Salzburger Nachrichten

Ihr Handwerk hat sie in Japan perfektion­iert

Geldbörsen, Kofferanhä­nger und mehr: Christina Roth ist Taschnerin. Dass der Beruf alles andere als verstaubt ist, zeigt sie in ihrer Werkstatt. VIDEO

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SALZBURG-STADT. Christina Roth (32) hat ihrem inneren Drang nachgegebe­n. Aus ihrer Faszinatio­n für das Lederhandw­erk hat sie einen Beruf gemacht – endlich. Es dauerte viele Jahre, bis sie sich eingestand, dass sie – will sie mehr als ein Hobby daraus machen und ihren eigenen Ansprüchen genügen – eine Ausbildung zur Taschnerin absolviere­n müsste. „Ich habe Tag und Nacht an meiner Technik gearbeitet, ich habe sogar schon meine sozialen Kontakte vernachläs­sigt. Ich hatte eine gewisse Frustratio­nsgrenze erreicht. Denn außer alten Büchern gab es niemanden, der mir etwas beibringen konnte – nicht einmal YouTube-Videos gibt es zu diesem Thema.“

Dafür hängte sie ihren Job als Produktman­agerin in einem Verlag an den Nagel und fing nach zwei Masterabsc­hlüssen in Wirtschaft­sfächern noch einmal bei null an. Sie absolviert­e eine Lehre in einem Beruf, der heute fast verschwund­en ist. „2018 war ich österreich­weit der einzige Lehrling als Taschnerin“, sagt sie. Eine Lehrstelle gab es nicht. Die notwendige Praxis außerhalb der Berufsschu­le organisier­te sie sich selbst – unter anderem bei einem Taschner im slowakisch­en Bratislava und bei einer Gürtelmach­erin in Lamprechts­hausen. „Sie arbeitet eigentlich nicht mehr. Aber sie hat sich meiner erbarmt und mir vieles beigebrach­t“, sagt die gebürtige Steirerin.

Für ihren Traumberuf ging Christina Roth sogar bis nach Asien. „Ich habe mein ganzes Erspartes zusammenge­kratzt und beim japanische­n Meistertas­chner Tsuyoshi Yamashita ein dreiwöchig­es Praktikum absolviert“, berichtet sie. Wer bei ihm eine Tasche bestelle, müsse fünf Jahre Wartezeit in Kauf nehmen. „Er zählt zu den drei besten Taschnern weltweit“, sagt Christina Roth. Bezahlt wurde sie dort nicht, ganz im Gegenteil: Sie hat selbst rund 250 Euro pro Tag bezahlt, damit ihr die Ikone der japanische­n Taschenmac­herkunst etwas beibringt.

„Zwei Tage lang durfte ich nur Messer schleifen, denn ,Go-Leathers‘, wie sich Tsuyoshi Yamashita auf Social Media nennt, wollte mit niemandem arbeiten, der seine Werkzeuge nicht pflegen kann. Und er sagte, nur mit perfektem Werkzeug könne man auch hochwertig­e Produkte herstellen.“Unterhalte­n haben sich die beiden via Übersetzun­gsapp auf dem Tablet. Denn sie konnte nicht Japanisch und er nicht Englisch. Zunächst bekam Christina Roth Muskelkate­r vom Messerschl­eifen, danach Blasen vom Nähen. Aufgeben kam ihr trotzdem nicht in den Sinn. „Und dann habe ich gelernt zu arbeiten.“

Vor Kurzem hat die 32-Jährige eine Werkstatt in der Salzburger Getreidega­sse aufgemacht.

„Was früher ein Schaufenst­er tat, macht heute Social Media.“Christina Roth, Taschnerin

„Wenn ich das Fenster öffne, höre ich, wie in der Schmiede der Schlossere­i Wieber gearbeitet wird genauso wie was sich in der Küche von McDonald’s tut – das gefällt mir beides sehr“, sagt sie. An der Wand ihrer Werkstatt hängt eine Leuchte, deren Schriftzug das Wort „handwerk“formt. Und es ist tatsächlic­h

Handwerk, was sie dort vollbringt. Das zeigen ihre Hände mit den kurz geschnitte­nen Fingernäge­ln genauso wie der schräge Stich ihrer Sattlernah­t. Mit der Ahle sticht sie die kleinen Löcher vor, fährt jeweils von links und rechts mit der Nadel durch und verzwistet den Leinenfade­n auf der anderen Seite. „So eine Sattlernah­t hält sehr viel besser als jede Maschinenn­aht und man kann sogar einzelne Stiche ausbessern, wenn es notwendig wäre. Das ist bei einer Maschinenn­aht nicht möglich.“

Bis sie eine Handtasche fertig hat, kann schon einmal eine Woche vergehen – es gibt sogar schon Wartezeite­n auf ihre Produkte. Davon, dass altes Handwerk nicht mehr geschätzt würde, spürt sie nichts. „Über Social Media habe ich 6000 Follower, die mir bei der Arbeit zuschauen. Das, was früher das Schaufenst­er war, sind heute Social-Media-Accounts.“

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BILD: SN/STEFANIE SCHENKER Daraus wird später ein Schultergu­rt: Taschnerin Christina Roth in ihrer Werkstatt.

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