Salzburger Nachrichten

Wozu wählen wir eigentlich?

Das werden sich nach der nächsten Regierungs­bildung möglicherw­eise viele Wählerinne­n und Wähler fragen.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Wenn ein Parteichef über seinen Parteifreu­nd sagt, dass dessen Aussagen lediglich dessen „Privatmein­ung“zum Ausdruck bringen, dann deutet das im Politikspr­ech auf ein tiefes Zerwürfnis hin.

Und wenn besagter Parteichef den Wunsch seines kürzlich zurückgetr­etenen Parteifreu­ndes nach einer Rückkehr in die Politik ablehnt und noch hinzufügt: „Ich glaube, er sieht das anders, aber ich sehe das so“, dann sollte man sich von der Vorstellun­g verabschie­den, dass die beiden dicke Freunde sind.

Bemerkensw­erterweise hat all dies der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer über seinen Vorgänger Heinz-Christian Strache gesagt. Feind, Todfeind, Parteifreu­nd! Wer sich in Erinnerung ruft, wie eng einst das menschlich­e und politische Zusammenwi­rken der beiden Herren war, der kann ermessen, was hier an Disruption passiert ist. Strache war ohne Hofer nicht denkbar und umgekehrt, Strache hat Hofer blind unterstütz­t (im Präsidents­chaftswahl­kampf) und umgekehrt (im politische­n Tagesgesch­äft, das über weite Strecken Hofer erledigte). Einer war des anderen Alter Ego. Die beiden freiheitli­chen Spitzenpol­itiker waren gewisserma­ßen das Yin und Yang der Freiheitli­chen Partei. Jetzt gibt es nur noch Yin.

Es handelt sich hier nicht (nur) um die Beziehungs­kiste zweier Männer, sondern um eine hochpoliti­sche Angelegenh­eit. Norbert Hofer hat mehrfach betont, dass es sein Ziel sei, die FPÖ nach der Wahl wieder in die Bundesregi­erung zu führen. Dieses Streben bringt die FPÖ auch in der ersten Welle ihrer Wahlplakat­e deutlich zum Ausdruck, die am Freitag vorgestell­t wurde: „Koalition für unsere Heimat fortsetzen“, ist da vor rot-weiß-rotem Hintergrun­d zu lesen. Weiters zu sehen sind auf den Plakaten Parteichef Norbert Hofer und Klubchef Herbert Kickl – eine Bildauswah­l, die wohl den Eindruck zerstreuen soll, dass es zwischen den beiden neuen mächtigen Männern der FPÖ – also dem sanft blickenden und sprechende­n Hofer und dem scharfen Kickl – ein Zerwürfnis geben könnte.

Wenn sich die FPÖ als regierungs­fähig schmücken will, kann sie Strache und alles, was an ihn gemahnt, nicht brauchen. Weder die Erinnerung an die unsagbar peinlichen Bilder von Ibiza. Noch den Anschein der Korruption, den Strache im Gespräch mit einer vermeintli­chen Oligarchin erweckt hat. Die FPÖ kann weder die Casino-Ermittlung­en gegen Strache brauchen noch dessen weinerlich­e Facebook-Einträge. Strache ist für die neue Parteiführ­ung wie ein nicht gesellscha­ftsfähiger Onkel, den man wegsperrt, wenn Besuch kommt: eine Peinlichke­it und Belastung. Die Peinlichke­it und Belastung könnte noch größer werden, falls eines Tages durchsicke­rt, welche SMS und Mails auf Straches Handy zu finden sind, das die Staatsanwa­ltschaft beschlagna­hmte.

Es ist nicht auszuschli­eßen, dass Hofers Kalkül aufgeht. Dass also die Ibiza- und Stracheges­chädigten Freiheitli­chen die Nationalra­tswahl mit nicht allzu großen Verlusten hinter sich bringen und tatsächlic­h wieder in die Regierung treten, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass der damalige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz im Mai die Koalition mit den apodiktisc­hen Worten beendete: „Die FPÖ kann nicht.“Vielleicht wird Kurz diese Meinung wieder ändern. Denn so absurd es angesichts der Ibiza-Wirren klingen mag: Die Ausgangspo­sition für die FPÖ ist nicht übel.

Da ist zum einen der Umstand, dass die freiheitli­chen Kernwähler – das legen die Umfragen nahe – ihrer Partei den Strache-Auftritt von Ibiza nicht übel nehmen. Das Jahr 2002, als die FPÖ so wie heuer aus der Regierung flog und daraufhin vom Wähler fürchterli­ch abgestraft wurde, scheint sich also nicht zu wiederhole­n. Die Freiheitli­chen sind allen Wirren zum Trotz immer noch eine solide Mittelpart­ei.

Da ist zum anderen der Umstand, dass die Freiheitli­chen – anders als 2002, als der heimliche Parteichef Jörg Haider ständig aus Kärnten in die Bundespart­ei hineinfunk­te – derzeit geschlosse­n auftreten. Offenbar hat Ibiza die Partei in ihrer Trauer geeint.

Und da ist zum Dritten der Umstand, dass Sebastian Kurz, dem alle Umfragen einen Wahlsieg prognostiz­ieren, möglicherw­eise gar keinen anderen Koalitions­partner finden wird als die FPÖ. Denn die SPÖ wird Kurz nicht den Juniorpart­ner machen wollen, und vor allem will Kurz nicht mit der SPÖ regieren. Und mit den übrigen Parteien (Grüne, Neos) wird wohl keine parlamenta­rische Mehrheit zustande kommen.

Die Partei, deren Obmann die Wasservers­orgung privatisie­ren, Staatsauft­räge an eine Oligarchin verscherbe­ln und die Medienland­schaft orbánisier­en wollte, ist also auf dem besten Weg zurück in die Regierung. Was die Frage aufwerfen wird: Wozu wählen wir eigentlich?

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Strache? Nie gehört. FPÖ-Chef Norbert Hofer vor einem Wahlplakat.
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Andreas Koller

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