Suche nach dem Alm-Idyll
Die Alm steht heute für vieles: Gutes Essen, Ruhe, Bewegung. Im Tourismus will man das vermehrt nutzen.
STUBAI. Erst geht die Kuh, dann geht der Gast – wen soll man da noch melken? Dieses Szenarium der entvölkerten Almen hatte vor 35 Jahren der Schweizer Tourismusforscher Jost Krippendorf vor Augen. Auf den Almen Westösterreichs hat es sich jedoch ins Gegenteil verkehrt. Freizeitmensch, Vieh und Raubtier geraten sich zunehmend ins Gehege. „Trotzdem gibt es auf Almen vergleichsweise wenig Nutzungskonflikte“, sagt Theresa Leitner vom Management Center Innsbruck (MCI). So wendet man sich in Zeiten von touristisch überfüllten Städten mit ruhigem Gewissen den Almen zu. Nachdem die Salzburger Land Tourismus Gesellschaft (SLTG) schon seit einem Vierteljahrhundert zum jährlichen „Bauernherbst“aufruft und auch den „Almsommer“zelebriert, steigt nun auch Tirol intensiv ins Thema ein. Hintergrund dafür ist die neue Lebensraum Tirol Holding. Diese von Josef Margreiter, dem langjährigen Leiter der Tirol Werbung (TW), geführte Gesellschaft vereint Landwirtschaft (Agrar Marketing Tirol), Betriebsansiedlung (Standortagentur) und Tourismus (TW) unter einem Dach. „Unsere Aufgabe ist, das Leistungsprofil Tirols zu schärfen. Und das Credo der Marke Tirol ist die Natur“, sagt Margreiter. Der „Sehnsuchtsort Alm“biete sich für die Verschränkung von Landwirtschaft und Tourismus besonders an. Auf den acht wichtigsten Märkten hat die Tirol Werbung ihre internationale Kampagne heuer unter den Titel Almleben gestellt – mit der Almkulinarik als Speerspitze.
Die Nachfrage habe sich diesen Sommer durchaus erfreulich entwickelt, sagt urlaub.tirol-Leiterin Ingrid Schneider. Bilder vom enthaupteten Wolf oder gerissenen Schafen hätten keine Unruhe erzeugt. Allein die Antistaumaßnahmen hätten Gäste derart verunsichert, dass man kurzfristig von Rückfragen überrollt worden sei.
„Die gepflegte Kulturlandschaft Alm wirkt abwechslungsreich, offen und beruhigend. Der Gast erlebt hier Natur belebt und zivilisiert, also angstfrei“, sagt Tourismusforscherin Leitner. Dass dieses Gästebild auch negative Schlagzeilen überdauert, weiß man im Land Salzburg längst. „Der Bauernherbst ist heute unsere bekannteste Produktmarke. Die Hälfte unserer Gäste kennt ihn“, sagt SLTG-Sprecher Gernot Hörwertner. In der Sommersaison besuche bereits jeder fünfte Gast eine Brauchtumsveranstaltung. 2018 wurden in den Bauernherbst-Monaten September und Oktober erstmals über eine Million Gäste im Land Salzburg gezählt. „Damit haben wir die Ankünfte seit dem ersten Bauernherbst 1996 mehr als verdoppelt“, unterstreicht Hörwertner die Bedeutung für die Saisonverlängerung. 14.000 aktive Einheimische beleben den Bauernherbst mit Veranstaltungen und liefern die Festkultur zur Tourismusmarke. Im Schnitt gibt der Bauernherbst-Gast rund 160 Euro pro Tag aus. Auftakt für die heuer 2000 Veranstaltungen unter dem Motto „Von Wurzeln und Wipfeln“ist heute, Samstag, in Saalfelden.
Tourismusforscher Krippendorf aber lag mit seiner eingangs angeführten Vision nicht ganz falsch. MCI-Forscherin Leitner bestätigt, dass etwa im Piemont und in Skandinavien die extensive Viehwirtschaft aus den Bergen verschwinde und in Österreich nach dem EUBeitritt die Almflächen rückläufig gewesen seien. Stabilisierend wirke nun die wachsende Mutterkuhhaltung. Mit den bekannten Gefahren, speziell für Wanderer mit Hunden. Doch es sei insgesamt auch die Stärke des Tourismus, welche die Almwirtschaft im zentralen Alpenraum absichere. Heinz Kröll, der Seniorchef der Erlebnissennerei Zillertal Milch, bringt es auf einen Nenner: „Wichtigster Beitrag des Tourismus ist es, die heimischen Produkte zu kaufen. Dann lösen sich auch die zwischenmenschlichen Probleme.“
In Tirol gibt es zusätzlich einen unmittelbaren Beitrag: Nach dem „Pinnistal-Urteil“(2014 wurde eine deutsche Urlauberin bei einer Kuhattacke tödlich verletzt) wurde die Tiroler Wegeversicherung ausgeweitet, mit dem Ziel, den Almbauern Rechtssicherheit zu schaffen und so die Almen für Einheimische und Gäste weiterhin frei nutzbar zu halten. Die gesamte Versicherung wird seit Bestehen vom Tourismusförderungsfonds getragen.