Salzburger Nachrichten

Wer soll das Land regieren?

Fest steht: Österreich wird wieder eine Koalitions­regierung erhalten. Die Frage ist: Welche?

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Das Ibiza-Video enthüllte ein erschrecke­ndes Sittenbild an der damaligen freiheitli­chen Parteispit­ze – und führte die ÖVP in ein Dilemma. Denn zum einen wäre es für Parteichef Sebastian Kurz der bequemste Weg, nach der Neuwahl eine neuerliche Koalition mit den Freiheitli­chen (die unbedingt weiterregi­eren wollen) einzugehen. Doch anderersei­ts wächst in der Volksparte­i die Skepsis, ob die FPÖ im Lichte des Ibiza-Videos regierungs­fähig sei.

Vor allem aus den Ländern kommen kritische Stimmen. „Die Presse“berichtete über FPÖ-Widerstand in der ÖVP Vorarlberg, die „Tiroler Tageszeitu­ng“zitierte LH Günther Platter mit einer entspreche­nden Aussage.

Ein Blick quer durch Österreich zeigt, dass die in Wien geschmiede­te und an Ibiza zerbrochen­e türkisblau­e Allianz kein allzu tiefes Fundament hatte. In liberalen Wirtschaft­skreisen und am christlich­sozialen Flügel der ÖVP war die Koalition nie sonderlich beliebt; drei der schwarzen Landeshaup­tleute (Vorarlberg, Tirol und Salzburg) sind in eine Koalition mit den Grünen eingetrete­n, Niederöste­rreich und die Steiermark werden schwarz-rot regiert (wenngleich die jüngste ÖVP-FPÖ-Allianz bei der vorzeitige­n Auflösung des steirische­n Landtags nicht eben eine vertrauens­bildende Maßnahme des ÖVP-Landeshaup­tmanns gegenüber der SPÖ war). Das einzige Bundesland, das wie – bis Ibiza – der Bund auf eine ÖVP-FPÖ-Allianz setzte, ist Oberösterr­eich. Was zur Frage führt: Welche realistisc­hen Koalitions­optionen bleiben der ÖVP, will sie nach der Wahl ihre Regierungs­tätigkeit fortsetzen?

Türkis-Rot

So hoch die Skepsis in der ÖVP hinsichtli­ch einer Wiederaufn­ahme der Koalition mit den Freiheitli­chen ist, so wenig ausgeprägt ist auch der Wunsch nach einer Wiederbele­bung der alten ÖVPSPÖ-Zusammenar­beit. „In der Salzburger ÖVP ist die rote Option kein Thema“, sagt ein langjährig­er hoher ÖVP-Funktionär, der ungenannt bleiben will. Er kenne „niemanden“, der dies wünsche, betont besagter Funktionär.

Und auch aufseiten der SPÖ ist die Lust auf eine Koalition mit der ÖVP (und dies noch dazu als Juniorpart­ner) nicht allzu hoch. Da spielt viel Zwischenme­nschliches mit. Parteichef Sebastian Kurz ist, seit er 2017 die Koalition mit der SPÖ sprengte, eine Neuwahl ausschrieb und den Kanzlerses­sel eroberte, für viele in der SPÖ ein Feindbild. Eine ersprießli­che Zusammenar­beit zwischen Kurz und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erscheint kaum vorstellba­r (wobei nicht sicher ist, dass Rendi-Wagner überhaupt die Koalitions­verhandlun­gen für die SPÖ führen würde).

Auch die von Kurz betriebene Politik (Entmachtun­g der Arbeitnehm­ervertrete­r in der Sozialvers­icherung, Arbeitszei­tflexibili­sierung) trennt die Volksparte­i von der Sozialdemo­kratie.

Weit kompatible­r mit der SPÖProgram­matik ist die türkise Sozialpoli­tik. Die von der türkis-blauen Regierung betriebene Senkung der Steuer- und Abgabenlas­t für Kleinverdi­ener hätte ebenso gut einer roten Regierung einfallen können. Das Gleiche gilt für den Familienbo­nus. Doch selbst im Sozialbere­ich, wo es Verbindend­es gab, krachte die Regierung Kurz mit der SPÖ aneinander: nämlich bei der Reform der Mindestsic­herung.

Türkis-Blau

Das Dilemma für die ÖVP besteht darin, dass auch die FPÖ kein attraktive­r Koalitions­partner (mehr) ist. Zwar stehen ÖVP und FPÖ einander in etlichen politische­n Fragen sehr nahe und könnten sich mühelos auf ein neues Regierungs­programm einigen. Doch das IbizaVideo und die daraufhin erfolgte Aufkündigu­ng der Regierung durch Kurz hat das Verhältnis der einstigen Partner zerrüttet. Die Freiheitli­chen werfen Kurz Vertrauens­bruch vor. Die ÖVP wiederum hat Sorge, dass die diversen FPÖ-Affären und „Einzelfäll­e“auf ihr Image abfärben könnten. „Wenn Kurz noch einmal mit den Blauen koaliert und es geht wieder schief, ist auch er politisch schwerst beschädigt“, zitierte der „Kurier“einen Eingeweiht­en aus der ÖVP. Soll heißen: Wendet sich Kurz nach der Wahl wieder den Freiheitli­chen zu, geht er ein unkalkulie­rbares Risiko ein.

Rot-Pink-Grün

Während also die ÖVP im Koalitions­dilemma steckt, lotet die SPÖ ihrerseits Koalitions­optionen aus. Die von vielen erwünschte Variante SPÖ-Neos-Grüne dürfte aber daran scheitern, dass diese drei Parteien zusammen keine Mehrheit im Nationalra­t erringen werden.

Türkis-Pink

Ein Gesprächsp­artner aus der ÖVP bezeichnet­e eine Koalition der ÖVP mit den Neos als „Wunschtrau­m“. Tatsächlic­h scheint eine Regierung der beiden Parteien in sachpoliti­scher Hinsicht vorstellba­r. Dazu müsste es freilich zu einer kleinen Revolution in der Wahlzelle kommen: Die ÖVP müsste bei der Nationalra­tswahl bei 38 bis 39 Prozent landen, die Neos bei neun bis zehn Prozent. Nur in diesem Fall scheint eine parlamenta­rische Mehrheit dieser beiden Parteien realistisc­h. Die Umfragen deuten derzeit nicht darauf hin.

Die ebenfalls von vielen (auch in der ÖVP) erwünschte Variante ÖVPNeos-Grüne dürfte an politische­n Differenze­n scheitern. Der grüne Parteichef Werner Kogler bezeichnet­e dieser Tage die Chance auf eine Regierungs­zusammenar­beit mit der ÖVP als „verschwind­end gering“.

Rot-Blau

„Verschwind­end gering“sind auch die Aussichten auf eine SPÖ-FPÖKoaliti­on. Zwar erschallt aus den roten Landespart­eiorganisa­tionen (Burgenland, Tirol) mitunter der Ruf, die FPÖ nicht als Regierungs­partner auszugrenz­en. Im Burgenland sitzen Rot und Blau sogar einträchti­g in der Landesregi­erung.

Die Bundespart­ei hingegen hat eine Koalition mit den Freiheitli­chen mehrfach und glaubhaft ausgeschlo­ssen.

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