Walter Chmielewski
Der Sohn des Teufels: So nennt sich der Münchner Pensionist Walter Chmielewski – und so lautet auch der Titel eines Buches, in dem er über seinen Vater Carl Chmielewski berichtet, der als Kommandant des Konzentrationslagers Gusen (OÖ) Häftlinge eigenhändig erschlagen hat. Des „Teufels“Leitspruch als Lagerkommandant lautete: „Ein guter Häftling hält es nicht länger als drei bis vier Monate im KZ aus. Wer es länger aushält, ist ein Gauner.“
An manches aus seiner Kindheit erinnert sich der 90-Jährige noch ziemlich genau. Etwa an die Streitereien zu Hause in München. Der Großvater war ein überzeugter Sozialdemokrat, der seinen Schwiegersohn in dessen SS-Uniform nicht in die Wohnung ließ. Und er erinnert sich auch an vieles von dem, was er Jahre später im KZ Gusen sah und hörte. Einmal war er mit dem Vater im Lager unterwegs. „Da war ein Jude, der gebeugt dastand. Offenbar, weil er sich übergeben musste. Daraufhin sagte der Vater zum Wachmann: ,Schauen Sie, dass Sie ihn wieder an den Arbeitsplatz kriegen!‘“Dann habe der Wachmann dem Häftling den Gewehrkolben ins Kreuz gestoßen, der daraufhin zusammenbrach. Zwei Capos hätten den Mann weggeschleift, „wahrscheinlich Richtung Krematorium. Ich war damals ganz durcheinander, denn so kannte ich den Vater nicht.“Als er den Vater zur Rede stellte, habe dieser geantwortet, es handle sich bei den Häftlingen nur um arbeitsscheue „Volksschädlinge“.
Das meiste bekam Walter Chmielewski nur von der Ferne mit. Er hörte die Schüsse, sah den Rauch aufsteigen, hörte die Schreie von Häftlingen, die in einer Baracke mit dem Kopf nach unten aufgehängt worden waren. „Ich hab gewusst, dass da drin Fürchterliches passierte. Nur ist komischerweise nichts nach außen gedrungen.“Zu Hause, als Vater und Ehemann, sei Carl Chmielewski nie grausam gewesen. „Er war ein ganz normaler Ehemann und Vater. Ich habe ihn nie betrunken gesehen. In Gesellschaft war er ein charmanter Plauderer. Aber in dem Moment, als er weg war und die Uniform anhatte, ist er scheinbar zur Bestie geworden. Er hatte zwei Gesichter.“
Die Chmielewskis lebten im SS-Bereich des Lagers. Dort durften Sohn und Mutter auch bleiben, als der Vater in ein Lager nach Holland abkommandiert wurde.
Nach dem Krieg hatte Walter Chmielewski die grausige Aufgabe, dabei zu helfen, die Leichen der Häftlinge, die praktisch nur aus Haut und Knochen bestanden, zu beerdigen. „Körperlich war das kein Problem, aber psychisch war es eine Katastrophe.“Lange Zeit habe er nachher Albträume gehabt. Wenn er heute mit der Hand die Haut auf dem Schlüsselbein bewege, dann „ist das Bild des Massengrabs sofort wieder da“.
Sein Vater war noch während des Kriegs von einem SS-Gericht wegen der Unterschlagung von Wertgegenständen und der Vergewaltigung weiblicher Häftlinge zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Das Kriegsende erlebte er als Häftling in einem Außenlager des KZ Dachau. Dann tauchte er unter falschem Namen unter, wurde später enttarnt und verurteilt.
Der Sohn wollte von ihm da längst nichts mehr wissen. Nur einmal noch, Ende der 70er-Jahre, ließ er sich von einer Freundin
des Vaters überreden, ihn doch noch einmal zu besuchen. Es wurde ein kühles Wiedersehen. „Für mich war das ein völlig fremder Mensch.“Der Vater habe kein Wort über die Vergangenheit verloren. „Ich fragte nichts, er sagte nichts, es war bla, bla, bla. Ich trank meinen Kaffee, bedankte mich und bin heimgefahren.“Auf die Beerdigung in Bernau am Chiemsee im Jahr 1991 fuhr er „mit Widerwillen“. Walter Chmielewski ist einer der wenigen Söhne von NS-Tätern, die offen über die Verbrechen ihrer Väter sprechen. Derzeit arbeitet er an einem neuen Buch. Der Titel: „Mein Leben als der Sohn des Teufels vom KZ Gusen-Mauthausen“.