Es grünt so grün, wenn die Fassaden blüh’n
Ändert sich nichts, herrscht im Jahr 2080 in Wien ein Klima wie derzeit in Dakar. Begrünte Gebäude können helfen, Hitzetage in den Städten erträglicher zu machen – und noch mehr.
Grün in der Großstadt: Das erfreut nicht nur das Auge, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel und dessen Folgen – Hitze, Starkregen, Artensterben, um nur einige zu nennen. Da in der Stadt nicht viel Platz ist, können begrünte Gebäude und Hausdächer eine Lösung sein. Dem hat sich das Innovationslabor GRÜNSTATTGRAU verschrieben, das nichts mit Politik zu tun hat, sondern eine Plattform für Gebäudebegrünung ist und österreichweit tätig ist. Das Innovationslabor besteht in seiner jetzigen Form seit zwei Jahren und wird vom Ministerium für Verkehr, Innovation und Technik teilgefördert. Es arbeitet mit mehr als 300 Netzwerkpartnern zusammen und ist auch Teil mehrerer Städtekooperationen.
Vera Enzi ist studierte Landschaftsplanerin und eine der beiden Geschäftsführerinnen von GRÜNSTATTGRAU. Sie sitzt im Dachgarten des Innovationsbüros in Wien unter einem Sonnensegel, daneben ein winziger Teich, blühende Stauden, Sträucher, Bäume und Gräser. Fast könnte man vergessen, dass man sich mitten in einer Großstadt befindet. Enzi erklärt, weshalb begrünte Gebäude derzeit in aller Munde sind: „Wollen wir die Klimaschutzziele erreichen, müssen wir unseren Alltag so gestalten, dass die Hitze auch in den Städten erträglich wird.“Allerdings: „Wir verursachen durch unsere Freizeitmobilität einen hohen CO2-Ausstoß, vor allem, wenn an heißen Tagen viele Menschen von der Stadt ins Grüne fahren“, sagt Enzi.
Begrünung in den Städten kühlt Gebäude innen – aber auch außen. Und zwar zwei bis fünf Grad. Die Wirkung ist allerdings lokal begrenzt. Daher sei ein dichtes, grünes Netzwerk notwendig – vom bepflanzten Privatbalkon über begrünte Dächer und Fassaden bis hin zum Stadtbaum, erklärt Enzi. Doch daran mangle es noch.
Außerdem kann das individuelle Hitzeempfinden durch ein begrüntes Umfeld gesenkt werden – und zwar um gefühlte 13 bis 15 Grad. Mit Blick auf die Klimaprognosen ist jedenfalls dringender Handlungsbedarf geboten: Steige die globale Erwärmung weiter an, werde es vor allem Österreich „sehr hart treffen“, erklärt Enzi – vor allem in Städten, Siedlungsräumen und Gebirgsregionen. „Wir liegen hierzulande im Europa-Ranking weit vorn, was die Folgen des Klimawandels betrifft.“Wie der Klimafonds auf seiner Website schreibt: Treten die Befürchtungen des Weltklimarats IPCC ein und die globale Erwärmung steigt bis 2080 um 4,2 Grad an – verglichen zum vorindustriellen Zeitalter – könnte es in Wien ein Klima haben wie derzeit in Dakar. „Darauf müssen wir uns vorbereiten und auch entsprechende Maßnahmen setzen“, sagt Enzi. Aber auch Starkregen ist eine Folge des Klimawandels – und diese Perioden könnten künftig nicht nur intensiver, sondern auch länger andauern – wie auch Hitze- und Trockenperioden. Das zeigt eine Studie der Humboldt-Universität (HU) und des Climate Analytics Instituts in Berlin. Doch unsere Kanalsysteme seien nicht auf Starkregen ausgelegt, erklärt Enzi. Hier helfen grüne Dächer, die wie ein Puffer wirken, Niederschläge speichern und diese verzögert abgeben.
Grüne Fassaden und Dächer tragen aber auch zur Artenvielfalt bei. „Seit den 1970er-Jahren haben wir einen Großteil unserer Insekten verloren“, sagt Enzi. In der Stadt sei es auch nicht nötig, Pestizide zu benutzen, daher würden verschiedenste Arten, wie etwa Wildbienen, einen guten Lebensraum finden. Außerdem schlucken begrünte Gebäude Schall und Feinstaub, reinigen Grau- und Abwässer.
Begrünt werden könne fast jedes Gebäude, erklärt die Expertin. Doch das sei – je nach Lösung – meist mit Investitionen verbunden. Wenn der Boden eines Innenhofs nicht versiegelt sei, könne aber einfach angepflanzt werden. „Das ist natürlich günstiger als Konstruktionen, die eine ganze Fassade betreffen.“Doch auf lange Sicht spare man, wie Studien zeigten, da weniger Energie verbraucht werde und man weniger häufig sanieren müsse. Außerdem seien begrünte Gebäude auf dem Immobilienmarkt begehrt und ließen sich daher schneller verkaufen – auch zu einem höheren Wert als unbegrünte, erklärt Enzi.
Viele Städte reagieren auf die Entwicklungen und stellen Förderungen für begrünte Gebäude bereit oder haben Projekte initiiert. So wird in der Zieglergasse in Wien die erste „klimaangepasste Straße“errichtet. Die „kühle Meile“mit Bäumen, beschatteten Sitzgelegenheiten, Wassersprühbögen und hell gepflasterten Plätzen soll Hitzewellen entgegenwirken. Das Beispiel soll Schule machen. Das gilt auch für das Projekt „Stadtoase“in St. Pölten. Die Stadt und der Verein „Smart Pölten Bürgerbeteiligung“wollen mit Förderungen des Klimaund Energiefonds klimarelevante Maßnahmen umsetzen. In der Stadt sollen viele grüne und kühle Oasen wachsen. Projektkoordinator Stefan Haiderer sagt: „So soll die Lebensqualität verbessert werden.“Rund 200 Bürgerinnen und Bürger engagieren sich in dem Projekt, haben Ideen eingebracht und sollen auch bei der Errichtung, Bepflanzung und Betreuung mitarbeiten.
„Hitze muss erträglich werden.“Vera Enzi, GRÜNSTATTGRAU