Saviano zeigt die Welt der Mafiakinder
Mafiaexperte Roberto Saviano erzählt von der Verfilmung seines Buchs „Paranza“über Kinder-Mafiosi, die für schnelles Geld töten.
Sie eifern den großen Mafiabossen nach und schrecken für schnelles Geld oder teure Markenkleidung auch vor Morden nicht zurück: Mafiaexperte Roberto Saviano hat in seinem Roman „Paranza“über die Kinderclans von Neapel geschrieben. Nun kommt die Verfilmung des Buchs ins Kino. Im SN-Gespräch erzählt Saviano, der unter ständigem Polizeischutz lebt, von Gefängnisbesuchen und anderen Einblicken in die Welt der minderjährigen Bandenmitglieder und erläutert, warum Eltern ihre Kinder so schwer schützen können.
WIEN. Sie verachten und bewundern die Clans, die ihren Müttern das Schutzgeld aus der Tasche ziehen, übernehmen schließlich die Macht und zetteln einen Straßenkrieg an: In seinem ersten Roman „Der Clan der Kinder“hat Mafiaexperte und Journalist Roberto Saviano vom wahren Fall einer neapolitanischen Gang von Kindern erzählt, die den Tod nicht fürchteten und zu Schlächtern der Straße wurden. Nun kommt die Verfilmung unter der Regie von Claudio Giovannesi ins Kino. Bei der Berlinale wurde das Drehbuch mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet: „Ich wollte vom Innenleben der Kinder erzählen“, sagt Saviano im Interview. SN: Sie haben am Drehbuch mitgeschrieben. Wonach haben Sie entschieden, welche Szenen Sie aus dem Roman übernehmen? Roberto Saviano: Das Buch beginnt mit der wahren Episode eines Buben, der einen anderen demütigt, indem er auf dessen Gesicht kackt. Diese Szene als Eröffnungssequenz auf der Leinwand zu zeigen wäre natürlich ein Problem, Claudio Giovannesi entschied sich dagegen. Wir haben möglichst alle rein destruktiven Episoden weggelassen, soweit es die Geschichte erlaubt hat. Es geht aber immer noch darum, wie eine Gruppe Heranwachsender etwas als Spiel beginnt, das dann zu einem Krieg wird. SN: Die Kinder sind in einem Alter, in dem ihnen die Tatsache der eigenen Sterblichkeit noch nicht bewusst ist. Macht das ihre Gefährlichkeit aus? Ja, das sehe ich auch so. Diese Einstellung „Der Tod betrifft mich nicht“motiviert junge Leute dazu, sich freiwillig für die Armee zu melden, das wurde im Ersten Weltkrieg ausgenutzt, das bringt die Dschihad-Kids dazu, Daesh beizutreten oder Selbstmordattentäter zu werden. Aber es gibt doch einen Unterschied: Diese Kinder in Neapel sind sich völlig darüber klar, wie niedrig ihre Lebenserwartung ist. Allerdings sind diese Fünfzehnjährigen überzeugt, dass es gar nicht so schlimm sei, mit zwanzig zu sterben, wenn das Leben bis dahin voll und intensiv gelebt wurde. SN: Auf welche Recherchen stützt sich Ihr Roman? Es gab eine offizielle Polizeiuntersuchung, die genauso heißt wie der Film – „Paranza dei bambini“. Als die Überlebenden verhaftet wurden, hab ich sie im Gefängnis besucht und befragt. Und viele der Dialoge, die im Film vorkommen, sind direkt von den Abhörprotokollen der Polizei übernommen. SN: Sind diese Kinder nicht zu jung für das Gefängnis? Solang sie nicht volljährig sind, sind sie in Jugendhaft, aber danach kommen sie in normale Gefängnisse. Das ist eigentlich ungewöhnlich, normalerweise bleibt jemand, der als Minderjähriger verurteilt wird, in Jugendhaft, auch wenn er inzwischen volljährig wird. Die Paranzini werden aber in andere Gefängnisse gebracht. Weil sie so bekannt sind, ist das Risiko zu groß, dass sie zu Vorbildern werden für die jüngeren Kinder. Sie sind richtige Stars. SN: Diese Frage der Vorbilder ist spannend: Ihr Protagonist Nicola hasst einerseits die Mafiosi, weil sie seine Familie bedrängen, auf der anderen Seite will er sein wie sie. Das ist eine ganz typische Haltung, Nicola will nicht die Mafia prinzipiell bekämpfen, sondern nur diese spezielle Familie, die von seiner Mutter und den anderen armen Leuten in seiner Umgebung Schutzgeld erpresst. Er will in ihre Position, damit seine Mutter dieses Geld nicht mehr zahlen muss. Es geht ihm nicht um Menschenrechte, niemand von diesen Kindern schert sich darum, Rechte sind nutzlos geworden. Wenn wir eine Abtreibung wollen, dann ist nicht das Recht auf Abtreibung notwendig, wir kaufen uns die Abtreibung einfach in einer Klinik. Menschenrechte sind längst kein universelles Prinzip mehr, das bewahrt werden muss, man braucht nur genug Geld, alles kann gekauft werden. Das ist der Grund, weshalb sie so fasziniert sind von den großen Bossen. SN: Warum gelingt es Eltern nicht, ihre Kinder zu schützen? Es ist doch völlig unmöglich heutzutage, unsere Kinder zu beschützen! Als ich Kind war, wusste meine Mutter immer, wo ich bin, ob in meinem Zimmer oder draußen im Hof, sie wusste um die Risiken, sie kannte diese Orte. Aber was kann eine Mutter heute tun? Ein Kind könnte in seinem Zimmer sein, aber es ist durch das Smartphone online. In einer Wirklichkeit, wie sie im Süden Italiens herrscht, wo das beste Einkommen, das ein junger Mann zu erhoffen hat, fünfzig Euro pro Woche für illegale Arbeit beträgt. Wenn ein Kind dann Tausende Euro heimbringt, wie soll eine Mutter da nicht verstehen, warum das Kind das tut? Natürlich ist ihr klar, dass es ein Überlebenskampf ist. Das alles lässt sich mit einer Aussage zusammenfassen, die ich während eines Prozesses von einer Mutter gehört habe: „Der einzige Schutz, den ich meinem Kind bieten kann, wäre, wenn ich es zurück in meinen Bauch stecken kann.“ SN: Seit Ihrem Mafiabuch „Gomorrha“stehen Sie unter Personenschutz. Haben Sie darum entschieden, „Paranza“als Roman zu erzählen? Ich lebe jetzt seit fast 13 Jahren unter Polizeischutz. Die Situation war also nicht neu. Aber ich wollte von der Gefühlswelt der Kinder erzählen, von ihrem Innenleben, und dafür war die Romanform geeigneter.