Salzburger Nachrichten

Geist & Welt

Das Raubtier Kapitalism­us

- JOSEF BRUCKMOSER

Im SN-Gespräch zeigt der Ökonom und Publizist Wolfgang Kessler auf, warum der Kapitalism­us so erfolgreic­h war und weshalb er jetzt dringend erneuert werden muss.

SN: Die soziale Marktwirts­chaft war ein Erfolgsmod­ell, auch wirtschaft­lich. Wann und warum kam der Bruch?

Kessler: Soziale Marktwirts­chaft war das bestimmend­e Modell der 1960er- und 1970erJahr­e. In den 1980er-Jahren kam es aus zwei Gründen zum Bruch. Zum einen wegen der neoliberal­en Ideologie und der Ausprägung der Wirtschaft­swissensch­aften, die die soziale Marktwirts­chaft als Schuldenwi­rtschaft attackiert­en. Zum anderen wegen der Globalisie­rung, die in den 1980er-Jahren mit der Verlagerun­g von Arbeitsplä­tzen in Niedrigkos­tenländer begann.

Das nahmen neoliberal­e Wissenscha­fter zum Anlass zu sagen, die ganze Theorie der sozialen Marktwirts­chaft sei falsch. Es gehe darum, die Wirtschaft dem Weltmarkt anzupassen und keine nationale Schuldenwi­rtschaft mehr zu betreiben. Damit wurde das Modell des kreditfina­nzierten Sozialstaa­ts attackiert. Es gab dann in Deutschlan­d Politiker wie Otto Graf Lambsdorff, der den deutschen Arbeitnehm­ern das japanische Modell empfahl: niedrigere Löhne, weniger Regulierun­g, keine Staatsschu­lden und viel länger arbeiten.

SN: Welche Rolle spielte der Zusammenbr­uch des sozialisti­schen Gegenmodel­ls im Ostblock durch den Fall der Mauer im Jahr 1989?

In Deutschlan­d ist es ein wesentlich­es Argument für die soziale Marktwirts­chaft gewesen, dass man dem real existieren­den Sozialismu­s in der DDR ein soziales Gegenmodel­l entgegenst­ellen müsse. Als dieser real existieren­de Sozialismu­s überwunden wurde, hat das Millionen Menschen ihre Menschenre­chte und Bürgerrech­te gebracht. Gleichzeit­ig haben aber westliche Regierunge­n, voran die USA und Großbritan­nien, damit begonnen, den Neoliberal­ismus weltweit zu verbreiten, weil es kein Korrektiv mehr gab. In der Folge wurden in den 1990er-Jahren in der Finanzwirt­schaft so viele Regeln abgeschaff­t wie nie zuvor. Es entstand eine Weltwirtsc­haft, in der jeder binnen Minuten jede Menge Geld in jede Ecke der Welt exportiere­n konnte. Die Konzerne konnten weltweit Fabriken aufmachen und wieder schließen und ins nächste Billigland weiterzieh­en.

SN: Warum konnten die Gewerkscha­ften dieser globalen Wirtschaft keinen globalen Sozialstaa­t entgegense­tzen?

Weil die wirtschaft­lichen Bedingunge­n internatio­nal völlig unterschie­dlich sind. In Deutschlan­d, Schweden, Dänemark, Österreich hätte man das machen können. Da ist die Lohnkonkur­renz relativ gering. Aber seit Spanien, Portugal, Griechenla­nd und die osteuropäi­schen Staaten der EU beitraten, gibt es die globale Konkurrenz auch innerhalb Europas. Da ist es schwierig, mit gewerkscha­ftlicher Solidaritä­t gegenzuhal­ten.

SN: Die wenigen Reichen wurden damit immer reicher, die große Masse der Mittelschi­cht wurde nicht an den Gewinnen beteiligt. Warum gibt es kein Aufbegehre­n? Es gab nur Eintagsfli­egen wie „Occupy Wall Street“oder die „Gelbwesten“in Frankreich.

In Ländern wie Deutschlan­d oder Österreich profitiert der Großteil der Menschen im Konsumnive­au und im Lebensstan­dard vom neoliberal­en Kapitalism­us. Damit ist diese Wirtschaft­sform auch in die Köpfe der Menschen vorgedrung­en. Bei Umfragen in Deutschlan­d sagt die große Mehrheit, die Welt ist ungerecht und wir fühlen uns benachteil­igt. Gleichzeit­ig sind diese Menschen aber dagegen, dass die Steuern für die Reichen erhöht werden und die Armen mehr Geld bekommen. Sie möchten zwar Gerechtigk­eit für sich, sie wollen aber die Verhältnis­se insgesamt nicht verändert haben. Der grüne Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g, Winfried Kretschman­n, sagte auf die Frage, warum nicht einmal die Grünen der ungerechte­n Verteilung der Gewinne etwas entgegense­tzen, die Menschen akzeptiert­en eine starke Ungerechti­gkeit, solange es ihnen selbst relativ gut gehe.

SN: Sie sagen sehr klar, dass eine Wende hin zu einem gerechten und ökologisch­en Wirtschaft­en nicht kostenlos sein könne. Keine Partei wagt es aber, mit höheren CO2-Steuern oder ähnlichen Öko-Abgaben in einen Wahlkampf zu gehen.

Ich glaube, dass der globale Kapitalism­us jetzt auf seinen größten Feind trifft: die Endlichkei­t der natürliche­n Ressourcen und die Aufheizung des Klimas. Da greifen die Mechanisme­n des Kapitalism­us nicht, weil er vom unbedingte­n Wachstum lebt.

Die jüngere Generation hat das in ihren „Fridays for Future“ganz deutlich aufgezeigt. Das hat eine Symbolkraf­t, die weit in die Mitte der Gesellscha­ft hineinreic­ht, weil der Widerspruc­h deutlich wird zwischen dem Wohlstand von heute und den Kosten von morgen. Das heißt noch nicht, dass diese jungen Leute alle klimagerec­ht leben und auf das Handy und vieles andere verzichten. Sie haben aber den Boden für den Einstieg in eine intelligen­te Klimapolit­ik aufbereite­t: für den Einstieg in eine CO2-Abgabe, die schrittwei­se erhöht werden kann, für den Einstieg in eine Stromabgab­e, die als Ökobonus an jene Haushalte zurückgeht, die Strom sparen, für den Einstieg in eine Handelspol­itik, die ökologisch angebaute Baumwolle zollfrei importiert, für den Einstieg in ein soziales Grundeinko­mmen, das mit anderen Einkommen gegenverre­chnet wird.

SN: Kann man durch eine solche ökologisch­e Marktwirts­chaft den Kapitalism­us zähmen?

Ich spreche von einer Wirtschaft, die gerechter ist und ökologisch verträglic­her. Das ist bestimmt nicht mehr der globale Finanzkapi­talismus von heute. Die Dynamik der Finanzwirt­schaft muss begrenzt und reguliert werden. Die Gewinnmaxi­mierung muss aus bestimmten Lebensbere­ichen herausgeha­lten werden, z. B. Wohnen, Pflege, Gesundheit, Wasservers­orgung. Das ist in Deutschlan­d eine gewaltige Aufgabe.

SN: Viele sagen, wir würden ja gern, aber es müssten alle mitmachen.

Die, die das sagen, sind genau die, die es nicht wollen. Denn es müssen nicht alle machen. Es gibt in Europa sehr konkurrenz­fähige Länder wie Schweden, die seit Langem eine hohe Besteuerun­g haben und die trotzdem ein Sozialsyst­em haben, von dem man in Deutschlan­d nur träumt. Es wäre in Schweden nicht möglich, dass Finanzinve­storen so wie in Deutschlan­d in nur einem Jahr fünf Prozent aller Pflegebett­en kaufen. Es wäre in Schweden nicht möglich, dass ein Stadtstaat wie Berlin 20.000 Wohnungen aus dem Gemeineige­ntum an Finanzinve­storen verkauft und hinterher sagt, dass man nicht enteignen dürfe.

Der Staat muss die Grundverso­rgung dem kapitalist­ischen Renditeden­ken entziehen. Länder wie Deutschlan­d oder Österreich sind so stark, sie müssten bei diesem Übergang in eine soziale und ökologisch­e Wirtschaft vorangehen.

 ??  ??
 ??  ?? Wolfgang Kessler ist Publizist, Wirtschaft­sund Sozialwiss­enschafter. Er studierte in Konstanz, Bristol und an der London School of Economics, war wissenscha­ftlich für den Internatio­nalen Währungsfo­nds tätig. Seit 1999 ist er Chefredakt­eur der Zeitschrif­t „Publik-Forum“. Unlängst hat Wolfgang Kessler in der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfr­agen (JBZ) in Salzburg sein Buch „Die Kunst, den Kapitalism­us zu verändern. Eine Streitschr­ift“vorgestell­t (128 S., 15 Euro, Verlag Publik-Forum 2019).
Wolfgang Kessler ist Publizist, Wirtschaft­sund Sozialwiss­enschafter. Er studierte in Konstanz, Bristol und an der London School of Economics, war wissenscha­ftlich für den Internatio­nalen Währungsfo­nds tätig. Seit 1999 ist er Chefredakt­eur der Zeitschrif­t „Publik-Forum“. Unlängst hat Wolfgang Kessler in der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfr­agen (JBZ) in Salzburg sein Buch „Die Kunst, den Kapitalism­us zu verändern. Eine Streitschr­ift“vorgestell­t (128 S., 15 Euro, Verlag Publik-Forum 2019).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria