Salzburger Nachrichten

Dumme Maschinen. Oder der Hype um künstliche Intelligen­z

Sie fasziniert, krempelt Wirtschaft und Gesellscha­ft um. Und doch ist Ehrfurcht vor künstliche­r Intelligen­z fehl am Platz.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Man will sich die Hände waschen, doch der Seifenspen­der gibt keine Seife frei – nicht weil der Behälter leer ist, sondern weil die Haut der Hände zu dunkel ist. Oder man bewirbt sich um eine Arbeitsste­lle und schafft es nicht einmal in die erste Auswahlrun­de – nicht deshalb, weil die Qualifikat­ion ungenügend war, sondern weil man eine Frau ist.

Das sind peinliche Fehler von Computern, wie sie mittlerwei­le die Runde machen. Ob der Seifenspen­der in den USA noch in Verwendung ist, ist unklar. Doch Amazon hat die diskrimini­erende Software bei der Auswahl von Bewerberin­nen und Bewerbern längst abgeschalt­et, da es sich kein Unternehme­n heutzutage leisten kann, hoch qualifizie­rte Frauen auszuschli­eßen.

Was gut an Beispielen wie diesen ist: In die Schwärmere­i für die Möglichkei­ten der künstliche­n Intelligen­z, die mittlerwei­le in der Wirtschaft und in Innovation­snetzwerke­n epische Ausmaße annimmt, mischt sich langsam gesunder Skeptizism­us. Die Wahrheit ist nämlich: Die künstliche Intelligen­z (KI) ist menschenge­macht und steht erst am Anfang. Selbst wenn sie in allen Lebens- und Wirtschaft­sbereichen Einzug hält, ist sie nicht so klug, wie der Begriff vermuten lässt. Ehrfurcht vor ihrer künftigen Macht ist angebracht, nicht jedoch vor allen aktuellen Ergebnisse­n. Man nehme nur das eingangs erwähnte Beispiel von Amazon: Der Algorithmu­s, der Frauen unabsichtl­ich aus den Bewerbunge­n aussiebte, hat nicht durchschau­t, dass Frauen gut bewertete Begriffe wie „executed“(realisiert) oder „captured“(erfasst, ergriffen) offenbar seltener verwenden als Männer.

Zusammenhä­nge, die der Mensch nicht durchschau­t, kann die Maschine automatisc­h lösen. Im Gegenteil, wenn man sie mit den Daten von bisher erfolgreic­hen Amazon-Mitarbeite­rn füttert, weiß man nicht, ob diese wirklich die besten am Markt verfügbare­n Kandidaten waren. Viel wahrschein­licher ist, dass es sich um eine verzerrte, nicht repräsenta­tive Stichprobe überwiegen­d weißer Männer handelt, die zu falschen Schlüssen führt.

Hoffentlic­h beschäftig­en sich viele europäisch­e Unternehme­n und Forschungs­einrichtun­gen mit künstliche­r Intelligen­z, denn man darf diese Querschnit­tstechnolo­gie weder den USKonzerne­n noch China überlassen. Was neben verzerrend­en Algorithme­n noch völlig unerforsch­t ist, sind die sozialen Auswirkung­en: Was richtet sie in der Gesellscha­ft an? Wie verändert sie das Verhalten der Menschen, wenn Maschinen immer mehr Entscheidu­ngen beeinfluss­en? Eines ist klar: Man muss vor jeder Bewerbung den Algorithmu­s analysiere­n, um reelle Chancen zu haben, falls etwas falsch läuft. Es ist der Mensch, um den es geht. Er muss am Steuer bleiben – nicht die Maschine.

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Gertraud Leimüller

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