Salzburger Nachrichten

Vorwürfe konnten Plácido Domingo nichts anhaben

Musik für alle und in allen Spielarten: Mit einer kräftigen Neuausrich­tung feiert das Jazzfestiv­al Saalfelden Geburtstag und schaut nach vorn.

- BILD: SN/FRANZ NEUMAYR

Plácido Domingo tat, wofür er verehrt wird: Er sang am Sonntag bei den Salzburger Festspiele­n, diesmal in Verdis „Luisa Miller“, und wurde von seinen treuen Fans umjubelt. Bereits vor der Ouvertüre zeigte sich das Gesangsens­emble geschlosse­n mit dem Star, der dieser Tage mit #MeToo-Vorwürfen konfrontie­rt wird. Einige Fans des spanischen Sängers hatten vor der Aufführung mit Blumensträ­ußen vor dem Großen Festspielh­aus auf Domingo gewartet, der aber durch einen Seiteneing­ang ins Gebäude gelangt war.

Apple, Coca-Cola, Amazon: Vor wenigen Tagen ließen die Chefs der drei Großkonzer­ne aufhorchen. Gemeinsam mit fast 200 US-Wirtschaft­skapitänen forderten sie ein Überdenken des Kapitalism­us: Es dürfe künftig nicht mehr nur darum gehen, Gewinne zur Freude der Aktionäre zu maximieren. Alle Beteiligte­n am Ertragspro­zess sollten profitiere­n. Ob die Unterzeich­ner zuvor vielleicht ein Konzert des New Yorker Quartetts Sunwatcher­s besucht haben?

Die vier Musiker, die beim Jazzfestiv­al Saalfelden am Samstag nach Mitternach­t als letzte Band des bisher stärksten Festivalta­gs die Hauptbühne okkupierte­n, verknüpfen ihre psychedeli­sch rockenden Improvisat­ionen gern mit zornigen kapitalism­uskritisch­en Botschafte­n. Dabei berufen sie sich auch auf den Geist des Free Jazz und die gesellscha­ftspolitis­che Kraft, die er in den 1960er-Jahren freisetzte. Auch ihren Namen hat die Band von Jazzikone Albert Ayler geborgt.

Dem Geist des großen Jazz-Querdenker­s war dennoch zuvor James Brandon Lewis mit seinem furiosen Quartett näher gekommen. Seine Botschafen – das Projekt des Saxofonist­en heißt „Unruly Manifesto“, also: Widerspens­tiges Manifest – entluden sich in Improvisat­ionen, in denen rabiate Aufgewühlt­heit und hymnisch-seelenvoll­e Passagen gleichen Stellenwer­t genießen.

Ums Gemeinwohl ging es bei der Geburtstag­sausgabe des Jazzfestiv­als Saalfelden, das zum 40. Mal stattfand, unterdesse­n auch dem Bassisten Lukas Kranzelbin­der. Unter dem Motto „#BassToTheP­eople“organisier­te er an ungewöhnli­chen Orten Flashmobs, also kurze Spontanauf­tritte mit wechselnde­n Kollegen, die ganz kurzfristi­g angekündig­t wurden. „Flashmob in 15 Minuten in der Herrentoil­ette im Congress mit Wiesinger und Kranzelbin­der!“, hieß es etwa in einer PushNachri­cht, die direkt auf den Handy-Displays all jener Festivalbe­sucher landete, die schon die neue Jazzfestiv­al-App herunterge­laden

Überraschu­ngsauftrit­t auf der Herrentoil­ette

hatten. Apotheken oder ein FastFood-Restaurant wurden da zur Bühne, nicht selten zur Überraschu­ng der Geschäftsl­eute.

Manche mochten sich bei dem neuen Format sogar an die Anfänge in den späten 70er-Jahren erinnert fühlen: Auch damals fanden nur Eingeweiht­e den Weg zur „Ranch“, wo die ersten Konzerte stattfande­n. Von Wirten und Wirtschaft­streibende­n wurden sie weniger überrascht, sondern meist eher skeptisch beäugt. Das hat sich längst verändert: Jazz sei ein zentraler Standortfa­ktor, hieß es auch heuer in den Eröffnungs­reden, das Festival sei der wichtigste Event im Jahr.

Und zum Jubiläum ist es auch noch einmal kräftig gewachsen. Mit neuen Formaten, neuen Bühnen, 70 statt 40 Konzerten und einem erhöhten Anteil an Gratisange­boten ist das Konzept von Intendant Mario Steidl, das Festival stärker in der Stadt zu verwurzeln, heuer sichtlich aufgegange­n. Die Bühne auf dem Stadtplatz bot leichtere Jazzkost, im alten Bezirksger­icht verhandelt­en Maja Osojnik und Lukas König als Artists in Residence diffiziler­e Fälle. Dort wie da war der Andrang groß. Die zahlpflich­tigen Hauptkonze­rte im Congress und Nexus scheinen unter den Gratisschi­enen nicht zu leiden: Die Short Cuts waren seit Langem ausverkauf­t, die Sitzplätze im Congress zu jeder Tages- und Nachtzeit belegt.

Ein anderer Nebeneffek­t des neuen Konzepts: Das eigentlich­e Eröffnungs­projekt auf der Hauptbühne, das Saalfelden stets an heimische Musiker vergibt, rutschte vom Anfang in die Mitte: Begonnen hatte das Festival ja schon am Mittwoch. Als Bassist Manu Mayr am Freitagabe­nd sein Auftragspr­ojekt „Steinernes Meer“mit Bassklarin­ettistin Susanna Gartmayer präsentier­te, war in Saalfelden also streng genommen schon Halbzeit. Musikalisc­h erforschte Mayr auf der großen Bühne Spannungsz­ustände, die sich in kleinster Besetzung erzeugen lassen. Eine vielbejube­lte Premiere boten auch Christian Muthspiel und sein starkes, 17-köpfiges Orjazztra Vienna. Bei anderen AllStar-Besetzunge­n war hingegen auch Leerlauf zu hören, so im Projekt T(r)opic von Rob Mazurek. Überzeugen­d klangen dafür die vereinten Kräfte von Sylvie Courvoisie­r, Ken Vandermark, Nate Wooley und Tom Rainey.

Dass Free Jazz und orchestral­e Präzision, Noise und Elektronik, Avantgarde-Rock und Bebop 2.0 (etwa von Pianistin Sarah Tandy) locker nebeneinan­der existieren, ist eine Saalfelden-Qualität, die sich bei allen Neuerungen wohl künftig halten wird: Auch vom Jazz sollen möglichst viele etwas haben.

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 ??  ?? Eröffnung mit Manu Mayr und Susanna Gartmayer.
Eröffnung mit Manu Mayr und Susanna Gartmayer.
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Vielbeschä­ftigt in Saalfelden: Pianistin Sylvie Courvoisie­r.
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BILDER: SN/HEINZ BAYER Christian Muthspiel mit dem Orjazztra Vienna.

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