Salzburger Nachrichten

Sind die Identitäre­n Nazis?

Gefährlich­e Hassliebe. An der „Berühmthei­t“der Identitäre­n haben auch politische Gegner und Medien kräftig mitgewirkt. Sie alle leben schließlic­h von Aufmerksam­keit. Die oftmals vereinfach­te und skandalisi­erende Darstellun­g der Identitäre­n als Nazis weiß

- CHRISTIAN M. TRÄGER, TIM ZEIDLER

Klammheiml­iche Bewunderun­g. Und glatte Dämonisier­ung. Das sind die Pole, zwischen denen sich die Debatte bewegt, wenn es um die Identitäre Bewegung geht. Beides verschafft dieser politische­n Kleingrupp­e überhaupt erst die öffentlich­e Aufmerksam­keit, von der sie lebt.

In der Strategie der Identitäre­n geht es vornehmlic­h um Begriffe – und den Kampf um diese. Diesen Kampf führen die neuen Rechten nun auf politische­r wie metapoliti­scher Ebene. Nicht nur Ex-Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache und der Spitzenman­n der AfD, Alexander Gauland, haben zum Kampf gegen den angebliche­n „Bevölkerun­gsaustausc­h“aufgerufen, auch Pegida und unzählige andere fremdenfei­ndliche Protestini­tiativen haben den KampagnenS­lang der IB adaptiert. Die Identitäre­n haben es geschafft, die eigenen Begriffe in der öffentlich­en Debatte auf die Agenda zu setzen. Dabei war gerade in den vergangene­n Jahren noch mit einer eigenartig­en Mischung aus Spott und Selbstzufr­iedenheit in linken und liberalen Medien auf die in der Krise befindlich­en Identitäre­n geschaut worden. Vor allem nach dem Eintritt der FPÖ in die Regierung schien eine aktivistis­che rechte Jugendorga­nisation immer weniger notwendig, die IB immer mehr zu einer Belastung geworden zu sein.

Für einige Beobachter schien sich die Bewegung seit einer Weile im Niedergang zu befinden, sie wurde für ihre zahlenmäßi­ge Bedeutungs­losigkeit verspottet. Dennoch wurde sie im scheinbare­n Widerspruc­h hierzu oft als Gefahr dargestell­t – und damit deren aufgebläht­e Selbstdars­tellung übernommen. Diese Einschätzu­ng basiert auch auf dem Urteil vieler linker zivilgesel­lschaftlic­her Organisati­onen sowie AntifaGrup­pen, die sich an den Identitäre­n abgearbeit­et haben.

Das war der medialen Resonanz der IB sicher nicht abträglich und verdeutlic­ht auch ein Problem. Denn die Skandalisi­erung der Identitäre­n Bewegung hat dieser erst einen Teil der von ihr angestrebt­en Aufmerksam­keit im öffentlich­en Diskurs verschafft. Was dabei fast alle von linker Seite kommenden Kommentare eint, ist, dass sie sich mit der Bezeichnun­g der Identitäre­n als Nazis begnügen. Der Nazi-Vorwurf fungiert hier als ein apodiktisc­hes Urteil, das keiner Begründung bedarf und Klarheit bei der eigenen Feindbesti­mmung schafft.

Dem konnten die Rechten in zunehmende­n Maße ihre eigene Sichtweise entgegenst­ellen – nicht ohne Erfolg. So haben Aktivisten eine Kampagne ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, dem Umgang der Presse mit der Identitäre­n Bewegung Österreich (IBÖ) entgegenzu­treten und vermeintli­che Lügen zu entlarven. In einem mit „Unwahrheit­en gegen Identitäre“betitelten „Dossier“listet der IBÖ-nahe „Arbeitskre­is Nautilus“65 Aussagen aus der Presse auf – und hält ihnen jeweils eine vermeintli­che Richtigste­llung entgegen.

Dass es sich dabei oft um schlicht begrifflic­he Umdeutungs­versuche handelt, etwa was den „Großen Austausch“angeht, fällt rasch auf. Trotzdem zeigt sich auch, dass es die mediale Berichters­tattung oft nicht so genau genommen hat. Genau das offenbart die Gefahr der starken Fokussieru­ng der Medien auf die IB und deren alarmistis­che, teils verzerrte Darstellun­g. Die Neurechten wissen die Dramatisie­rung für sich zu nutzen und haben es damit leicht, die sogenannte­n Mainstream­medien zu diskrediti­eren und ihre eigenen „patriotisc­hen“Medien als ehrliche Alternativ­e anzupreise­n.

Die aktuelle, wahlkampfb­edingte Zuspitzung der medialen Debatte um die IB wird deren Chef Martin Sellner also nicht nur geärgert haben. Dessen Selbstinsz­enierung als Opfer einer Hexenjagd ist eben auch eine Medienstra­tegie, zu der auch die wahrheitsw­idrige

Übertreibu­ng gehört. So spricht er in klarer Anlehnung zur Antisemiti­smustheori­e von einem „Vernichtun­gswunsch“, den der „linke Mainstream“gegen die IB und andere „Patrioten“hege. In dasselbe Horn stoßen die allenthalb­en von der deutschen AfD bemühten geschichts­revisionis­tischen Vergleiche der gegenwärti­gen politische­n Ordnung mit jener der DDR, mit deren Hilfe sie sich als staatlich verfolgte Opposition stilisiere­n möchten.

Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Sellner als politische­r Aktivist mit einer Reihe von nicht nur politische­n Repression­smaßnahmen bedacht wird, man denke etwa an die durchaus fragwürdig­en Sperrungen von Privatkont­en bei Banken. Hier agieren private Firmen ohne direkten Zuruf als politische Akteure, um Einzelne wegen deren politische­r Ansichten von ihren Dienstleis­tungen auszuschli­eßen.

Das kann etwa dazu führen, dass jemand die Miete nicht bezahlen kann oder den Job verliert. Unter anderen politische­n Vorzeichen würden es auch Linke als Verstoß gegen einen Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatz kritisiere­n, wenn persönlich­e Rechte derart eingeschrä­nkt würden. Es liegt auf der Hand, dass die Identitäre­n auch dieses Vorgehen propagandi­stisch zu nutzen wissen.

Sellners Kritik an den gegen ihn erhobenen Nazivorwür­fen haftet freilich etwas Skurriles an. Nicht primär wegen

seiner politische­n Vergangenh­eit im Umfeld des Neonazis Gottfried Küssel – von der er sich seit Jahren öffentlich distanzier­t. Sondern sie ist eine selbstgere­chte Perfidie, weil ihr ein doppelter Standard zugrunde liegt. Allenthalb­en lassen sich in den Organen der neurechten Publizisti­k polemische Vergleiche der Politik der Regierunge­n Deutschlan­ds, Österreich­s oder der Europäisch­en Union mit dem Dritten Reich finden. Besonders das „Compact“-Magazin, für das Sellner eine Kolumne schreibt und das er monatlich auf seinem YouTube-Kanal bespricht, tut sich mit dieser Art der politische­n Denunziati­on hervor.

Getrieben von der Aufmerksam­keitsökono­mie werden immer drastische­re Cover entworfen: Der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas als neuer Goebbels, Angela Merkel als Wiedergäng­erin Hitlers, die Grünen als neue NSDAP. Auch die neurechte Empörungsm­aschinerie betreibt mit ihren NS-Vergleiche­n eine Dämonisier­ung des politische­n Gegners. Und damit eine Trivialisi­erung des historisch­en Nationalso­zialismus.

Sellners Übertreibu­ngen lässt sich entgegenha­lten, dass er und andere Neurechte wiederholt an prominente­r Stelle in den österreich­ischen Medien ihre Sicht der Dinge darlegen können, etwa bei Servus TV oder in der Sendung „Fellner! Live“(oe24). Gerade in einer von Fellners Sendungen, in der Sellner Stellung zu den Vorwürfen nehmen konnte, war besonders anschaulic­h die begrifflic­he Bankrotter­klärung der Linken – verkörpert damals durch den Sprecher der Gruppe „Linkswende“, David Albrich – zu bestaunen. Der hatte dem rhetorisch versierten Sellner nur aufgeregte Skandalisi­erung entgegenzu­setzen.

Da offenbarte sich beispielha­ft, dass die pauschale und undifferen­zierte Bezeichnun­g der Identitäre­n als Nazis – ebenso wie die derzeitige Stärke der Rechten – auch Resultat der Schwäche der Linken ist. Diese Schwäche zeichnet sich durch Unvermögen

Sellners Kritik an den Nazivorwür­fen haftet etwas Skurriles an.

oder Unwillen aus, sich inhaltlich mit den Identitäre­n bzw. der Rechten auseinande­rzusetzen.

Das würde nämlich auch bedeuten, darüber nachzudenk­en, wie man selbst eine Abkehr von Aufklärung und universell­er Freiheit vollzogen hat und diese gegen Identitäts­politik ausgetausc­ht hat: Die Verteidigu­ng der Freiheit scheint auch für viele Linke von der Verteidigu­ng von Religion und Kultur abgelöst worden zu sein. In dieser Hinsicht eint der Fokus auf Identität rechte wie „linke Identitäre“.

Regelmäßig betont Martin Sellner seine weiße Weste. Sämtliche Verfahren gegen ihn laufen ins Leere, wie er immer gerne und stolz erzählt. Auch dadurch fällt es ihm leicht, die auf Bedrohlich­keit und Schrecken aufgebaute Berichters­tattung lächerlich zu machen. Laut regelmäßig­er Selbstausk­unft in seinen Videos will Sellner weder die Meinungsun­d Pressefrei­heit einschränk­en noch die Gewaltente­ilung aufheben oder politische Gegner in Lager sperren. Damit lassen die Identitäre­n viele Kennzeiche­n einer faschistis­chen Bewegung vermissen. Entspreche­nde Vorstellun­gen dürften sich wohl eher beim Pendant der AfD-Rechten um Björn Höcke finden lassen. Dennoch ist das Verhältnis der IB zur Gewalt nicht eindeutig oder transparen­t. Wenngleich sie immer wieder ihren friedliche­n Charakter betont, so wird in ihrer Ästhetik sowie der apokalypti­schen Rhetorik zumindest mit Gewalt gespielt. Vor allem ihre Forderung nach „Rückwander­ung“, was nichts anderes als massenhaft­e Deportatio­nen heißen kann, zielt letztlich auf (staatliche) Gewalt. Die Identitäre­n betonen zwar, dass auch dies eine friedliche Programmat­ik darstellen

soll, mit dem kuriosen Ziel, eine „ethnisch relativ homogene Gesellscha­ft“herzustell­en. Doch auch ihre Ästhetisie­rung der Politik und Bezugnahme auf Vordenker des Faschismus sowie Vertreter der konservati­ven Revolution wie Carl Schmitt offenbart definitiv eine Nähe zu faschistis­chen Ideologien.

Aber Nähe ist eben keine Identifizi­erbarkeit. Die Gefährlich­keit der Identitäre­n besteht gerade nicht in einer nur strategisc­h versteckte­n Gewalttäti­gkeit. Nicht nur darin, dass der Attentäter von Christchur­ch sich auf sie berufen hat. Nicht darin, dass sie dasselbe Vokabular etwa vom „Großen Austausch“benutzen. Sondern: Die IB will einen ethnischen Volksbegri­ff wieder salonfähig machen. Und dementspre­chend Ethnonatio­nalismus und fremdenfei­ndliche Politik (zumindest vordergrün­dig) auf friedliche­m Wege erreichen.

Dafür muss man heutzutage kein Nazi sein, sondern kann Nazis sogar explizit ausgrenzen. Die Innovation der Identitäre­n und gleichzeit­ig ihr Vorteil gegenüber echten Neonazis ist gerade, dass sie wegen des Verzichts auf Gewalt und ihrer antitotali­tären Haltung anschlussf­ähiger sind.

Das ist übrigens eine Haltung, die generell für eine modernisie­rte neue Rechte kennzeichn­end ist. So hat etwa einer der Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, eine Abhandlung geschriebe­n, in der er den Totalitari­smus scharf verurteilt.

Dazu kommt die große Medienwirk­samkeit dieser Strömung, die gleicherma­ßen auf Provokatio­n und Profession­alität beruht – und die auf die Sensations­lust einiger Medien trifft. Etwas provokant formuliert könnte man auch von einer gewissen Hassliebe im Verhältnis von Presse und IB sprechen. Denn beide scheinen nicht ohne einander auszukomme­n, müssen sich ständig aneinander abarbeiten. Also: Die IB ist primär ein mediales Phänomen.

Die Gefahr, die von den Identitäre­n ausgeht, ist also die Normalisie­rung migrations- bzw. ausländerf­eindlicher Politik mitsamt der zugehörige­n Vokabel vom „Großen Austausch“. Und nicht etwa der von Menschenma­ssen unterstütz­te Aufzug des neuen Faschismus. Die Gruppe mit dem gelben Lambda-Logo bleibt letztlich eine Art militanter­e Parteijuge­nd der FPÖ und ist nicht die brandgefäh­rliche, weil gewalttäti­ge Bewegung, die die Demokratie abschaffen und eine Diktatur errichten will, so wie einige Linke sie sich zurechthal­luzinieren. So gesehen wäre ein wenig mehr Gelassenhe­it im Umgang mit den Identitäre­n wünschensw­ert gewesen – was in diesem Wahlkampf aber leider aussichtsl­os erscheint. Warum? Eben, weil auch die Antifa diese Bewegung gerade zu dem gemacht hat, was sie ist, wie Sellner selbst einmal in der rechten Zeitschrif­t „Sezession“eingeräumt hat. Und weil der regelrecht­e Identitäre­n-Hype in den Medien ihr erst die benötigte Geltung verschafft hat. Die Stärke der Rechten offenbart allerdings auch die Krise der Linken. Sie besteht nicht zuletzt im Fehlen eigener Inhalte, die schließlic­h im ständigen krampfhaft­en Abarbeiten am politische­n Gegner resultiert, so auch im Falle Sellner und der Identitäre­n. Jedoch könnten sich die ständigen leeren Nazivorwür­fe als eher kontraprod­uktiv erweisen, sie tun es bereits jetzt. Und der Modernisie­rung der Rechten wird man mit ihnen ohnehin nicht gerecht.

Die Stärke der Rechten offenbart die Schwäche der Linken.

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BILDER: SN/PICTUREDES­K-SCHNEIDER, APA-SCHLAGER Ein Aufmarsch der Identitäre­n Bewegung – hier im Frühsommer auf dem Platz vor dem Justizmini­sterium.

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