„Wer zahlt, wird schneller operiert, das soll man ehrlich sagen“
Gerhard Pöttler kennt das Gesundheitswesen aus dem Effeff. Er war SALK-Wirtschaftsdirektor. Er managte mehrere Spitäler. Die Mehrklassenmedizin ist für ihn längst Realität.
SALZBURG. Der selbstständige Gesundheitsökonom Gerhard Pöttler beschäftigt sich intensiv mit der österreichischen Gesundheitslandschaft. Beruflich und auch als Autor. Sein Buch „Gesundheitswesen in Österreich“(Goldegg Verlag) gilt als Standardwerk. SN: Kommen Zusatzversicherte schneller zu einem OP-Termin? Gerhard Pöttler: Bei geplanten Eingriffen, ja. SN: Die Zuständigen streiten das für Salzburg ab. Das ist so nicht korrekt. Ich habe erst kürzlich Telefonanrufe bei Spitälern in Salzburg gemacht. Mein Name ist Huber Peter, ich brauche einen Termin für eine Hüft-OP. Wartezeit: vier Monate. Wenn ich mich als Sonderklassepatient oute, dann heißt es: Wir reden mit dem Primar, es sollte in den nächsten 14 Tagen gehen. Das deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen aus ganz Österreich. SN: Werden auch dringend nötige Eingriffe nach hinten verschoben, zum Beispiel bei Krebserkrankungen? Es gibt Krebspatienten, die operiert werden sollten und zwei Monate warten müssen, weil immer irgendetwas dazwischenkommt, das aus medizinischer Sicht als noch wichtiger erscheint. In dieser Ausprägung sind das aber Einzelfälle, das muss man dazusagen. Grundsätzlich werden dringende Eingriffe zeitnah durchgeführt. SN: Warum werden Sonderklassepatienten vorgezogen? Des Geldes wegen? Öffentliche Fondsspitäler verdienen durchschnittlich sieben bis acht Prozent über die Sonderklasse. Natürlich ist das ein wesentlicher Einkommensanteil für die Häuser und auch für die Mediziner – für den Primar wie auch für die nachgeordneten Ärzte. SN: Warum gibt das niemand zu? Das traut sich keiner öffentlich zu sagen, der im System arbeitet. Jede Abteilung hat einen gewissen Slot in den Operationssälen für Klassepatienten. Den müssen sie auch füllen. Ich persönlich finde das legitim. Nur soll man offen und ehrlich damit umgehen. SN: Reden Sie damit nicht der Zweiklassenmedizin das Wort? Es wird immer argumentiert, wir haben kein Zweiklassensystem. Das stimmt sogar. Wir haben eine Vierklassenmedizin. Die Überdrüber-Klasse, die normale Sonderklasse, die allgemeine Klasse – in der 70 bis 80 Prozent der Versicherten sind – und die Klasse der nicht versicherten Patienten, die man auch irgendwie durch das System schleusen muss. SN: Heißt das, wer zahlt, wird besser behandelt? Medizinisch weniger, da bekommen alle die gleich gute Operationstechnik. Aber der Sonderklassepatient bekommt sie schneller und dazu auch ein angenehmeres Ambiente. Das ist aber kein Verbrechen. Ich zahle meine Prämie an die Privatversicherung und erwarte mir etwas dafür. Ist ja ganz klar. SN: Auch wenn Normalpatienten dadurch länger warten müssen? Wartezeiten gibt es einfach, auch damit soll man ehrlich umgehen. Aus individueller Sicht ist jeder Tag mit Hüftschmerzen die Hölle, ich will da gar nicht gescheit daherreden. Aber aus Systemsicht geht es nicht, dass jeder gleich am ersten Tag drankommt. SN: Ist man mittlerweile als Normalpatient arm dran? Das würde ich nicht sagen. Patienten werden immer kundiger. Auch in Salzburg findet man relativ schnell heraus, wo Leistungen gut angeboten werden. Und die kriege ich auch als Kassenpatient in angemessener Zeit. Mehr Transparenz wäre nicht verkehrt. SN: Sie spielen auf die transparenten Wartelisten an. Seit 2011 ist bundesgesetzlich geregelt, dass man Wartelisten für bestimmte geplante Operationen öffentlich machen muss. Salzburg hat es im Landesgesetz in der Form geregelt, dass man nur dann veröffentlicht, wenn die Wartezeit vier Wochen übersteigt. Da es derzeit keine Wartelisten gibt, würde man annehmen, dass das nirgends so ist. Stimmt aber nicht. In gewissen Spitälern bei Eingriffen am Knie oder an der Hüfte wartet man auch bis zu vier Monate. Da wäre die Landesregierung gefordert. Zumal Herr LandeshauptmannStellvertreter (Christian Stöckl, Anm.) selbst vor drei Jahren im ORF Salzburg gesagt hat, das brauchen wir. SN: Sind Sie privat versichert? Ja. Wobei man sich ernsthaft überlegen muss, ob man das macht. Privatversicherungen setzen mittlerweile bei Prämien die Daumenschrauben an, weil sie am Jahresende gute Ergebnisse erreichen wollen. SN: Steuern wir im Gesund
heitswesen eigentlich auf eine Unfinanzierbarkeit zu?
Faktum ist, dass es kein öffentliches Spital in Österreich gibt, das positiv bilanziert. Die Tatsache, dass sich die Spitalskosten bis 2030 laut Berechnungen verdoppeln, muss die Alarmglocken läuten lassen. Da sind Wartelisten Nebenschauplätze. Mit bösen Sonderklassepatienten kann man punkten, weil es ein Politikum ist. Gesundheitsökonomisch muss das finanzielle Thema wesentlich sein.
SN: Was ist zu tun?
Es gibt genügend Stellschrauben, an denen man drehen kann. Vor allem die Entlastung der Krankenhäuser und die Stärkung des niedergelassenen Bereichs. Und die Vermeidung von Doppeluntersuchungen. Beides passiert nur halbherzig.
Krankenhauschef, Buchautor, Uni-Vortragender
Gerhard Pöttler, geboren 1975, ist selbstständiger Gesundheitsökonom. Er arbeitete für die SALK als Wirtschaftsdirektor und Assistent der Geschäftsführung, war Geschäftsführer von Krankenhäusern, Rehab.-Zentren und Altenheimen in Salzburg, Kärnten und Wien. Er ist Autor und Vortragender an Hochschulen. Pöttler lebt in Hallwang, ist verheiratet und Vater eines Sohnes und einer Tochter.