Venedig bleibt stehen
Catherine Deneuve, Juliette Binoche und Brad Pitt kommen: Doch bei den Filmfestspielen in Venedig ist der frische Wind abgeklungen.
VENEDIG. Sie ist aus der französischen Filmgeschichte nicht wegzudenken: Schauspielstar Fabienne (gespielt von Catherine Deneuve) ist eine lebende Legende. Nun hat sie ihre Memoiren veröffentlicht, und ihre Tochter (Juliette Binoche) kommt aus dem Anlass mit ihrem Mann (Ethan Hawke) nach Paris: „Eine kleine Familiengeschichte“nennt der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda seinen Film „La verité“, der am Mittwochabend die 76. Ausgabe der Filmfestspiele in Venedig eröffnet. Der Film lotet alte Konflikte und verschwiegene Wahrheiten zwischen Mutter und Tochter aus. Damit ist er ein programmatischer Eröffnungsfilm für ein Festival, aus dessen Programm alle Aufbruchsstimmung verschwunden ist.
Als Alberto Barbera vor acht Jahren zum zweiten Mal als Direktor bestellt wurde, gelang es ihm, das an allen Ecken bröckelnde Festival aus der beginnenden Bedeutungslosigkeit zurückzuholen. Nach umfassenden Renovierungsmaßnahmen konnte der Lido wieder als attraktiver Premierenort mit dem für US-Produktionen bequemeren Toronto Film Festival mithalten. Und mehrere Verjüngungsinitiativen halfen, auch technisch und künstlerisch wieder auf den neuesten Stand zu kommen: Das „Biennale College“greift seither jungen Filmschaffenden bei ihren Debüts unter die Arme, die Wettbewerbssektion „Venice Virtual Reality“zeichnet seit 2017 VR-Projekte aus.
Gesellschaftlich ist Barbera aber weit weg vom Zeitgeist, und das wird am diesjährigen Wettbewerb offensichtlich: „Genauso viele Frauen im Hauptprogramm wie Regisseure, denen Vergewaltigung vorgeworfen wurde“, schreibt der „Spiegel“. Gemeint sind Roman Polanski mit seinem Film „An Officer and a Spy“und „American Skin“des Regisseurs Nate Parker. Die zwei Regisseurinnen im Wettbewerb sind Haifaa Al-Mansour mit „The Perfect Candidate“und die Australierin Shannon Murphy mit „Babyteeth“.
Zum eklatanten Mangel von Regisseurinnen an prominenten Plätzen rechtfertigte sich Barbera, es seien immerhin viele Filme über Frauen zu sehen, darunter eben „La verité“von Kore-eda oder Pablo Larraíns Drama „Ema“. Um den Goldenen Löwen konkurriert zudem der Film eines Regisseurs, der seit Jahren ankündigt, keine Kinofilme mehr zu machen, nämlich Steven Soderberghs „The Laundromat“mit Meryl Streep. Außerdem läuft James Grays Vater-Sohn-Astronautengeschichte „Ad Astra“mit Brad Pitt und Tommy Lee Jones oder Todd Phillips’ „Joker“mit Joaquin Phoenix, den Barbera vollmundig als „potenziellen Oscarkandidaten“ankündigte.
Präsidentin der Jury ist die Argentinierin Lucrecia Martel, Regisseurin des gloriosen Kolonialismuswerks „Zama“.
Österreichische Beteiligung in Venedig gibt es nur auf Schauspielseite: Cornelius Obonya spielt eine kleine Rolle in Constantin Costa-Gavras’ Beitrag „Adults in the Room“. Und „Cops“-Star Murathan Muslu spielt in Katrin Gebbes Adoptionsdrama „Pelikanblut“mit, in der Nebenreihe „Orizzonti“.