.
Aber Nähe ist eben keine Identifizierbarkeit. Die Gefährlichkeit der Identitären besteht gerade nicht in einer nur strategisch versteckten Gewalttätigkeit. Nicht nur darin, dass der Attentäter von Christchurch sich auf sie berufen hat. Nicht darin, dass sie dasselbe Vokabular etwa vom „Großen Austausch“benutzen. Sondern: Die IB will einen ethnischen Volksbegriff wieder salonfähig machen. Und dementsprechend Ethnonationalismus und fremdenfeindliche Politik (zumindest vordergründig) auf friedlichem Wege erreichen.
Dafür muss man heutzutage kein Nazi sein, sondern kann Nazis sogar explizit ausgrenzen. Die Innovation der Identitären und gleichzeitig ihr Vorteil gegenüber echten Neonazis ist gerade, dass sie wegen des Verzichts auf Gewalt und ihrer antitotalitären Haltung anschlussfähiger sind.
Das ist übrigens eine Haltung, die generell für eine modernisierte neue Rechte kennzeichnend ist. So hat etwa einer der Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, eine Abhandlung geschrieben, in der er den Totalitarismus scharf verurteilt.
Dazu kommt die große Medienwirksamkeit dieser Strömung, die gleichermaßen auf Provokation und Professionalität beruht – und die auf die Sensationslust einiger Medien trifft. Etwas provokant formuliert könnte man auch von einer gewissen Hassliebe im Verhältnis von Presse und IB sprechen. Denn beide scheinen nicht ohne einander auszukommen, müssen sich ständig aneinander abarbeiten. Also: Die IB ist primär ein mediales Phänomen.
Die Gefahr, die von den Identitären ausgeht, ist also die Normalisierung migrations- bzw. ausländerfeindlicher Politik mitsamt der zugehörigen Vokabel vom „Großen Austausch“. Und nicht etwa der von Menschenmassen unterstützte Aufzug des neuen Faschismus. Die Gruppe mit dem gelben Lambda-Logo bleibt letztlich eine Art militantere Parteijugend der FPÖ und ist nicht die brandgefährliche, weil gewalttätige Bewegung, die die Demokratie abschaffen und eine Diktatur errichten will, so wie einige Linke sie sich zurechthalluzinieren. So gesehen wäre ein wenig mehr Gelassenheit im Umgang mit den Identitären wünschenswert gewesen – was in diesem Wahlkampf aber leider aussichtslos erscheint. Warum? Eben, weil auch die Antifa diese Bewegung gerade zu dem gemacht hat, was sie ist, wie Sellner selbst einmal in der rechten Zeitschrift „Sezession“eingeräumt hat. Und weil der regelrechte Identitären-Hype in den Medien ihr erst die benötigte Geltung verschafft hat. Die Stärke der Rechten offenbart allerdings auch die Krise der Linken. Sie besteht nicht zuletzt im Fehlen eigener Inhalte, die schließlich im ständigen krampfhaften Abarbeiten am politischen Gegner resultiert, so auch im Falle Sellner und der Identitären. Jedoch könnten sich die ständigen leeren Nazivorwürfe als eher kontraproduktiv erweisen, sie tun es bereits jetzt. Und der Modernisierung der Rechten wird man mit ihnen ohnehin nicht gerecht.
Die Stärke der Rechten offenbart die Schwäche der Linken.