Salzburger Nachrichten

Kopftuch-Debatte geht in die nächste Runde

Die ÖVP fordert ein Kopftuchve­rbot für Schülerinn­en bis zum 14. Lebensjahr und für Lehrerinne­n. Was ein Integratio­nsexperte dazu sagt.

- MARIAN SMETANA

„Pflichtsch­ule als religionsf­reier Raum.“

Wenn in wenigen Tagen das nächste Schuljahr beginnt, wird es in vielen Schulen neue Regeln geben. So dürfen Volksschul­kinder an öffentlich­en Schulen kein Kopftuch mehr tragen. Das Gesetz wurde von der ÖVP-FPÖ-Regierung auf den Weg gebracht. Nun wollen die Türkisen eine Verschärfu­ng und schreiben in ihr Wahlprogra­mm ein Kopftuchve­rbot für Schülerinn­en bis zum 14. Lebensjahr. Auch Lehrerinne­n sollen laut dem Vorschlag ihr Haar nicht verhüllen dürfen – in allen Schulen. Der Vorschlag dürfte noch für viele Diskussion­en sorgen.

Eine Debatte, die vom Soziologen und Integratio­nsexperten Kenan Güngör begrüßt wird: „Ich habe mich immer dafür ausgesproc­hen, dass man sich Gedanken macht, wie man mit religiösen Symbolen im öffentlich­en Raum umgeht. Für mich sollten die Pflichtsch­ulen, also bis die Schüler 14 sind, religionsf­rei sein, damit sich die Kinder frei entfalten können“, sagt der Experte.

„Es geht in der Diskussion auch um die Frage, wie markant religiöse Symbole sind und welche Qualität sie haben.“Demnach wäre ein Kopftuch problemati­scher als ein Kreuz, das wenig sichtbar um den Hals getragen wird. „Wenn das Kreuz wiederum riesig über der Tafel hängt, wäre das aus meiner Sicht ähnlich problemati­sch“, sagt Güngör.

Er wisse auch, dass viele Muslimas das Kopftuch nicht aus streng religiösen Gründen trügen. Aber es stehe für etwas. „Mit dem Kopftuch wird für viele eine patriarcha­le Vorstellun­g über die geschlecht­liche und soziale Rolle der Frau verfestigt. Und: Wenn man früh gelernt hat, etwas anzuziehen, dann legt man es auch schwerer wieder ab.“Güngör fordert allerdings nicht nur ein Verbot des Kopftuchs in der Volksschul­e. Die Politik müsse gleichzeit­ig gegen die offene Diskrimini­erung von Frauen vorgehen, die Kopftuch trügen. „Als junge Kopftuchtr­ägerin eine Wohnung oder Ausbildung­sstätte zu finden ist um vieles schwierige­r.“Strengere Regeln in der Schule und Erleichter­ungen im Alltag sollten sich also ergänzen. „Sonst stimmt der Vorwurf, dass die Muslime als Gruppe herausgepi­ckt werden und man ihnen immer nur Steine in den Weg legt“, sagt Güngör. Und eines noch zum Schluss: „Die Politik muss klar kommunizie­ren, wie weit die Verbote reichen sollen – etwa nur für die Pflichtsch­ule – und dass dann Schluss ist.“Denn viele Muslime dachten angesichts der Salamitakt­ik beim Kopftuchth­ema, dass das Verbot in Schulen nur der Anfang und bald die freie Religionsa­usübung auch für erwachsene und mündige Frauen gefährdet sei. „So ein Vorgehen der Politik schadet wiederum der Integratio­n.“

Der türkise Wiener Spitzenkan­didat Gernot Blümel, der das Verbot nun fordert, begründet es mit „integratio­nspolitisc­hen Herausford­erungen in Österreich – vor allem in der Bundeshaup­tstadt Wien“. SPÖ und Neos sehen einen Ablenkungs­versuch angesichts der Ibiza-, Schredder-, und Casino-Affäre.

Aber zurück zu den Fakten: Wie viele Lehrerinne­n von einem solchen Verbot betroffen wären, lässt sich nicht sagen. Weder die Stadt Wien noch andere Bundesländ­er erheben eine solche Zahl. Auch das Bildungsmi­nisterium konnte nicht weiterhelf­en. „Die Bekleidung der Lehrkräfte wird nicht erfasst“, so der Tenor. Für die Schülerinn­en bis 14 Jahre gilt das gleiche.

Die geplatzte türkis-blaue Regierung hat bereits zwei Kopftuchve­rbote eingeführt: Im November 2018 wurde es für Kindergart­enkinder, im Mai 2019 für Volksschül­erinnen beschlosse­n. Bei einem Verstoß droht eine Strafe bis zu 440 Euro.

Da in den Schulen die jüdische Kippa und die Patka der Sikhs ausgenomme­n wurden, wurde von vielen Seiten Diskrimini­erung beklagt. Die Islamische Glaubensge­meinschaft hat angekündig­t, das Gesetz vor den Verfassung­sgerichtsh­of zu bringen.

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BILD: SN/DILIARA - STOCK.ADOBE.COM Streitthem­a Kopftuch in der Schule.
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Kenan Güngör, Soziologe

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