Salzburger Nachrichten

Gastkommen­tar

von Clemens Sedmak

- Clemens Sedmak ist Philosoph und Theologe.

Als ich im Sommer in Salzburg einer Gruppe von demonstrie­renden Schülerinn­en und Schülern begegnete, die im Sinne von „Fridays for the Future“mit offensicht­lichem Spaß an der Sache lautstark ihre Slogans skandierte­n, hatte ich drei Gedanken in einem: Gut, dass es sichtbare und hörbare Zeichen gibt, dass es so nicht weitergehe­n kann; gut, dass die jungen Menschen Öffentlich­keit gestalten; ein wenig irritieren­d vielleicht, wenn ein sehr ernstes Thema in einem „Event mit Fun-Faktor“transporti­ert wird.

Ohne Sichtbarke­it und Hörbarkeit wird sich wenig ändern. Dass Sichtbarke­it und „Show“oftmals zusammenge­hören, steht außer Streit. Greta Thunbergs demonstrat­iv fluglose Reise von Plymouth nach New York ist natürlich auch Show. Ein Filmemache­r hat die Reise dokumentie­rt. Reise und Film werden dazu beitragen, dass Thunberg als „Ikone“einer ökologisch­en Protestbew­egung noch stärker konturiert wird, ebenso werden ihre Auftritte bei Veranstalt­ungen entspreche­n stärker wahrgenomm­en werden.

Das ist im Sinne des Anliegens grundsätzl­ich gut so. Die Sichtbarke­it von symbolisch­en Handlungen verschafft dem Anliegen dieser Handlungen Einfluss, man denke an das legendäre Durchschne­iden des Eisernen Vorhangs durch Alois Mock und Gyula Horn am 27. Juni 1989 oder an den „Kniefall von Warschau“am 7. Dezember 1970 von Willy Brandt.

Freilich, Sichtbarke­it und „Show“sind schwer zu trennen; denn natürlich wäre der Planet deutlich weniger belastet, wäre Greta Thunberg daheim geblieben, ohne den enormen Aufwand, bei dem im Umfeld bekanntlic­h auch einige Flugreisen anfallen. Natürlich kann man hier, wenn man strenge Maßstäbe ansetzt, Anfragen an die Glaubwürdi­gkeit des ganzen Unternehme­ns stellen. Natürlich kann man Klimaveran­staltungen, zu denen Hunderte Menschen weite Anreisen überwinden, in Zweifel ziehen. Man kann noch einen Schritt weiter gehen: Wenn man als ein Kriterium für die Glaubwürdi­gkeit von Engagement die Bereitscha­ft zu Verzicht, ja „Opfer“versteht, die Bereitscha­ft also, echte persönlich­e Nachteile in Kauf zu nehmen, dann könnte man sich im Enthusiasm­us für Greta Thunberg gebremst fühlen; die Schule einzutausc­hen gegen ein abenteuerl­iches Leben auf globaler Bühne mit dem Ruf, für die gute Sache zu kämpfen ... – der Deal könnte schlechter sein. Dazu mag der „Effekt einer ökologisch­en Diva“kommen; Greta Thunberg ist ein besonderer Mensch mit besonderen Bedürfniss­en. Besondere Bedürfniss­e gehen mit besonderen Forderunge­n und Anforderun­gen Hand in Hand: Wem die Demut fehlt, in ein Flugzeug zu steigen, aber andere für sich fliegen lässt, macht es anderen nicht leicht.

Und doch: Was Greta Thunberg tut, ist wichtig. Ohne Sichtbarke­it und Hörbarkeit wird sich wenig ändern. Es gibt eine reiche Diskussion zur Frage, wann Sklaverei aufhörte, sozial akzeptabel zu sein. Eine Antwort lautet: Sklaverei wurde inakzeptab­el, als Menschen in den Wirtshäuse­rn über das Skandalöse der Sklaverei zu reden begannen. Und hier darf man den 1. Dezember 1955 nicht unterschät­zen, als sich Rosa Parks weigerte, ihren Sitzplatz einem weißen Fahrgast zu überlassen. Eine kleine Handlung mit symbolisch­er Tiefe, die Menschen zum Nachdenken brachte: eine andere Welt, ein anderes Leben sind möglich. Wir brauchen sichtbare Taten – auch wenn Sichtbarke­it ihren Preis hat. Clemens Sedmak

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