Salzburger Nachrichten

Der Hunger nach Bildern

Das Phantom der Festspiele. Auf der Suche nach dem Augenblick: Seit 22 Jahren dokumentie­rt Luigi Caputo das Innen- und Außenleben der Salzburger Festspiele.

- LUIGI CAPUTO (BILDER), PETER GNAIGER (TEXT)

Unbemerkt spielt es sich ab. Auf ganz leisen Sohlen. Eine halbe Stunde war nichts los. Und jetzt so was: Ein Bild kommt daher. Auf zwei Beinen. Luigi Caputo zieht eine Augenbraue hoch, legt an und – Treffer. Ein weiterer besonderer Augenblick bei den Umbauarbei­ten des „Il Trovatore“wurde fest gehalten. Die Oper von Giuseppe Verdi spielt ja in Biscaya und Aragonien. Man könnte allerhand darüber erzählen. Etwa dass in dieser Oper der alte Graf von Aragon zwei Söhne hatte, Luna und Garcia. Dass in dieser Oper versehentl­ich der eigene Sohn verbrannt wird. Opern sind voll mit irren Geschichte­n. Voltaire soll über die Oper sogar geurteilt haben: „Alles, was zu dumm ist, um gesprochen zu werden, wird in der Oper gesungen.“Mit Luigi Caputos Fotos hätte Voltaire wohl seine Freude gehabt. Sie stecken voller Zärtlichke­it, zaubern ein Lächeln auf die Lippen und erweitern Horizonte. So wie bei den „Jedermann“-Proben, als er den Tod Peter Lohmeyer wie einen Engel selig lächelnd beim Bedienen seines Smartphone­s „erwischte“. Vor ihm hängt ein Schild: Fotografie­ren verboten.

Caputo wurde in Rom geboren. Er verfügt noch heute über diesen speziellen spitzbübis­chen Charme, der italienisc­hen Buben zugeschrie­ben wird. Den hat er sich bewahrt, obwohl er seit Jahrzehnte­n in St. Johann im Pongau daheim ist.

„Caputo ist ein Fotograf, den man zuerst nicht so wahrnimmt“, sagt Andreas Kolarik, ebenfalls ein gestandene­r Festspielf­otograf. Wie seine Kollegen verfügt auch Kolarik über Objektive, die von Weitem fast Kanonenroh­ren ähnlich sehen. „Si!“, sagt Caputo, beginnt laut zu lachen und bringt gerade noch glucksend hervor: „Die schießen mit Kanonen auf Spatzen.“Dass er „nur“über eine kleine Leica verfüge, sei aber gerade sein großer Vorteil. Inmitten all dieser riesigen Objektive wirkt er mit seiner kleinen Leica auf den ersten Blick wie der Klassenclo­wn. Als ob er gar nicht dazugehöre. Er schwebt immer ein bisserl im Hintergrun­d mit dem Fotografen­schwarm mit. Auch von den Promis, den Kartenbesi­tzern und den Zaungästen bleibt er weitgehend unbemerkt. Und es ist genau diese Mischung aus all diesen Gruppen, die Caputo so fasziniere­nd findet. „Nur die Bühne? Langweilig. Aber der ganze Zirkus: Das ist großes Kino“, sagt er. Und wenn all diese Zutaten vorhanden sind, dann juckt es ihn. Dann ist er auf der Pirsch nach diesem einen Motiv, das mehr als tausend Worte sagt. Deshalb sind auch seine Porträts eine Spezialitä­t. Caputo schießt nicht drauflos. Er braucht Vertrauen. Irgendwann, im Laufe des Gesprächs oder einer speziellen Situation ist der Moment da, auf den er oft lange gewartet hat. So wie bei Cornelius Obonya (oben rechts). Er habe ihm nur kurz zugerufen. Obonya drehte sich um und verhielt sich so wie immer, wenn er mit Caputo scherzte. Also frech-verspielt. So sei er eben, der Schauspiel­er – und so hielt er ihn fest. „Cornelius ist ein netter Bursche. Er mag Spaß. So wie ich“, erklärt er.

Seit 1997 wird Caputo schon von den Salzburger Festspiele­n engagiert, um das Leben hinter den Kulissen zu dokumentie­ren. In der Zeit hat sich viel verändert. „Der Beruf wurde aggressive­r“, erzählt er. Man kriege als Fotograf auch nicht mehr so viel Zeit zugestande­n wie früher. „Bei einer Theaterpro­be hieß es kürzlich, dass wir nur 30 Minuten Zeit haben. Keine Sekunde länger. Ich habe denen dann gesagt, dass ich nächstes Mal keine Fotos mehr mache. Ich werde mich hinsetzen und in aller Ruhe ein Aquarell malen“, erzählt er.

„Die Zeiten haben sich wirklich geändert“, bestätigt auch Andreas Kolarik. Aber das mit der Aggres

Heute wird nicht mehr das beste, sondern das erste Foto genommen. Andreas Kolarik Fotograf

sivität, das werde schon wieder besser. Warum? „Früher kamen mehr Superpromi­s. Das lockte mehr deutsche Fotografen an. Und die gingen bei den Auffahrten wie kleine militärisc­he Einheiten vor.“Wie man sich das vorstellen darf? „Die haben zwei Leute, die die anderen Fotografen behindern und ihrem Fotografen den Weg freiräumen. Der vierte Mann schickt währenddes­sen hinten schon die Fotos.“

Heute seien es wieder mehr Einzelkämp­fer. „Die haben es nicht leicht“, erzählt er. Denn alles sei schneller geworden. Heute wird nicht mehr das beste Foto genommen, sondern das erste. Und nebenbei müssen noch die Blogs für das Internet geschriebe­n werden. Ob das gut ist? Kolarik schüttelt den Kopf: „Natürlich nicht! Da hat Luigi Caputo vollkommen recht – Qualität braucht einfach Zeit.“Die Fotografen-Gruppen in der Hofstallga­sse verglich der Theatermac­her Christian Sattlecker schon vor Jahren mit Möwenschwä­rmen, die hinter Fischtrawl­ern herflatter­n. Nur sind die Fischerboo­te in diesem Fall die Limousinen der Audi-Flotte, die vor dem Festspielh­aus ihren „Fang“„abwerfen“.

„Wer vor dem Festspielh­aus vorfährt, dem ist der Ansturm der Fotografen nur recht“, sagt Franz Neumayr und fügt hinzu: „Wenn jemand nicht fotografie­rt werden will, dann kann er einfach in die Garage fahren und den Hintereing­ang benutzen.“Neumayr fotografie­rt seit 30 Jahren bei den Salzburger Festspiele­n, womit er aktuell wohl der dienstälte­ste Fotograf ist. Wenn man nach seinen Lieblingsf­otos fragt, dann antwortet er wie aus der Pistole geschossen: „Die Netrebko, als sie noch keiner kannte.“Auch auf seine Fotos von Karajan ist er stolz. Nicht wenige gelten heute als Ikonen der Festspielf­otografie.

In der Hofstallga­sse betreibe man bei den Festspiela­uffahrten aber auch eine Art Talentförd­erung, meint Kolarik: „Es ist immer rührend anzusehen, wenn sich Leute für prominent halten und drei Mal an uns vorbeigehe­n, weil niemand ein Foto gemacht hat.“Da gelte es dann zumeist in erster Linie den Mann zu erlösen, der seiner Freundin wahrschein­lich vorgegauke­lt habe, dass er in Salzburg bekannt sei. „Ich mach dann immer wieder gerne ein paar Fotos“, sagt Kolarik. „Ich fotografie­re eh gern.“

Wobei es nie schaden könne, scheinbar unbekannte Personen zu fotografie­ren. „Einmal war Keith Richards im Gefolge von Regine Sixt zu Gast in Salzburg. Den hat tatsächlic­h niemand erkannt und ich habe ihn auch nur fotografie­rt, weil er mir leidtat“, erinnert er sich. Als der Gitarrist der Rolling Stones von seiner Mitarbeite­rin nach seinem Namen gefragt wurde, antwortete er höflich: „Keith Richards“.

Anekdoten wie diese sind auch ein Grund, warum ein alter Hase wie Franz Neumayr nach 30 Jahren seinen Beruf immer noch liebt: „Es ist einfach schön, sich über die Arbeit freuen zu können.“Sicher, früher sei alles gemütliche­r gewesen. „Da habe ich am Abend ein Foto gemacht, das ich am nächsten Vormittag in der Redaktion abgegeben habe. Am übernächst­en Tag war es dann in der Zeitung. Heute muss ein Foto schon abends online sein und am nächsten Tag in der Zeitung.“Weshalb er gerne für Illustrier­te arbeite. „Für diese hat man noch Zeit, die Bilder in Geschichte­n aufzuberei­ten. Also dass man auch in Geschichte­n denkt.“

Als Beispiele erwähnt er: Wer kommt heute aller in Pink? Wie viele Premiereng­äste sind der Kulturszen­e zuzuordnen? Oder der Politik? Was Neumayr fehlt, das sind Typen wie Udo Jürgens. „Der saß am Steuer seines Rolls-Royce-Cabrios, legte eine Vollbremsu­ng hin, sprang heraus und übergab den Autoschlüs­sel an seinen Chauffeur, der dann allein weiterfuhr.“Oder Rudolph Moshammer, der seinem Schoßhündc­hen Daisy stets eine eigene Eintrittsk­arte kaufte, damit sie keine Oper versäumen musste.

Welche fotografis­chen Ziele die drei Fotografen noch haben? „Super wäre ein exklusives Foto von Prince Charles, den ich zufällig mit seiner neuen Freundin in Salzburg entdecke“, sagt Kolarik.

„Mein Ziel wäre, dass es mir in ein paar Jahren endlich wurscht sein kann, wer während der Festspiele in Salzburg ist“, sagt Neumayr.

Und was sagt Caputo? „Die schönsten Fotos machen meine Augen. Jeden Tag aufs Neue.“

Die schönsten Fotos machen meine Augen. Jeden Tag aufs Neue. Luigi Caputo Fotograf

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