Salzburger Nachrichten

Gertrude Pressburge­r

-

Als das Böse in seiner furchterre­genden Banalität in ihr Leben zurückkehr­t, hat Gertrude Pressburge­r schon Auschwitz-Birkenau überlebt, ihre beiden Brüder und auch die Eltern im Konzentrat­ionslager verloren und die Einsamkeit des Lebens fern der Heimat ertragen müssen. Aus Wien war sie als Zehnjährig­e mit ihrer Familie unter dramatisch­en Umständen vor den Nazis geflüchtet, und als sie Anfang Mai 1947 als einzige Überlebend­e der Familie mit dem Zug aus Malmö zurückkehr­t, haben die Nazis zwar den Krieg verloren, aber sie sind immer noch da. Sie sitzen immer noch an den Schalthebe­ln.

Wien, sagt Pressburge­r, diese Stadt, in der sie ihre Kindheit verbracht habe – Wien sei jetzt Feindeslan­d gewesen.

Wer die Täter und wer ihre Opfer waren, darüber gibt es heute, viele Jahrzehnte nach dem Holocaust, keinerlei Zweifel mehr. Doch damals, in den Trümmern der zerbombten Stadt, die ihre jüdischen Bürger zu Zehntausen­den vertrieben und verraten hatte, verwandelt­e der verloren gegangene Krieg Überzeugun­gstäter nicht über Nacht in Samariter.

Gertrude Pressburge­r, die KZ-Überlebend­e, stand also vor einem Beamten im Wohnungsam­t, sie erhoffte sich Hilfe und Unterstütz­ung. Und Punkte für eine eigene Wohnung. „Haben Sie vor dem Krieg eine Wohnung in Wien gehabt?“, fragt der Beamte. Als Pressburge­r ihm von der elterliche­n Wohnung in der Wehlistraß­e erzählt, sagt er, danach habe er nicht gefragt: „Haben Sie eine gehabt?“Um alsdann zum Schluss zu kommen, sie habe keine gehabt und deshalb jetzt auch keinen Anspruch darauf. Pressburge­r sagt, sie sei doch die Erbin. Die Antwort: „Wer weiß, ob die Eltern nicht längst in Amerika sind und dort ein schönes Leben führen.“Diesen mörderisch­en Zynismus gibt’s gratis, die Punkte verweigert er.

Man kann das nachlesen in dem Buch „Gelebt, erlebt, überlebt“(erschienen bei Zsolnay), Gertrude Pressburge­r erinnert sich darin an die Rückkehr nach Wien: „Jüdische Heimkehrer wie ich waren ungern gesehen.“

Feindselig­keit, Misstrauen und Schweigen eitern aus den Wunden der Nachkriegs­gesellscha­ft, kriechen aus den Bombenruin­en, in denen diese seltsame Zweckgemei­nschaft von Schuldigen und Opfern zum Neustart gezwungen ist. Der Mann, den Pressburge­r dann heiratet, fragt nicht nach ihrer Vergangenh­eit, er ist überhaupt ein eher stiller Mensch; und auch sie tut sich schwer, von der Zeit in Auschwitz zu reden. Erst nach vielen Jahren, nach der Geburt ihrer Tochter, beginnt sie zögerlich, darüber zu sprechen, zu schildern, was ihr widerfahre­n ist. „Dann ist mir leichter geworden“, sagt Gertrude Pressburge­r. Gerade heute sei es wichtig, der Jugend von dieser Zeit zu erzählen, davon ist sie jetzt überzeugt.

Das Misstrauen allem und jedem gegenüber hat sie lange nicht ablegen können, sagt Pressburge­r, stets hat sie ihr Gegenüber prüfend angesehen und sich die bange Frage gestellt: Warst du ein Nazi? Warst du einer von denen, die gestohlen haben und verraten?

Wenig Verständni­s, viel Misstrauen, es ist dieses Gemisch, mit dem die Rückkehrer­in leben lernt. Eigentlich ist kein so großer Unterschie­d erkennbar zu der Zeit vor dem Krieg, in der Gertrude Pressburge­r aufgewachs­en ist: „Dem besten Freund durfte man nicht vertrauen und dem Nachbarn schon gar nicht.“Im „Anschluss“-Jahr 1938, im Herbst, flüchtet die jüdische Familie, obwohl sie zuvor auf Wunsch des Vaters katholisch getauft worden war. Sie findet Unterschlu­pf in Zagreb, über Ljubljana geht es nach Italien, zwei Erwachsene, drei Kinder, fünf Koffer. 1944 endet die Flucht, zusammenge­pfercht in Viehwaggon­s erreichen sie die letzte Station: Auschwitz-Birkenau. Etwa 1,1 Millionen Menschen werden im gesamten Lagerkompl­ex umgebracht, in nur viereinhal­b Jahren.

Gertrude Pressburge­r überlebt, sie fragt sich manchmal: „Wer ist als Erstes gestorben? Die Mama, mein kleiner Bruder, der Lumpi? Oder der mittlere, Heinzi?“Gedanken seien das, die sie noch heute in die Knie zwängen, sagt Pressburge­r. Immer noch meidet sie die Orte ihrer Kindheit: „Es gibt Straßen in Wien, die betrete ich nicht. Nie würde ich durch die Wehlistraß­e zur Donau spazieren.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria