Purgertorium
Die Hörbigers und das Welteis
Hörbigers können auch irren. Hanns Hörbiger, der Gründer der SchauspielerDynastie, war selbst kein Mime, sondern Ingenieur. Als solcher entwickelte er die einst populäre „Glazialkosmogonie“, die Welteislehre. Sie besagt laienhaft ausgedrückt, dass die Welt durch Eis entstanden sei und dass etliche Himmelskörper – etwa unser Mond – großteils aus blankem Eis bestünden.
Die moderne Wissenschaft ist über diese Theorie hinweggegangen und damit auch über die an sich naheliegende Frage: Erdbeer oder Vanille?
Aber das macht nichts. Der Nobelpreisträger Konrad Lorenz bezeichnete das Verwerfen von Theorien als empfehlenswert und gesund. „Es ist ein guter Morgensport, jeden Tag beim Frühstück eine Lieblingsthese über Bord zu werfen. Das hält jung“, sagte Lorenz.
Die Enkelin Hörbigers, die diese Woche die Nachrichtensendungen praktisch im Alleingang füllte, scheint das ebenso zu halten. Einmal unterstützt sie mit ihrer Prominenz die eine Partei, dann verwirft sie das und unterstützt eine andere. Warum auch nicht?
Interessant ist nur eines: Als sie 2016 die eine Partei unterstützte, galt sie als Grande Dame der heimischen Schauspielkunst. Als sie jetzt die andere unterstützte, war sie plötzlich eine senile Alte. So schnell werden öffentliche Einschätzungen verworfen ...
Aber zurück zu Großpapa Hörbiger. Zu seiner Welteislehre kam er durch eine praktische Beobachtung, die er als Ingenieur gemacht hatte: Ein Eisklumpen, der in flüssige Hochofen-Schlacke geworfen wird, schmilzt nicht. Sondern um das Eis herum bildet sich ein Panzer von glühender Schlacke. Erst langsam schmilzt das Eis im Inneren zu Wasser, erhitzt sich und bringt den Klumpen schließlich zur Explosion.
Ganz ähnlich stellte sich Hörbiger die Entstehung des Weltalls vor: Ein gigantischer Eisblock flog in grauer Vorzeit in eine noch viel gigantischere Ursonne und brachte diese von innen zur Explosion. Dadurch wurden Ursonne wie Eisblock in kleine Krümelchen zerlegt und in sämtliche Himmelsrichtungen geschleudert. Und diese Krümelchen sind unser heutiges Sonnensystem.
Die Wissenschaft hält, wie gesagt, von dieser Theorie heute überhaupt nichts mehr. In einem Detailbereich des modernen Lebens hat sich Hanns Hörbigers Welteislehre aber irgendwie bewahrheitet, nämlich in der Politik. Genauer gesagt: in den Wahlkämpfen.
Denn was ist ein Wahlkampf? Ein Wahlkampf ist ein Konglomerat von hochgradig aufgeregten und entsprechend erhitzten Menschen. Regelmäßig platzt in dieses Konglomerat, das man mit Hörbigers Hochofen vergleichen könnte, eine sogenannte Bombe. Also eine Affäre, eine Aufdeckergeschichte oder ein Wahlkampfvideo wie jenes von Hörbigers Enkelin Christiane.
Nüchtern betrachtet ist an diesen Geschichten meist nicht viel dran. Man denke nur an die sogenannte SchredderAffäre, die die Republik wochenlang in Atem hielt, bis sich nun herausstellte, dass im Kanzleramt seit 2017 an die 350 Mal (!) geschreddert wurde.
Die Bombe besteht also meistens aus nichts – im übertragenen Sinn aus gefrorenem Wasser. Doch im Hochofen des Wahlkampfs ballen sich sofort jegliche Aufmerksamkeit und alle Emotionen um dieses Nichts, sodass in Windeseile ein riesiger Klumpen daraus wird.
Dieser Klumpen klumpt eine Zeit lang vor sich hin. Schließlich platzt das Ganze aber, wird zum uninteressanten Klumpert und die Öffentlichkeit wartet auf die nächste Bombe.
Der Unterschied zu Hanns Hörbigers Welteislehre ist, dass wir – so glaubte er – seiner Eisbombe die Tausenden Sternlein verdanken, die am Himmelszelt stehen. Aber was genau verdanken wir den Wahlkampfbomben?