Es geht um das Land, nicht um gekränkte Eitelkeiten
Alte Rechnungen und persönliche Befindlichkeiten sollten bei der Bildung einer Koalition keine Rolle spielen.
„Rote Gfrieser“und „schwarze Brut“
In Österreich haben Koalitionsaussagen vor Wahlen keine Tradition. Vor allem die großen Parteien hüllen sich bis zum Wahltag in Schweigen darüber, mit welcher anderen politischen Gruppe sie am liebsten eine Regierung bilden wollen.
Eine Ausnahme bilden die Freiheitlichen, die sich öffentlich für eine Fortsetzung des Pakts mit der ÖVP ausgesprochen haben, wohl eine Verzweiflungstat, weil sonst ohnehin niemand mit der FPÖ zusammenarbeiten möchte. Alle anderen halten die Standardantwort auf die K-Frage parat: „Erst schauen wir einmal, wie die Wahl ausgeht.“Sie glauben fest daran, dass ihre Wahlchancen schwinden, wenn sie sich schon vor dem Urnengang für eine bestimmte Partnerschaft aussprechen. Die Grünen zeigen Präferenzen zu Rot und Neos, festlegen wollen sie sich allerdings auch nicht.
Noch eher als eine Koalitionsansage bekommt man in Funktionärskreisen zu hören, mit welcher Partei man auf gar keinen Fall kooperieren will. Nach wie vor sehr groß und offenkundig ist diese Ablehnungsfront zwischen ÖVP und SPÖ. Egal wen an der Spitze dieser Parteien man auch fragt, offiziell heißt es, man werde nach der Wahl mit allen Parteien das Gespräch suchen, also auch zwischen Schwarz und Rot. Hinter vorgehaltener Hand folgt sogleich: „Mit denen, nie im Leben!“
Sachlich erklären kann die gegenseitige Abneigung niemand. Als mögliche Gründe werden eher schwere atmosphärische Störungen angeführt: die schwierige Zusam
menarbeit in früheren Großen Koalitionen, ein gewisser politischer Stillstand, der, in der Nachbetrachtung, im Gegensatz zu vorschnellen Entscheidungen auch sein Positives hatte. Der schlechte Ruf, den sich die Große Koalition bei den Bürgerinnen und Bürgern über Jahrzehnte „hart erkämpft“hat, führt zu schlechten Umfrageergebnissen beim Wahlvolk.
Warum also, um Himmels willen, sollen ÖVP und SPÖ nach dieser Wahl plötzlich wieder zusammenkommen?
Es gibt dafür mehrere mögliche Gründe:
Erstens: Weil die ÖVP mit der FPÖ nach Ibiza nicht mehr regieren will und kann. Die Gefahr neuerlicher „Rechts-Unfälle“, ein irrlichternder Ex-Parteichef, der sich als politischer Heckenschütze betätigt, zahlreiche strafrechtliche Erhebungen, offen dagegen auftretende ÖVP-Landeshauptleute – all das wird Sebastian Kurz nach rationalen Kriterien davon abhalten, sich noch einmal mit der FPÖ ins politische Bett zu legen. Auch wenn es die Freiheitlichen so billig wie nie machen würden.
Zweitens: Weil die Grünen und die Türkisen inhaltlich Welten trennen. Zwei Seelen wohnen in der grünen Brust: die fundamentalistische, sozialpolitische, linke auf der einen, die bürgerliche, realistische auf der anderen Seite. Die einen sitzen in Wien. Für sie ist der ehemalige Kanzler der Gottseibeiuns. Die anderen sitzen längst mit der ÖVP in den Regierungen Westösterreichs. Dass Werner Kogler diesen innerparteilichen Spagat schafft und am Ende mit Sebastian Kurz eine Regierung bildet, ist momentan eher zu bezweifeln.
Drittens: Weil für andere Varianten keine Mehrheit in Aussicht ist, wie etwa für die zuletzt ins Spiel gebrachte Koalition aus SPÖ, Grünen und Neos.
Wichtig für eine Koalition ist nicht nur die mathematische Mehrheit. Zwei oder drei Parteien, die erfolgreich zusammenarbeiten wollen, müssen auch zusammenpassen. Ideologische Gräben können für eine bestimmte Zeit überbrückt werden. Das funktioniert aber nur dann, wenn das Führungspersonal besonders gut miteinander kann.
Zwischen Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner stimmt die Chemie nicht. Und zwischen vielen Türkisen und Roten in der zweiten Reihe auch nicht. Die Zeit, als sie einander noch „rote Gfrieser“und „schwarze Brut“schimpften, bleibt in Erinnerung.
Österreich kann sich auf Dauer keine beleidigten Leberwürste an der Spitze der Parteien leisten. Persönliche Animositäten dürfen nicht über die Interessen der Republik und ihrer Bürgerinnen und Bürger gestellt werden.
Das sollten die Funktionäre der Parteien beherzigen. Vor der Wahl, weil der gegenseitige Umgangston besser wird. Und erst recht nach der Wahl. Weil es um das Land und seine Menschen geht und nicht um die gekränkte Eitelkeit Einzelner.