Ferdinand Morawec
Ü ber den Krieg könne man nicht schreiben, davon ist Ferdinand Morawec überzeugt. Er hat es dann doch versucht, das Thema ließ sich schwerlich vermeiden, als er für seine Kinder und deren Kinder seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben hat. Morawec ist Wiener, Jahrgang 1923. Wie viele aus dieser Generation ist er an der Ostfront durch die Hölle gegangen, und wer in seinem Bericht blättert, wird sich nicht gegen die Einsicht wehren, dass Krieg, von einem Tag auf den anderen, alles und alle verändert, für immer. Damals, vor 80 Jahren, ging es natürlich gar nicht über Nacht, es war ein schleichender Prozess, Österreich ein Teil Hitlerdeutschlands. Der Austrofaschismus hatte sich als Eilzug in die Nazidiktatur erwiesen, militärische Gewalt galt als ein Mittel der Politik – ein zweiter Krieg schien den meisten eine zwingende Folge des ersten zu sein. Die „Schandverträge von Versailles“waren nach dem Sieg der Westmächte die ideale Munition für Hetzer. Dem Hitler sei auch er auf den Leim gegangen, sagt Morawec heute. Als 14-Jähriger war er wegen angeblicher staatsfeindlicher Äußerungen mit einem Studienverbot belegt worden – das empört ihn immer noch und man ahnt, dass diese Kollision mit der Machtwillkür im Ständestaat sein Bild von der „schwarzen Diktatur“mitgeprägt hat. Ferdinand Morawec hat sich einmal eher widerwillig bereit erklärt, als Zeitzeuge vor einer Schulklasse zu sprechen, doch dann landete er wieder bei der Frage: Wie findet man Worte, die annähernd den Horror beschreiben? Das Grauen etwa nach einem russischen Angriff: „Sie stürmten heran, Massen, auch Frauen waren dabei. Es war fürchterlich. Mehr wie schießen konnten wir nicht. Dann wurde es still. Man hörte nur ihr Wehklagen.“
Nach einiger Zeit erhob sich ein russischer Soldat, ohne Gewehr, daran erinnert sich Morawec: „Er versorgte einen Verletzten. Ich hoffte, dass niemand von uns auf ihn schießen würde. Immer mehr Russen standen auf und schleppten die Verwundeten auf einen Hügel hinauf, es dauerte Stunden, bis alle versorgt waren, in dieser Zeit fiel kein einziger Schuss.“Wie macht man das Jugendlichen klar, fragt er sich: Dass man an der Front nicht für den Hitler, sondern Tag für Tag ums nackte Überleben gekämpft hat, das eigene und das der Kameraden; dass man dort am wenigsten über die Gesamtlage im Nazi-Reich gewusst hat.
Heimgekehrt sind damals schwer traumatisierte Menschen, egal auf welcher Seite sie standen. Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung der damit verbundenen Probleme waren nicht vorgesehen, und vielfach auch nicht erwünscht. Einsicht und Wissen um die seelischen Verwüstungen, die ein Kriegseinsatz mit sich bringt, sind erst nach und nach gewachsen. Posttraumatische Belastungsstörung? Weithin unbekannt, damals.
Den Krieg schüttelt man danach nicht einfach aus den Kleidern, der Krieg bleibt und viele lässt er verstummen. „Ich habe diese Zeit verdrängt, um selbst damit zurechtzukommen“, sagt Morawec.
Für ihn hat der Krieg Mitte Oktober 1942 begonnen, er kämpft in einem Panzergrenadierregiment an der Ostfront, ehe er im Oktober 1943 vor Stalingrad in Gefangenschaft gerät. Das bedeutet: Kälte, Hunger, Durst. Ungewissheit. Hinter dem Ural, wie er sagt, bei Usbeken, Tataren, Kirgisen, Kasachen. Erst viereinhalb Jahre später kehrt er zurück, im zerbombten Wien wartet dann immerhin das größte Glück auf ihn: Marianne, die Frau, die er heiraten wird. Und die ihm hilft, die Wunden zu heilen. „Übrig geblieben“sei er, sagt Morawec, frei von Hass, erfüllt vom Glück einer großen Familie.