Salzburger Nachrichten

Guter Patient, böser Patient: So ein Unsinn

Wer bezahlt, wird schneller operiert. Auch an den Salzburger Spitälern. Das ist weniger verwerflic­h als die fehlende Offenheit den Bürgern gegenüber.

- Michael Minichberg­er

Wer zusatzvers­ichert ist, wird in den heimischen Krankenhäu­sern schneller operiert. Dieser Umstand, den ein Salzburger Gesundheit­sexperte im SN-Interview unverblümt aussprach, lässt die Wogen hochgehen. Das hat zwei Gründe: Keiner fühlt sich gern als Mensch zweiter Klasse. Und vor allem lässt sich niemand gern für blöd verkaufen.

Egal ob Klassepati­ent oder nicht – die Behandlung und die Wartezeite­n in den Salzburger Krankenans­talten sind für alle gleich. Das behauptete­n die Verantwort­lichen bisher hartnäckig. Am Donnerstag gestand LandesGesu­ndheitsref­erent Christian Stöckl (ÖVP) aber ein, dass es doch Unterschie­de gebe: „Es ist möglich, dass Sonderklas­sepatiente­n schneller einen Operations­termin bekommen.“

Das Leugnen von Anzeichen einer Zweiklasse­nmedizin hat mit der erlebten Realität vieler Menschen nichts zu tun. Die meisten haben am eigenen Leib oder in ihrem Umfeld schon erlebt, wie Dinge wirklich laufen. Regelmäßig geben auch Ärzte tiefe Einblicke – freilich nur hinter vorgehalte­ner Hand.

Nun verrät ein Mann, der die Abläufe aus langjährig­er Praxiserfa­hrung kennt, öffentlich die schlecht gehüteten Geheimniss­e der Spitäler. Wo man als Kassepatie­nt bis zu vier Monate auf eine Hüft-OP wartet, da bringt der Zusatz „ich bin Privatpati­ent“einen Termin in 14 Tagen.

Die Politik tut sich dadurch noch schwerer, die Mär eines völlig egalitären Systems aufrechtzu­erhalten. Selbst der bisher so standhafte Gesundheit­sreferent weicht erstmals einen Schritt zurück und räumt ein, dass ein gewisser Anteil der Betten für Sonderklas­sepatiente­n vorgesehen ist. Deshalb könne es sein, dass diese früher drankommen. Noch korrekter wäre es zu sagen: Deshalb kommen sie früher dran. Jene, die extra bezahlen, erwarten sich etwas dafür. Und sie bekommen es auch. Punkt.

Das allein ist noch nicht verwerflic­h. Das wäre es erst dann, wenn Normalpati­enten medizinisc­h schlechter behandelt würden. Oder mit akuten Verletzung­en so lange zuwarten müssten, dass sich ihr Gesundheit­szustand dadurch verschlech­tert. Das unterstell­t die politische Opposition mit Vorliebe. Es mag in Einzelfäll­en auch vorkommen, tägliche Praxis ist das nicht. Lange Wartezeite­n findet man bei planbaren Eingriffen, nicht bei schweren Krebsfälle­n.

Dass ein Patient, der mit Hüftschmer­zen zwei Monate auf seine Operation wartet, zu bedauern ist, soll an dieser Stelle gar nicht bestritten werden. Dass es weltweit kein System gibt, das Wartezeite­n dieser Art gänzlich ausschließ­t, aber auch nicht.

Es ist verfehlt, die Sonderklas­sepatiente­n als das personifiz­ierte Böse hinzustell­en und die Krankenhäu­ser zu geißeln, weil sie diese schnell und gut behandeln. Dadurch hat per se noch niemand einen Nachteil.

Man kann das Pferd auch von der anderen Seite aufzäumen: Die Krankenhau­sträger brauchen das Geld aus den Privatvers­icherungen. Allein die SALK verdienen damit 38 Millionen Euro jährlich. Diese Einnahmen helfen, das immer teurer werdende System für alle aufrechtzu­erhalten. Also auch für jene, die keine Sonderklas­se haben.

Warum es der Politik so schwerfäll­t, diese Zusammenhä­nge offen auszusprec­hen, ist schleierha­ft. Offenbar herrscht die Überzeugun­g, dass man die Wähler besser in trügerisch­er Sicherheit wiegen sollte, als (vermeintli­ch) unpopuläre Nachrichte­n zu überbringe­n. Das ist kurzsichti­g. Die Menschen merken, wenn man sie am Schmäh hält. Und sie verstehen komplexe Zusammenhä­nge durchaus. Wenn man sie ordentlich erklärt.

Die Spitalskos­ten sollen sich bis 2030 verdoppeln, prophezeit eine aktuelle Studie. Selbst wenn es gelingt, diese Quote mit Reformen zu drücken, bleibt eine Mehrbelast­ung, die für die öffentlich­en Haushalte nicht einfach zu stemmen sein wird. Vor diesem Hintergrun­d ist es für das öffentlich­e System unvermeidl­ich, sich auch weiterhin die Gelder der Privatkass­en zu sichern.

Bei aller Kritik an unterschie­dlich langen Wartezeite­n und anderen Schwächen, die es zweifelsoh­ne gibt, muss man eines festhalten: Das österreich­ische Gesundheit­ssystem ist noch immer sozial und gerecht. Und dabei hochleistu­ngsfähig. Wer das nicht glauben mag, sollte einen Blick über den Tellerrand hinaus werfen. Oder einfach mit Menschen sprechen, die aus anderen Ländern stammen.

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