Salzburger Nachrichten

Wissenscha­ft

Humboldt, der Alpen-Pionier

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DDer junge Otto von Bismarck spottete über den alten Alexander von Humboldt: über seinen großen Appetit am Buffet, über seinen nicht zu stoppenden Redefluss in Gesellscha­ft und dass sich die Zuhörer am preußische­n Hof vor Lachen bogen, wenn der Alte zu seiner allen schon bei den Ohren raushängen­den Geschichte ansetzte: „Auf dem Gipfel des Popocatépe­tl …“Wobei entweder die Erinnerung dem späteren Reichskanz­ler einen Streich spielte oder er absichtlic­h zur größeren Belustigun­g den Zungenbrec­her-Bergnamen einsetzte. Denn Humboldt bestieg im Laufe seines Forscherle­bens viele Berge und hohe Vulkane reizten ihn besonders, aber den mexikanisc­hen Popocatépe­tl hatte er nur von unten trigonomet­risch vermessen, oben war er nie. Und „AvH“war viel, aber Aufschneid­er war er nicht. Dazu bestand kein Grund. Sein Lebenswerk, seine Reisen, Entdeckung­en, Vorträge und Bücher sind so großartig, dass jede Prahlerei daneben verblasst.

„Alexander von Humboldt ist ein Faszinosum.“Mit diesem Verweis aufs Mysterium versucht der Potsdamer Humboldt-Experte Ottmar Ette im „Alexander-von-Humboldt-Handbuch“(J.B. Metzler Verlag, 2018) die ausufernde Vielseitig­keit und Brillanz des Multi-Intellektu­ellen zusammenzu­fassen. Humboldts Leben und Werk lässt sich am ehesten mit einem interdiszi­plinären wissenscha­ftlichen Wimmelbild vergleiche­n. Dementspre­chend vielfältig liest sich das Inhaltsver­zeichnis dieses Handbuchs: Das reicht von mineralogi­schen Beobachtun­gen, technologi­sch-ökonomisch­en, botanische­n und physiologi­schen Frühschrif­ten über transatlan­tische Bewegungen, Kartografi­e, Zoologie, Klimatolog­ie, Astronomie, Pflanzenge­ografie und Erdmagneti­smus bis zu Humboldts Zeichnunge­n und seine Sprachenvi­elfalt sowie Politische­m zwischen den Zeilen und noch vielem mehr.

Dabei darf man sich AvH nicht als langweilig­en, verkopften, milchgesic­htigen Stubenhock­er vorstellen. „Geist der Unruhe“nennt er selbst „das Streben nach Tätigkeit, das mich plagt“. Diese Unruhe treibt den am 14. September 1769 in Berlin-Mitte geborenen zweiten Sohn eines jovial-freundlich­en preußische­n Majors und seiner als kühl und streng beschriebe­nen Frau seit frühester Jugend hinaus: „Aus dieser inneren Unruhe erkläre ich es mir, warum große körperlich­e Anstrengun­g mich so schnell aufheitert.“Bereits als Kind spielte er mit Mineralien,

Insekten, Pflanzen, legte in seinem Zimmer Sammlungen an, sortierte, beschrifte­te … Humboldts Vater starb früh, die Mutter blieb Witwe. Ein protestant­isch strenger Hauslehrer übernahm die Erziehung der Brüder. „Intellektu­ell ist es ihr Schaden nicht. Er vermittelt ihnen eine breite Bildung, weckt das Interesse für vielerlei Fächer und Gebiete“, schreibt Rüdiger Schaper, Kulturchef des Berliner „Tagesspieg­el“in seiner Biografie „Alexander von Humboldt – Der Preuße und die neuen Welten“(Pantheon Verlag, 2019). Und vom Lehrer, weniger von der Mutter, „wir waren uns von jeher fremd“, muss Humboldt sein humanistis­ches Menschenbi­ld mitbekomme­n haben, das ihn in den Bergbaumin­en und auf den Sklavenpla­ntagen Partei für die da wie dort Geschunden­en ergreifen ließ. Bismarck und seine Freunde in Preußens besserer Gesellscha­ft lagen nicht falsch, wenn sie den Greis neben Schwätzer und Vielwisser auch als Sozialiste­n und Judenfreun­d mobbten.

1796 starb die Mutter. Am Begräbnis nahmen weder Alexander noch sein Bruder Wilhelm teil. Doch Ersterer quittierte umgehend den Staatsdien­st, nutzte das Erbe, um sich auf Weltreise zu begeben. Als sich die Pläne für eine Weltumsege­lung zerschluge­n, bestieg er am 5. Juni 1799 mit dem französisc­hen Arzt und Botaniker Aimé Bonpland das Schiff „Pizarro“, und sie brachen vom spanischen La Coruña aus in die Neue Welt auf.

Es wird die Reise ihres Lebens. Das Glücksgefü­hl ließ ihn auch die schlimmste­n Strapazen überstehen, analysiert Ottmar Ette Humboldts Verfassung: „Galt er in Kindheit und Jugend als eher schwächlic­h und hatte er noch im Bergdienst unter Krankheite­n zu leiden, so erwies er sich physisch nun als ungeheuer resistent. In seiner Korrespond­enz wie in seinen Veröffentl­ichungen mehren sich die Zeichen eines persönlich­en Glücks, das ihn trug und noch lange tragen sollte.“

Bis hinauf zu den höchsten Höhen. Bei einem Zwischenst­opp auf Teneriffa bestiegen sie als Training für die Anden den Teide, mit 3718 Metern der höchste Berg Spaniens. „Leider trug die Faulheit und der üble Wille unserer Führer viel dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen“, klagte Humboldt: „Sie setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen hinter uns die Handstücke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfältig gesammelt hatten …“Auch der Weinvorrat war nicht sicher. Doch Humboldt konnte sich mit diesen Unannehmli­chkeiten abfinden, Hauptsache, die Forschungs­ergebnisse blieben gesichert: „Zum Glück war die Flasche mit der Kraterluft unversehrt geblieben.“

Tolle Geschichte! Mit dem Höhenrekor­d am Chimborazo und dem dort entwickelt­en Höhen-PflanzenDi­agramm „Tableau physique des Andes et Pays voisins“wird Humboldt sie noch toppen, die Weltsicht revolution­ieren, Darwin und Legionen weiterer Wissenscha­fter inspiriere­n. Selbst Bismarck würde sich heute seine Popocatépe­tl-Witze verkneifen. Noch dazu wenn er wüsste, dass Humboldt seine Gipfelstür­mereien im preußische­n Uniformroc­k meisterte.

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BILDER: SN/STOCKADOBE-DARKMEDIA, PICTUREDES­K-HERMAN BLOW WOLFGANG MACHREICH

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