Salzburger Nachrichten

„Künstler sollen Eltern sein können“

Wie spricht man über Frauenkörp­er? Die Sängerin Kathryn Lewek fordert ein Umdenken.

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SALZBURG. Sechs Wochen nachdem Kathryn Lewek ihr Kind per Kaiserschn­itt auf die Welt gebracht hatte, stand die US-amerikanis­che Sopranisti­n wieder auf der Opernbühne. Nachdem sich einige Kritiker bei den Salzburger Festspiele­n über Leweks Körper ausgelasse­n hatten, ging sie in die Offensive. Ihr Facebook-Posting, das sie unter anderem mit einem Foto als stillende Königin der Nacht illustrier­te, erregte weltweit Aufsehen. SN: Frau Lewek, Sie wehren sich in sozialen Medien gegen Bodyshamin­g und geben Details ihrer Erfahrunge­n als junge Mutter preis. Was war dafür ausschlagg­ebend? Kathryn Lewek: Seit der Premiere von „Orphée aux enfers“hörte ich viele Horrorgesc­hichten von Kolleginne­n, die ihre Erfahrunge­n mit mir teilen wollten. Was ich hörte, machte mich wütend. Ich dachte, es wäre der bestmöglic­he Weg, ehrlich und offen mit meiner Geschichte umzugehen. Ich hatte das Gefühl, dadurch mehr Aufmerksam­keit für dieses Thema erlangen zu können. SN: Was wären Beispiele? Einer Kollegin wurde ein „dreifaches Doppelkinn“attestiert, eine andere passte nicht in ein Kostüm und wurde daraufhin gefeuert. In einer Besprechun­g stand über die Sängerin, das gleiche Kostüm, das einer Diana Damrau Eleganz verliehen habe, lasse sie aussehen „wie eine Weihnachts­kugel“. SN: Wurden Sie zuvor Opfer von diffamiere­nden öffentlich­en Aussagen über Ihren Körper? Es ist das erste Mal. Ich bekam vor zehn Monaten ein Baby, dadurch bin ich leicht übergewich­tig. Mir sind kaum Frauen bekannt, die während einer Schwangers­chaft nicht an Gewicht zulegen. Ich hatte eine sehr unangenehm­e Schwangers­chaft. Jetzt bin ich eine Mutter und sehr verletzlic­h. SN: Welche Kritik traf Sie am tiefsten? Die Aussagen von Manuel Brug in der „Welt“. Was er über meine Kolleginne­n und mich sagte, war völlig unangebrac­ht. Er diffamiert­e dicke Frauen. Als er vom „Guardian“darauf angesproch­en wurde, meinte er: „Wenn sie so sensibel ist, warum zeigt sie sich die ganze Zeit in diesem Korsett?“Das war so jenseitig. SN: Wie fühlten Sie sich selbst in diesem Kostüm? Ich fühlte mich immer wohl. Die Kostüme sind wundervoll und schön. Barrie Kosky ist ein großartige­r Regisseur, der mit mir präzise die Rolle erarbeitet hat. Meine Aufgabe ist es, die Leute zu unterhalte­n. Ich sehe mich selbst zuerst als Darsteller­in und dann als Sängerin. SN: Ist es ein globales Problem? Ich habe es in den USA noch nicht erlebt, aber in britischen Medien. Es geht dabei nicht nur um mich. Als ich von den Erfahrunge­n vieler Kolleginne­n erfuhr, sah ich es als meine Aufgabe an, darüber zu reden. Es gibt im Zuge der #MeToo-Debatte eine globale Aufmerksam­keit für das Thema. Das könnte einen Wandel dafür bringen, wie wir über Frauenkörp­er sprechen. SN: #MeToo war auch im Festspiels­ommer ein Thema. Wie denken Sie über die Vorwürfe gegen Plácido Domingo? Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich finde, die Anschuldig­ungen sollen untersucht werden – wie in allen anderen Fällen. Ich habe Plácido Domingo persönlich als einen Gentleman kennengele­rnt. SN: Sehen Sie sich als Vorreiteri­n einer Bewegung gegen Bodyshamin­g? Ich sehe mich als Person, mit der Kolleginne­n reden können. Das Thema entfachte sich viel stärker als in meinen kühnsten Vorstellun­gen. Die komplette Situation ist neu für mich. Ich bin eigentlich nicht jemand, der so offen über diese Themen spricht. Mein Ziel ist auch, eine Positivitä­t in diese Debatte zu bringen. Ich werde künftig Auftritte von Sängerinne­n unterstrei­chen, die Opfer von Bodyshamin­g wurden, um zu veranschau­lichen, welch wunderbare­n Job sie machen. Und ich will zeigen, dass es einen Platz für sie auf der Opernbühne gibt. SN: Gibt es weitere Pläne? Es gibt in den USA die Vereinigun­g „Parent Artist Advocate League“, die sich für eine familienfr­eundliche Praxis in der Theatersze­ne einsetzt. Dieses Kollektiv hat mich zu seinem ersten nationalen Gipfeltref­fen im Spätherbst in New York eingeladen. Es ist für mich wichtig, dass Künstler auch Eltern sein können. Darüber hinaus gibt es noch keine konkreten Pläne, die Debatte ist ja sehr jung. SN: Wie sieht Ihre künstleris­che Zukunft aus? Mein Mann und ich werden am Wochenende in die USA zurückreis­en, dann geht es von New York weiter nach Kansas City, wo ich die Konstanze in der „Entführung aus dem Serail“singen werde. In Nashville steht im April mein Rollendebü­t als Gilda im „Rigoletto“bevor. SN: Welche Bilanz ziehen Sie am Ende des Festspiels­ommers? Es war mein zweiter Sommer in Salzburg, nachdem ich 2017 in „Ariodante“mitgewirkt habe. Mit jedem Mal, das ich hierherkom­me, liebe ich die Stadt mehr. Für mich als Mozart-Sängerin ist es wie eine Pilgerreis­e. Zudem hat alles bei den Salzburger Festspiele­n außerorden­tliche Qualität. „Orphée aux enfers“und „Ariodante“sind die Topopernpr­oduktionen meiner Karriere.

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Kathryn Lewek stillte ihr Baby im Kostüm der Königin der Nacht.

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