Demonstrativ für Plácido Domingo
Das Publikum gab Sonntag sein Votum ab: Beifallsstürme für ein legendäres Idol. Aber sonst?
Das war ein cleverer Schachzug: Noch ehe am Sonntagnachmittag ein Ton der Ouvertüre zu Verdis Oper „Luisa Miller“erklingen konnte, marschierte die gesamte Phalanx der Solisten nur für einen Auftrittsapplaus ein, mitten unter ihnen Plácido Domingo. Für ihn wohl zog die Phonstärke des Beifalls deutlich an, mehr noch: Es kam zu Standing Ovations. So viel zur Frage, wie das Publikum der Salzburger Festspiele wohl umgehen mag mit den Vorwürfen zu sexuellen Belästigungen, mit denen der längst legendäre Sängerstar seit der Vorwoche konfrontiert ist. Hier gilt’s, mit Wagner zu sprechen, der Kunst. Und diese lässt man sich so leicht nicht madig machen. Beschämend? Das muss jeder für sich, und in erster Linie der Beschuldigte selbst, mit sich ausmachen. Plácido Domingo durfte sich jedenfalls auch am Ende, bei seinem „Solovorhang“, in einhelligem Wohlgefallen sonnen.
Aber hat es sich auch künstlerisch gelohnt? Die Partie des Miller, Vater von Luisa, die sich unstandesgemäß in den Sohn des Grafen Walter verliebt, der sich freilich unter falschem Namen eingeschlichen hat, ist kein unüberwindlicher Brocken. Neben einigen Ensembleszenen hat er eine einzige Arie im ersten Akt, tritt im ganzen zweiten gar nicht auf, greift erst wieder – vornehmlich in einem Duett mit seiner Tochter – im Finale ins Geschehen ein. Von der stimmlichen Ausdehnung her liegt die Partie relativ bequem, kennt also keine wirklichen Spitzen. Zudem ist Plácido Domingo mit dieser Vaterrolle vertraut. Jetzt singt er sie, ob 78 (offiziell) oder gar schon 82 Jahre alt (wie man munkelt), freilich hauptsächlich nur noch auf einem einheitlichen Lautstärkepegel zwischen Mezzoforte und Forte, alle Farben, die Zwischentöne erkennen ließen, sind verblasst, allenfalls spürt man noch sporadisch, wie sehr im gewordenen Bariton der gewesene Tenor durchschimmert: in Resten. Das sollte zu denken geben.
Lautstärke war ohnedies der Gradmesser der gesamten, von James Conlon robust geleiteten, vom Mozarteumorchester an den Grenzen seiner Belastbarkeit gespielten Unternehmung. Nino Machaidze trällerte als Luisa ihre anfänglichen Koloraturen noch apart, schleuderte dann unbarmherzige Sopranblitze ins Auditorium, Piotr Beczała kennt man im Einsatz seines Tenors, der auf lyrischer Basis einen wunderbar raffinierten metallischen Schimmer erzeugen kann, durchaus souveräner; vielleicht hat der Lohengrin doch Spuren hinterlassen. Die beiden Bässe – John Relyea als gurgelnder Finsterling Wurm und Roberto Tagliavini als eindimensionaler Graf Walter – blieben Verdi zu vieles schuldig, Yulia Matochkina blieb als herzogliche Nebenbuhlerin trotz mächtigen Organs unscheinbar. Auch mit ihrem zweiten Verdi in diesem Sommer hatten die Festspiele, dem Jubel zum Trotz, leider wenig Glück.