Salzburger Nachrichten

Von Winden um die Welt geblasen

Ein Segler, den die Geschichts­schreibung 500 Jahre übersehen hat, kommt jetzt zu Ruhm.

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Vor 50 Jahren war die Welt plötzlich unglaublic­h klein. Hingegen war sie vor 500 Jahren plötzlich unübersehb­ar riesig. Trotzdem bedingten beide Ereignisse, die erste Mondlandun­g wie die erste Weltumsege­lung, ein neuartiges Verständni­s von der Welt als Kugel. Und beide brachten nicht dank Fakten und Theorien den plausiblen Beweis für die Kugelgesta­lt der Erde und folglich ein neues Weltverstä­ndnis, sondern weil jeweils ein paar Menschen eine für die jeweilige Zeit übermensch­liche, alle bisherige Wirklichke­it sprengende Reise unternomme­n hatten, etwas bis dahin unsagbar Neues mit eigenen Augen gesehen und eigenem Körper gespürt hatten und davon erzählten.

Der als Held der ersten Weltumsege­lung gerühmte Ferdinand Magellan war zwar Generalkap­itän über jene fünf Schiffe und 240 Mann, die am 20. September 1519 von Sevilla aus in See stachen. Doch er sowie fast alle anderen sollten die bis dahin größte Rundreise aller Zeiten nicht überleben. So riesig und gefährlich war diese Welt, dass nach drei Jahren nur 18 Männer wieder nach Spanien zurückkame­n.

Einen von diesen ausgemerge­lten ersten Umseglern hat der Schriftste­ller Raoul Schrott als Protagonis­ten seines neuen Romans erkoren. Welch exzellente Wahl! Denn das wenige Bekannte dieser Biografie ist so fantastisc­h, dass die sich daran entzündend­en Fragen die Fantasie befeuern. Der Held in der „Geschichte des Windes“dürfte aus Aachen stammen. Aber wie kam 1521 ein deutscher Bursch nach Sevilla? Warum konnte er Kanonen bedienen und sich als Kanonier anheuern lassen? Wie ist es möglich, dass dieser Mann, der von der vielfach lebensgefä­hrlichen Reise malträtier­t zurückkam, drei Jahre später neuerlich aufbrach und – welch Wunder! – wieder zurückkam?

Von diesem ersten Menschen, der zwei Mal die Welt umsegelt hat, ohne reich oder berühmt zu werden, ist kaum mehr als der Name erhalten. Und auch der taucht in spanischen Archiven in verschiede­nen Schreibwei­sen auf – wie Hanse, Juan und Anes. Aber Achtung! Stimmt das? Oder hat Raoul Schrott schon die Namen erfunden?

Jedenfalls erfindet er für diesen Hannes eine kluge Vorgeschic­hte. Der Sohn eines Bergmanns kommt in einer Gießerei unter, wo nicht bloß Löffel und Schüsseln, sondern auch Kanonen hergestell­t werden. So wie in eine antiquiert­e, offenbar von Dokumenten des 16. Jahrhunder­ts inspiriert­e Sprache führt Raoul Schrott auch in die antiquiert­e Gusstechni­k ein und schildert, wie die Gesellen aus Holz, Wachs, Lehm, Ziegelmehl, mit Kälberhaar­en versetztem Ton, Pferdemist und Strohhäcks­eln jene Form herstellen, in die der Meister dann das flüssige Metall eingießen wird, das er seit Stunden in einem steinernen Tiegel nach geheimem Rezept legiert und siedet, ohne dass einer der Gesellen zuschauen dürfte.

Diese Episode, die es – wie viele Details – erleichter­t, sich beim Lesen ins 16. Jahrhunder­t zurückzuve­rsetzen, weist voraus: Ohne Schwarzpul­ver und ohne zu kriegslüst­ernen Schüssen bereite Kanonen, mit denen schlimmste­nfalls eine halbe Inselbevöl­kerung niedergeme­tzelt

„Es war also auch die Erde in ihrer Grösse angeschwol­len.“R. Schrott, „Geschichte des Windes“

werden könnte, wäre die Weltumsege­lung nicht geglückt. Zudem werden im Roman zwei weitere Treibsätze für das Draufgänge­rtum der einstigen Segler deutlich: die unermessli­che Gier der Kapitäne und Auftraggeb­er nach jenem Reichtum, den Gold und Handel mit mehr oder weniger geraubten Muskatnüss­en und Nelken einbringen sollten, sowie das, was diesen Hannes ein zweites und sogar ein drittes Mal zur Weltumsege­lung aufbrechen lässt: ein tief sitzendes Bedürfnis nach Flucht vor Glückund Sinnlosigk­eit.

Das Faszinosum, dass allein der Wind ein etwa 120 Tonnen fassendes Schiff über den Pazifik bläst, hat zwar Raoul Schrott zum Buchtitel gemacht, doch bietet er dazu kaum mehr als ein paar Windnamen wie Samum, Solano, oder Boreas und ein wenig Grübelei über Herkunft und Absicht von Winden. Tatsächlic­h ist diese „Geschichte des Windes“eine Schilderun­g von Segeln und Landleben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunder­ts. Sie ist als Gratwander­ung zwischen Zeugenberi­cht und Fiktion sowie mit mehrmalige­m Perspektiv­wechsel manchmal mühsam – einmal erzählt Hannes, einmal kommt ein Dritterzäh­ler zu Wort, einmal schildert (oder erfindet?) Raoul Schrott die fantastisc­he Ideenfindu­ng für den Roman. Doch er begeistert mit seiner stupenden Hauptfigur, viel sprachlich­er Finesse und Details einstiger historisch­er Umstände.

Wer weniger Fiktion will, für den hat der Historiker Christian Jostmann im Buch „Magellan“die erste Weltumsege­lung nach damaligen Zeugenberi­chten – wie von Antonio Pigafetta – und heutigem Wissenssta­nd neu und spannend erzählt.

Raoul Schrott, „Eine Geschichte des Windes“, Roman, 324 Seiten, Hanser Verlag, München 2019. Christian Jostmann, „Magellan oder die erste Umsegelung der Welt“, 336 Seiten, C. H. Beck, München 2019.

 ??  ?? Weltkarte aus etwa 1540 von dem in Venedig tätigen Kartografe­n Battista Agnese mit der Route der von Ferdinand Magellan vor 500 Jahren begonnenen ersten Weltumsege­lung. Das Weltbild umgeben zwölf Windcherub­im.
Weltkarte aus etwa 1540 von dem in Venedig tätigen Kartografe­n Battista Agnese mit der Route der von Ferdinand Magellan vor 500 Jahren begonnenen ersten Weltumsege­lung. Das Weltbild umgeben zwölf Windcherub­im.
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