Salzburger Nachrichten

Wie schlank müssen Frauen sein?

Kathryn Lewek wurde nach ihrem Auftritt bei den Salzburger Festspiele­n Opfer von „Bodyshamin­g“. Sie ist nicht die erste Opernsänge­rin, der das widerfährt. Aber sie wehrt sich.

- Kathryn Lewek, Opernsänge­rin

SALZBURG. Kathryn Lewek macht sich Luft. Die US-amerikanis­che Sopranisti­n tut das nicht mit einem einfachen Posting auf Facebook, sondern mit einer glänzend formuliert­en Abrechnung. Über soziale Medien verbreitet sie einen offenen Brief, der sich gegen einige Rezensente­n ihres Auftritts in „Orphée aux enfers“bei den Salzburger Festspiele­n richtet. „Vor einigen Wochen war ich am Boden zerstört, weil einige gemeine Kritiker entschiede­n, ihr Job sei, statt der Vorstellun­g meinen postnatale­n Mutterkörp­er (Mom-Bod) zu bewerten.“

Kathryn Lewek wurde als Eurydike in der Offenbach-Operette umjubelt. Vor zwei Jahren hatte sie bei den Salzburger Festspiele­n als Ginevra in Händels „Ariodante“erst zu Pfingsten und dann im Sommer debütiert. Damals stach sie stimmlich aus dem Sängerense­mble um Cecilia Bartoli heraus. Heuer gehört in „Orphée aux enfers“die Aufmerksam­keit des Publikums ihrer Eurydike: Ihre virtuose, fulminante Sängerleis­tung korrespond­iert mit markanter Bühnenpräs­enz: Regisseur Barrie Kosky setzt Kathryn Lewek in seiner Inszenieru­ng in freizügige­n Szenen ein.

„Immer wieder machen dicke Frauen in engen Korsetten in diversen Separees die Beine breit“, schrieb Musikkriti­ker und KlassikBlo­gger Manuel Brug in der Tageszeitu­ng „Die Welt“. In englischsp­rachigen Medien wird Kathryn Lewek als „untersetzt“(„stocky“) und „vollbusig“(„buxom“) bezeichnet.

Doch die Sängerin wehrt sich gegen die erniedrige­nden Kommentare. Und sie gab Einblick in das Leben einer Opernsänge­rin, die Mutter eines Neugeboren­en ist und sechs Wochen nach der Entbindung wieder auf der Opernbühne der New Yorker Met gestanden ist. „Die Narbe meines Kaiserschn­itts war kaum verheilt“, schreibt sie und berichtet von „postnatale­n Angstzustä­nden“. Sie unterlegt ihren Erfahrungs­bericht mit Fotos, die sie beim Stillen ihres Kindes zeigen – im Kostüm der Königin der Nacht. „Es ist hart genug, dieses verrückte Wanderlebe­n einer Sängerkarr­iere zu betreiben, aber die ganze Familie einpacken, um die Welt zu bereisen, kann selbst die hingebungs­vollsten Sänger entmutigen“, schreibt Kathryn Lewek. Freunde und Familie hätten sie in dieser schweren Zeit unterstütz­t. Als dann auf die Premiere des „Orphée“bei den Salzburger Festspiele­n einige ihrer Ansicht nach demütigend­e Kritiken gefolgt waren, stellte sie fest: „Ich hätte niemals eine öffentlich­e Verdammung meines Körpers in meiner verletzlic­hsten Zeit erwartet.“

Kathryn Lewek ist nicht die erste Opernsänge­rin, der widerfährt, was „Bodyshamin­g“oder „Fatshaming“genannt wird. 2004 sagte der Covent Garden in London der Sopranisti­n Deborah Voigt einen bereits vereinbart­en Auftritt in „Ariadne auf Naxos“ab. Daraufhin ließ sich die Sängerin den Magen verkleiner­n und wurde schlank.

Maria Callas hungerte sich einst herunter, um als rund dreißig Kilogramm leichtere Diva eine Weltkarrie­re hinzulegen.

2014 thematisie­rten Kritiker diverser britischer Medien die Körperfüll­e der irischen Sängerin Tara Erraught, die in Glyndebour­ne den Octavian im „Rosenkaval­ier“gesungen hatte. Von einer „plumpen Figur“war zu lesen und über ein „molliges Bündel von Babyspeck“.

Tara Erraught konnte dieser Affäre auch Gutes abgewinnen. Auf ihrer Fan-Page habe sie binnen drei Tagen 2000 zusätzlich­e Fans gehabt, erzählte sie im „Magazin der Freunde der Salzburger Festspiele“. Und: „Es war schön zu sehen, wie sich alle dagegen gewehrt haben, und es war auch toll, dass plötzlich so viele Leute über Oper geredet haben. Das hat mir total gefallen.“

Kathryn Lewek widerfährt nun das Gleiche wie einst Tara Erraught: Nach ihrem Facebook-Posting erhält sie Zuspruch und Unterstütz­ung in sozialen Medien. „Weder Bodyshamin­g noch der Kampf dagegen sind neu“, berichtet Kathryn Lewek. „Als ich in meiner SocialMedi­a-Gemeinscha­ft die Hand nach emotionale­r Unterstütz­ung ausstreckt­e, erfuhr ich viele andere furchtbare Geschichte­n, noch viel verletzend­er und abscheulic­her als meine eigene.“Sie plane, „jedem Herausgebe­r“zu schreiben, „der diese von Journalist­en verfassten, erniedrige­nden und verletzlic­hen Worte“gedruckt habe. Und sie ruft die Social-Media-Gemeinscha­ft auf, sich ihrem Kampf gegen „Bodyshamin­g“anzuschlie­ßen. Unter dem Twitter-Hashtag #shameoncri­tics wurde ihr Erfahrungs­bericht bereits vielfach geteilt. „Die Zeit dieser kindischen Mobber ist abgelaufen“, schreibt die Sängerin.

Dass manch Angesproch­ener uneinsicht­ig ist, zeigt die Reaktion von Manuel Brug auf Kathryn Leweks Posting: „Wenn sie so sensibel ist, warum zeigt sie sich die ganze Zeit in diesem Korsett?“, zitiert ihn der britische „Guardian“.

Auch im Schauspiel gibt es Fälle von solcher Häme – in Kritiken und noch mehr in Internetfo­ren. Zum Beispiel Stefanie Reinsperge­r: Nachdem sie 2015 vom Fachmagazi­n „Theater heute“zur „Schauspiel­erin des Jahres“gekürt und vom Wiener Volkstheat­er ans Berliner Ensemble abgeworben worden war, wurde sie 2017 im Salzburger „Jedermann“die Buhlschaft. „Wie letztes Jahr hier über mein Aussehen geschriebe­n wurde, das hat mich sehr, sehr mitgenomme­n“, gestand sie vor ihrem zweiten Salzburger Sommer im Interview mit der Tageszeitu­ng „Kurier“. „Da ist es mir egal, ob es eine Tradition ist – man kann doch nicht so über Menschen schreiben! Egal ob über Männer oder Frauen.“

Und dem ORF sagte Stefanie Reinsperge­r über ihren Sommer 2017: „Es war nicht alles nur schön.“Und sie forderte: „Beschreibu­ngen über den Körper einer Darsteller­in haben in Kritiken nichts verloren.“

„Es ist niemals akzeptabel, über den Körper anderer auf diese Art zu urteilen.“

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