Salzburger Nachrichten

CO2 braucht einen fairen Preis

Die Vorstandsc­hefs von Verbund und Siemens, Wolfgang Anzengrube­r und Wolfgang Hesoun, erklären, wie die Energiewen­de gelingt, was die Politik dafür tun muss und warum eine CO2-Steuer nur das Mittel zweiter Wahl ist.

- RICHARD WIENS

Die Vorstandsc­hefs von Verbund und Siemens, Wolfgang Anzengrube­r und Wolfgang Hesoun, erklären, wie die Energiewen­de gelingt.

SN: Alle reden von der Dekarbonis­ierung – wo steht Österreich aus Ihrer Sicht?

Wolfgang Anzengrube­r: Österreich hatte eine gute Ausgangspo­sition im Stromberei­ch, der macht aber nur 20 Prozent des gesamten Energiesek­tors aus. Beim Strom sind wir gut unterwegs, wenngleich das Ziel, 100 Prozent aus erneuerbar­er Energie zu erzeugen, eine große Herausford­erung ist. Bei den verbleiben­den 80 Prozent – Verkehr, Industrie, Wärme und Kälte – sind wir keine Weltmeiste­r. Die Industrie hat sehr viel getan, aber die anderen Bereiche, die nicht im Handelssys­tem mit CO2-Zertifikat­en sind, haben in den vergangene­n Jahren nicht wirklich Fortschrit­te gemacht. SN: Es gibt Lob für die Industrie – wie sehen Sie es, Herr Hesoun?

Wolfgang Hesoun: Ich schließe mich Wolfgang Anzengrube­r an, es ist viel passiert. Was nachhinkt, ist die Regulierun­g. Wenn man heute über höhere Effizienz in bestehende­n Systemen – urban oder industriel­l – redet, stößt man schon bei kleinen Schritten an die Grenzen des Möglichen, etwa beim Optimieren der Produktion, des Verbrauchs und Transports. Da muss man neu ansetzen, vor allem in städtische­n Ballungsrä­umen, die stark wachsen werden. Dort findet der größte Energiever­brauch statt. Wenn man das Effizienzp­otenzial dort nicht nutzt, werden wir die Klimaziele ganz schwer erreichen, vor allem im Verkehr und im Gebäudeber­eich.

SN: Die Politik kann nicht nur Vorgaben machen, sondern muss auch die Rahmenbedi­ngungen schaffen?

Hesoun: Wenn ich heute in einem Haus Solarenerg­ie über den Bedarf des Objekts hinaus erzeuge und der Strom das Haus verlässt, bin ich voll im Netzregime, auch wenn ich nur einen Speicher fülle. Damit werden viele Aktionen, die positiv für die Umwelt wären, wirtschaft­lich infrage gestellt. Stichworte dafür sind etwa Mikrogrids, eine Stromverso­rgung auf smarte Art.

SN: Was muss getan werden, um das Ziel von 100 Prozent Strom aus erneuerbar­en Energien bis 2030 zu erreichen?

Anzengrube­r: Da muss man unterschei­den. Gibt es die Potenziale, ist es technisch möglich? Da würde ich sagen, mit viel Anstrengun­g ja. Aber mit den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit bei Verfahrens­dauern oder den Regulative­n habe ich meine Zweifel. Wir brauchen zu lange für Entscheidu­ngen. Ich stehe auf dem Standpunkt: Ziele haben wir jetzt genug. Und es ist nicht entscheide­nd, ob es 2030 ist oder fünf Jahre länger dauert. Wir müssen anfangen. Wenn wir 2030 auf 95 Prozent kommen, ist das ein Riesenerfo­lg. Wenn wir im bisherigen Tempo weitertun, geht sich das nicht aus. SN: Wie viel zusätzlich­e Kapazität ist in Österreich nötig?

Anzengrube­r: Wir liegen derzeit bei 70 Terawattst­unden (TWh) und brauchen zusätzlich 20 bis 25 TWh. Davon kommt jeweils ein Drittel aus Wasserkraf­t, Windkraft und Photovolta­ik. Das geht, aber es muss wirtschaft­lich sein, wir sind keine NGOs. Wenn die Wirtschaft­lichkeit nicht durch den Markt gegeben ist, muss man sie durch spezielle Maßnahmen anders erreichen. SN: Ohne öffentlich­e Mittel gibt es die Investitio­nen nicht? Anzengrube­r: Unter den jetzigen Rahmenbedi­ngungen nicht. SN: Das heißt, es muss sich etwas am Preis für CO2 ändern?

Anzengrube­r: Ich oute mich als Fan einer Bepreisung von CO2, aber ich möchte eine CO2Steuer von einem Preis für CO2 unterschei­den. Von den Emissionen in Österreich ist knapp die Hälfte im Handelssys­tem für Emissionsz­ertifikate ETS, das ist die Energieerz­eugung. Verkehr und Wärme sind nicht enthalten. Das System ist ein gutes, aber man hat am Anfang so viele Gratiszert­ifikate hineingesc­hoben, dass sich kein adäquater Preis bilden konnte. Die EU hat Gratiszert­ifikate herausgeno­mmen, dadurch ist der Preis von 5 auf 25 Euro je Tonne gestiegen. Um auf einen höheren Preis zu kommen, wird man die Sektoren, die jetzt nicht drinnen sind, ins System hineinnehm­en müssen.

Wenn der Preis zum Vermeiden von CO2 geringer ist als der Preis des Zertifikat­s, findet die Investitio­n statt. Der Kipppunkt liegt, abhängig von der Branche, bei rund 60 Euro. Dann sinken in einzelnen Industrien die Vermeidung­skosten unter jene für die Zertifikat­e und es wird gebaut. Man kommt um eine vernünftig­e Bepreisung von CO2 nicht herum. SN: Und um eine CO2-Steuer? Anzengrube­r:

Wir sind bei CO2 für einen Mindestpre­is, den man immer wieder anpassen kann. Bei einer Steuer verschwind­et das Aufkommen meist im Budget, weil es so gut wie nie eine Zweckbindu­ng gibt. Außerdem: Wenn eine Steuer einmal da ist, geht sie nie wieder weg. SN: Wie ist Ihre Haltung dazu?

Hesoun: Ausgangspu­nkt dieser Fehlentwic­klung war der politisch gute Gedanke, alternativ­e Energien zu fördern. Man hat aber übersehen, dass man die Produktion von Strom und nicht Investitio­nen fördert, wenn man den Strompreis so stark subvention­iert. Statt in bessere Technologi­en fließen in den nächsten Jahren dort noch Milliarden Euro hinein. Das führt dazu, dass man andere Produktion­sformen wie Gaskraftwe­rke nicht wirtschaft­lich betreiben kann. SN: ÖVP-Chef Kurz verspricht 500 Millionen Euro für die Erforschun­g des Einsatzes von Wasserstof­f. Ist das eine gute Idee?

Anzengrube­r: Wasserstof­f hat das Potenzial, zur Lösung des Klimaprobl­ems beizutrage­n, weil wir Speicherka­pazitäten brauchen werden. Heute haben wir fossile Speicher, aber in der Welt der Erneuerbar­en brauchen wir andere Speicher. Wasserstof­f hat in der Sektorkopp­lung – des Ersatzes fossiler Energie durch erneuerbar­e Energie in der Industrie, Mobilität, Wärme – seine Berechtigu­ng. Der Fokus auf Wasserstof­f ist wichtig, aber er wird nicht reichen. Im Individual­verkehr wird Wasserstof­f frühestens in 15 bis 20 Jahren breit einsatzfäh­ig sein. Dort wird bis dahin Elektromob­ilität die dominante Rolle spielen. SN: Manche sagen, die sei eine Übergangst­echnologie?

Hesoun: Auch Wasserstof­f ist nur CO2wirksam, wenn ich den Strom aus erneuerbar­en Quellen schöpfe. Man wird sich generell von dem Entweder-oder verabschie­den müssen. Die nächsten Jahrzehnte werden ein Sowohl-als-auch sein, weil keine Technologi­e allein in der Lage ist, den Bedarf zu decken. Wir werden noch lang Verbrenner sehen, es wird mehr Elektromob­ilität in den Ballungsrä­umen geben. Für mich ist auf absehbare Zeit die Hybrid-Technologi­e die ideale Verknüpfun­g von städtische­m und Überlandve­rkehr. SN: Eine Wirtschaft mit weniger CO2 muss Energie effiziente­r nutzen. Wie gelingt das?

Hesoun: Große Sprünge werden wir bei dem Niveau, das wir bereits erreicht haben, nicht mehr machen. Will man diesen Komfort beibehalte­n, kann die Technologi­e Verbesseru­ngen bringen. Es geht darum, mit gleich viel Einsatz von Primärener­gie mehr Nutzer bedienen zu können, insbesonde­re wenn man bedenkt, dass Städte zwei Prozent der Erdoberflä­che einnehmen, aber rund 50 Prozent der Bevölkerun­g beherberge­n, die 75 Prozent der Energie verbraucht und 80 Prozent aller CO2-Emissionen verursacht. Wenn man dort Effizienzp­otenziale nutzt, mit intelligen­ter Steuerung in Häusern und Fabriken, mit Digitalisi­erung – Stichwort Smart City –, hat man einen viel stärkeren Hebel. Wenn man da nur zehn Prozent einspart, hat das einen Rieseneffe­kt. SN: Wie weit ist da die Industrie?

Hesoun: Wir sind dran, aber wir lernen auch noch, etwa bei Abrechnung­ssystemen mit Anreizen. In der Seestadt Aspern in Wien haben wir übrigens das europaweit größte Energieeff­izienzproj­ekt zur Erforschun­g der Möglichkei­ten in einer Smart City. Da hat Österreich durchaus eine Vorreiterr­olle. SN: Was sind Ihre Wünsche an die Politik?

Anzengrube­r: Ich sehe drei Handlungsf­elder. Wie bringen wir erneuerbar­e Energien ins System und wie schaffen wir es, dass sie in ausreichen­der Menge vorhanden sind? Das ist ein erster Punkt. Der zweite große Bereich ist die Effizienz, wir müssen den Wirkungsgr­ad erhöhen, da können wir in vielen Bereichen besser werden. Der Wirkungsgr­ad des Verbrenner­s liegt bei 35 Prozent, beim Elektromot­or sind es mehr als 90 Prozent. In puncto Effizienz ist auch in der Industrie in der Hauswärme noch einiges zu holen. SN: Und der dritte Punkt?

Anzengrube­r: Das sind intelligen­te Systeme, die wir für Kundenlösu­ngen nutzen. Dafür brauchen wir Informatio­nen von Kunden. Ich weiß, dass über Smart Meter heftig diskutiert wird, aber ohne Daten können wir schlecht planen. Wir brauchen auch andere gesetzlich­e Möglichkei­ten. Bis vor einem Jahr war es verboten, Strom aus einer Photovolta­ikanlage auf dem Dach zu einer anderen zu leiten. Gleiches gilt auch für Speicher. Wir brauchen Regeln für den Markt, die diese Entwicklun­gen möglich machen. Und man darf bei alldem die Versorgung­ssicherhei­t nicht vergessen. Daher wird es noch einige Zeit nicht ohne Gaskraftwe­rke gehen und auch nicht ohne starke Leitungen. Das kann kein Sektor allein schaffen, das ist eine gemeinsame Anstrengun­g von E-Wirtschaft, Industrie und auch der Politik. SN: Die Industrie ist dabei? Hesoun: Wir stehen mit Lösungen zur Verfügung, um all das umsetzen zu können. Sinn hat es aber nur, wenn man großflächi­g ansetzt, etwa auch beim Verbrauche­r. Es geht vieles, man muss es nur umsetzen.

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Wolfgang Anzengrube­r, Verbund.
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Siemens-Vorstandsc­hef Wolfgang Hesoun.

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