China benotet auch Firmen
Nicht nur Bürger werden in China vom Staat bewertet. Die Überwachung trifft auch Firmen. Ausländische Unternehmen sind schlecht vorbereitet.
PEKING, WIEN. Wer eine rote Ampel ignoriert, seine Rechnungen nicht pünktlich bezahlt oder die Regierung in sozialen Medien kritisiert, bekommt Minuspunkte. Für häufigen Besuch bei den Eltern oder den Kauf gesunder Babynahrung gibt es Pluspunkte. Für chinesische Bürger hat bald jede Handlung Auswirkungen auf ihr persönliches, vom Staat überwachtes Rating. Wer viele Punkte sammelt, bekommt leichter einen Kredit, wer wenige hat, darf keine Tickets für Inlandsflüge kaufen oder bekommt keinen Studienplatz für sein Kind. All das wird Wirklichkeit, wenn in China 2020 das „Social Credit System“für Bürger flächendeckend eingeführt wird. Die politische Führung brüstet sich bereits mit ersten Erfolgen. Laut Bericht der Staatszeitung „Global Times“wurde elf Millionen Mal Menschen verweigert, einen Flug zu buchen, 4,3 Millionen Mal wurde die Benutzung eines Hochgeschwindigkeitszugs untersagt.
Allerdings sehen die Pläne der Regierung vor, das System auch auf Unternehmen anzuwenden. Ausnahmen für ausländische Betriebe soll es nicht geben – auch sie werden bald total überwacht. „Chinas Sozialkreditsystem könnte Leben oder Tod für einzelne Unternehmen bedeuten“, erklärt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China. Ob man es gutheiße oder nicht, das System werde Realität. Es sei besorgniserregend, wie wenig sich Firmen darauf vorbereiteten. „Das System umfasst alles, was Ihr Unternehmen in China tut, von Steuern über E-Commerce und Kreditwesen bis zum Zoll. Bereiten Sie sich darauf vor, bewertet zu werden“, sagt Wuttke. Davon sind viele weit entfernt: Laut einer Studie der deutschen Handelskammer ist ein Jahr vor der geplanten Einführung das System sieben von zehn deutschen Unternehmen, die in China tätig sind, unbekannt.
Firmen sind in China bereits mehreren Ratings unterworfen. Mit dem neuen System sollen alle Informationen zusammengeführt werden und eine Art Schulnote ergeben. Wie diese genau zustande kommt, ist nicht bekannt. Ein Algorithmus wertet die Datenberge mithilfe künstlicher Intelligenz anhand Hunderter Kriterien aus und spuckt eine Punktzahl aus. Wer schlecht abschneidet, muss mit Sanktionen oder sogar Ausschluss vom Markt rechnen. Gute Noten können zu niedrigeren Steuersätzen, besseren Kreditbedingungen oder einfacherem Marktzugang führen. Auswirkungen hat, ob Klagen anhängig sind, wie die Produktqualität aussieht oder wie viele Emissionen erzeugt werden, aber auch, ob man mit schlecht bewerteten Zulieferern zusammenarbeitet. Das System sei nicht nur negativ zu sehen, sagt die EU-Handelskammer. Internationale Unternehmen könnten auch profitieren. Sie könnten etwa von der zwangsweisen Abschaltung von Anlagen bei Smogalarm ausgenommen werden, weil sie sauberer produzieren.
„Ein Vorteil ist auch, dass mehr Informationen über Marktteilnehmer bereitstehen, sodass man offensichtliche Betrüger schneller erkennt. Leider besteht auch ein großes Potenzial, dass das System genutzt wird, um gegen einzelne ausländische Firmen zu diskriminieren. Sei es, weil ein chinesischer Konkurrent dadurch profitiert oder aufgrund eines größeren Konflikts wie dem Handelskrieg zwischen China und den USA“, sagt Mareike Ohlberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator-Institut für Chinastudien (MERICS) in Berlin. Das Sozialkreditsystem beinhalte sinnvolle Auflagen zum Umweltschutz oder im Arbeitsrecht, aber auch zunehmend politische Vorgaben – zum Beispiel, dass Taiwan als Teil von China behandelt werden muss. Dass der persönliche Punktestand des Geschäftsführers ins Rating des Unternehmens einfließt, hält sie für kritisch. „Richtig problematisch wird es, wenn das Verhalten einzelner Mitarbeiter kontrolliert und gesteuert werden soll. Wie das aussieht, können wir gerade bei Cathay Pacific beobachten“, weist sie auf ein aktuelles Beispiel hin. Bei der Fluglinie wurde Mitarbeitern gekündigt, weil die chinesische Zivilluftfahrtverwaltung
„Das System umfasst alles, was Sie tun.“Jörg Wuttke, EU-Handelskammer
darauf bestand, dass jene, die sich an den Hongkonger Protesten beteiligt hatten, im chinesischen Luftraum nicht mehr tätig sein dürfen.
Wie sehen heimische Unternehmen das neue System? Stefan Doboczky, Chef des Faserherstellers Lenzing, der auch in China produziert, übt sich als Kenner des Landes in Pragmatismus. „Wir begrüßen Transparenz grundsätzlich und sehen durch hohe Transparenzkriterien in Sachen Nachhaltigkeit kurzfristig mehr Möglichkeiten als Gefahren. Es wird allerdings darauf ankommen, wie und mit welchen Kriterien dieses Punktesystem eingeführt werden wird.“Beim Salzburger Kranhersteller Palfinger hat man sich mit dem Thema bisher nur am Rande auseinandergesetzt. „Wir glauben aber, dass ein Unternehmen wie Palfinger davon profitieren kann. Wir sehen das eher positiv als negativ“, sagt Konzernsprecher Hannes Roither.
Ingo Bollmann, China-Experte und Chef des Beratungsunternehmens Boiwen, glaubt, dass die meisten ausländischen Unternehmen nicht vorbereitet sind. „Sie wissen gar nicht, was sie machen müssen, aber auch nicht, welche Möglichkeiten sich ihnen damit auftun.“Er gibt zu bedenken, dass die künftige Gesamtnote aus vielen bestehenden Bewertungssystemen zusammengefügt wird. „Man kann sein Rating also jetzt schon beeinflussen. Wenn Sie am Tag X mit 800 Punkten anfangen und die Konkurrenz bei 1250 Punkten, dann kauft bei Ihnen eben keiner mehr.“