Salzburger Nachrichten

Wahre Insulaner wollen der EU keinesfall­s klein beigeben

Überzeugte Brexiteers würden es Johnson & Co. kaum verzeihen, sollte er die Scheidungs­frist noch einmal verlängern.

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LONDON. Schuld sind für die BrexitBefü­rworter stets andere – ob die EU oder die Brexit-Gegner, die angeblich das Land herunterre­den und mit ihrem Pessimismu­s den Erfolg des Projekts gefährden. Will man Premier Boris Johnson glauben, wird die Zukunft außerhalb der Staatengem­einschaft allein durch die „Wir schaffen das“-Mentalität rosig. „Dass die Menschen, statt auf rationale Argumente zu hören, auf das Emotionale ansprechen, ist ein Abwehrmech­anismus“, sagt Ian Robertson, emeritiert­er Psychologi­eprofessor am Trinity College Dublin. „Das Bild von der Rolle im Zweiten Weltkrieg zu bemühen erlaubt es ihnen, ihre Sorgen zu unterdrück­en und stattdesse­n diesem einfachen Narrativ zu folgen, nach dem man nur an einem Strang ziehen muss und so harte Zeiten durchsteht.“

Etliche Briten betrachten sich plötzlich als Teil einer zusammenge­hörigen Bewegung, die – angeführt von der Regierung – im Chor „Packen wir es an“ruft. Verschiede­ne Gründe sind dafür verantwort­lich, warum 51,9 Prozent der Wähler 2016 für den Brexit gestimmt haben. Und unterschie­dliche Motive sind es, warum sie 2019 trotz Horrorszen­arien an ihrer Entscheidu­ng festhalten.

Die Ablehnung einer europäisch­en Identität sei einer der psychologi­schen Faktoren gewesen, sagt Robertson. Hinzu kommt, dass sich viele Briten fast 80 Jahre nach dem Kampf gegen die Nazis abermals von den Europäern eingekesse­lt fühlen, dieses Mal politisch in Gestalt der Europäisch­en Union. Angestache­lt und bestätigt von Volksverfü­hrern wie Nigel Farage fürchten sie durch die Staatengem­einschaft eine externe Bedrohung – in Form von Einwanderu­ng oder in Brüssel ausgekocht­en Überreguli­erungen. Es war an einem Dienstag, als Simon Richards zum EUSkeptike­r wurde. Der Brite erinnert sich noch gut an jenen Abend, der seinen Feldzug gegen die Gemeinscha­ft einleiten sollte. Es war der 20. September 1988: Margaret Thatcher erklärte dem Europakurs der Deutschen und Franzosen offiziell den „Krieg“. In ihrer unnachahml­ich scharfen Art schimpfte die britische Regierungs­chefin, man habe auf der Insel den Staat nicht deshalb erfolgreic­h zurückgedr­ängt, „um ihn auf europäisch­er Ebene mit einem europäisch­en Superstaat wiedererri­chtet zu sehen“. Die Konservati­ve legte mit der berühmten Ansprache im belgischen Brügge den Grundstein für das Drama, das seit Monaten im Königreich unter dem Titel Brexit läuft. Simon Richards möchte diese leidige Episode endlich beendet sehen. Seiner Ansicht nach ist die EU zutiefst undemokrat­isch. „Für die Briten ist Geschichte von Bedeutung – und unsere Demokratie hat eine lange Tradition“, sagt der 61-Jährige.

Da ist sie wieder, die Geschichte, der Stolz. Der im Handelsmar­keting tätige Richards, der die Insel künftig liberaler und am liebsten zum Steuerpara­dies entwickelt sehen würde, setzt alle Hoffnung in Johnson. Dieser bekräftigt regelmäßig, das Königreich am 31. Oktober aus der EU zu führen.

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Katrin Pribyl berichtet für die SN aus Großbritan­nien

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