Der Kampf um Stadt und Land
Warum sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz gern als Kind des Waldviertels darstellt und SPÖ-Chefin Rendi-Wagner als Kind des Wiener Gemeindebaus.
WIEN. Sebastian Kurz ist Wiener. Er wuchs in Meidling auf, ging dort zur Schule und wohnt noch heute in dem Bezirk. Dennoch wird er bei keiner Gelegenheit müde, auf seine Waldviertler Wurzeln hinzuweisen, zu betonen, dass er auch ein niederösterreichisches Landkind sei. Er erzählt von seiner Großmutter im kleinen Zogelsdorf, bei der er an Wochenenden und im Sommer war, und wie ihn das alles geprägt hat.
Pamela Rendi-Wagner wiederum, längst in der Wiener Innenstadt beheimatet, verweist immer wieder darauf, dass sie ihre ersten Lebensjahre im Gemeindebau verbracht hat. Auch auf ihrer Homepage beschreibt sie, wie sie in der Per-Albin-Hansson-Siedlung als Tochter einer jungen, alleinerziehenden Mutter oft das erste Kind im Kindergarten war und das letzte, das abgeholt wurde. Und wie sie später dank Bruno Kreisky studieren und Karriere machen konnte.
Was in den Lebensgeschichten der Spitzenkandidaten von ÖVP und SPÖ hervorgestrichen wird, ist Programm: Kurz und Rendi-Wagner wollen bei ihren Wählern punkten. Kurz vor allem auf dem Land, Rendi-Wagner vor allem in den Städten, allen voran in Wien – dort, wo sie jeweils die meisten Stimmen holen.
Bei der EU-Wahl im Mai etwa erhielt die ÖVP 35,6 Prozent. Hätte man nur in kleineren Gemeinden und Dörfern gewählt, wäre das Ergebnis der ÖVP um rund zehn Prozentpunkte besser gewesen, wie Meinungsforscher Christoph Hofinger von Sora sagt. Dass Sebastian Kurz die meisten Kilometer auf dem Land macht, schlägt sich auch im Wahlprogramm nieder: Er verspricht Landarztstipendien, mehr Geld für die Regionen, bessere Kinderbetreuung. Zugleich setzt es Seitenhiebe auf das rot-grüne Wien.
Dass die SPÖ verstärkt auf den urbanen Raum setzt, wird ebenfalls im Wahlprogramm sichtbar, vor allem beim Thema „leistbares Wohnen“: Da wird gegen Leerstände argumentiert oder gefordert, dass die Maklergebühren künftig der Vermieter und nicht der Mieter tragen soll. Bei der Nationalratswahl 2017 konnte die SPÖ vor allem wegen der überdurchschnittlich guten Ergebnisse in Wien oder anderen Städten (Graz, Linz oder Innsbruck) ihr Ergebnis von 2013 halten.
Wobei gerade in den Städten der Wettbewerb der Parteien ein besonders harter ist, wie auch Hofinger betont: Denn da rittern auch Neos und Grüne viel stärker mit als auf dem Land, das je ländlicher desto türkiser und blauer wird. Der SPÖ dürften jedenfalls jene Stimmen von Grünwählern, die 2017 zur SPÖ von Christian Kern wanderten, diesmal zum Verhängnis werden. Die SPÖ bekam damals 160.000 grüne Stimmen. Bei der EU-Wahl im Mai kamen wiederum 130.000 grüne Stimmen von der SPÖ – ein Trend, der laut Prognosen anhalten wird.
Zu sagen, die Wahl werde in Niederösterreich oder Wien entschieden, sei aber so nicht möglich, sagt Hofinger. Denn die SPÖ könne beispielsweise mit einem starken Wien-Ergebnis allein nie und nimmer eine Wahl gewinnen – und auch die ÖVP brauche einen gewissen Rückhalt in den Städten, um gut abzuschneiden. In Zeiten sozialer Medien dächten Parteien zudem nicht mehr nur in bestimmten Bundesländern, sagt er. Denn die Wähler seien online überall mit den auf sie zugeschnittenen Botschaften erreichbar.
Tatsache ist, dass Niederösterreich mit 1,3 Millionen die meisten Wahlberechtigten hat, knapp gefolgt von Wien mit rund 1,2 Millionen – das sind mehr als ein Drittel aller Wahlberechtigten in Österreich. Hofinger: „Aber ganze Bundesländer oder Städte in einer Kampagne wegzulassen kann sich keine Partei leisten.“